Wien: 30 Jahre bis zur Barrierefreiheit

Mariahilferstrasse
Mariahilferstrasse(c) Stanislav Jenis
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Bis 2016 müssen alle Lokale und Geschäfte behindertengerecht umgebaut werden. Die Stadt Wien lässt sich für ihre Gebäude länger Zeit – und setzte sich eine Frist bis 2042.

Wien. Mit dem Umbau der Mariahilfer Straße versprach die Stadt Barrierefreiheit und wirbt auch groß damit auf der Projektseite dialog-mariahilferstrasse.at. Tatsächlich wurden Gehsteigkanten nivelliert, ein Blindenleitsystem und spezielle Ampeln eingebaut – shoppen im Rollstuhl endet trotzdem häufig vor der Tür des Geschäfts, denn an den dort vorhandenen Stufen hat auch die Neugestaltung nichts geändert.

„Das hat mit dem Umbau nichts zu tun, weil es sich um Privateigentum handelt“, sagt Projektleiter Peter Lux aus der Stadtbaudirektion. Man habe da, wo es ging, versucht, das Niveau der Straße ein wenig in Richtung Geschäftseingang anzuheben, aber große Umbauten müssten Geschäftsleute selbst vornehmen. Bis Ende 2015 müssen sämtliche Geschäfte und Lokale in Österreich barrierefrei sein – zumindest so gut wie möglich. Das schreibt das Behindertengleichstellungsgesetz, das 2006 mit einer Übergangsfrist von zehn Jahren beschlossen wurde, für bestehende Bauwerke und Verkehrsmittel vor. Im Einzelfall gibt es „Zumutbarkeitsprüfungen“, denn nicht jedes Gebäude ist adaptierbar. Dort sollen Eigentümer dann zumindest „eine maßgebliche Verbesserung der Situation der betroffenen Personen im Sinne einer größtmöglichen Annäherung an eine Gleichbehandlung bewirken“. Das bedeutet, dass etwa ein Geländer bei Stiegen oder eine Spezialglocke montiert werden muss.

„Man tut jetzt so, als wäre das völlig überraschend und unzumutbar“, sagt Martin Ladstätter von der Behindertenorganisation Bizeps. „Erstens hatte man zehn Jahre lang Zeit, zweitens müssen kleine Wirte sicher keine großen Ausgaben machen.“ An ein barrierefreies Österreich ab 2016 glaubt er nicht. Das ginge sich nicht mehr aus, weil meist noch nicht einmal mit Adaptierungen angefangen wurde.

30 Jahre Frist für Wien

Während Unternehmer die Änderung bis Ende des Jahres durchführen müssen, bleibt bei Einrichtungen der Stadt Wien, die nicht unter das Bundesgesetz fallen, noch länger Zeit. Mit dem Wiener Antidiskriminierungsgesetz 2010 gab man sich eine Frist bis zum Jahr 2042.

Im Juni 2012 wurde erstmals erhoben, welche öffentlichen Gebäude der Stadt überhaupt barrierefrei sind und welche nicht – das war bis dato nicht einmal bekannt. Dann wurde ein Sanierungsplan für die nächsten 30 Jahre erstellt – dieser Zeitraum ist der durchschnittliche Zyklus von aktuell generalsanierten Gebäuden bis zur nächsten Generalsanierung.

„Das ist sehr kosteneffizient, man macht einmal gar nichts, bis sowieso etwas getan werden muss“, sagt Martin Ladstätter. Die erhobenen Gebäude wurden dann in drei Blöcke geteilt, die bis 2022, 2032 und 2042 adaptiert werden sollen. „Fast die Hälfte der Gebäude fällt in Kategorie drei. Das sagt viel über die Wertigkeit aus – ganz davon zu schweigen, dass viele von uns in 30 Jahren wahrscheinlich nicht mehr leben“, so Ladstätter. Laut Kostenschätzungen werden rund 162 Millionen Euro benötigt.

Insgesamt stehen auf der Liste 1117 Gebäude, darunter 193 Amtsgebäude, 39 Büchereien, elf Marktgebäude, fünf Gesundheitsstellen, drei Museen, ein Hort, ein Pensionistenlokal, 447 Kindergärten sowie 417 Schulen und Sonderschulen.

Derzeit läuft in Wien ein Schulsanierungsprogramm, das bis 2017 rund 516 Millionen Euro kostet. Auch die Volksschule Gilgegasse am Alsergrund erstrahlt wieder in neuem Glanz, sie wurde um 2,2 Millionen Euro saniert – dennoch ist sie nicht barrierefrei. „Bei den Schulsanierungen wird die Barrierefreiheit mitgeplant, aber nicht immer gleich umgesetzt. Das ist eine Kostenfrage“, heißt es auf Nachfrage beim zuständigen Stadtrat, Christian Oxonitsch. Die Schule werde aber in den nächsten Jahren einen Lift bekommen, wurde versprochen.

Keine Sanktionen bei Verstoß

Wehren können sich die Behindertenverbände trotz bestehender Gesetze kaum, da bei einem Verstoß keine Sanktionen vorgesehen sind. Es gibt nur die Möglichkeit, auf dem Zivilrechtsweg Schadenersatz einzuklagen. Doch die Zahlungen sind für die Unternehmen höchstens Peanuts, und zum Umbau verpflichtet werden sie dadurch auch nicht. Insgesamt wurden seit 2006 laut Bizeps erst sieben Mal Klagen eingereicht – davon wurde eine einzige gewonnen. Ladstätter sagt: „Wir müssen daran glauben, dass unsere Anliegen und Rechte in den Köpfen der Menschen ankommen – das ist bei politischen Vorbildern wie der Stadt Wien aber schwierig.“

GESETZESLAGE

Behindertengleichstellung. 2006 beschloss der Bund das Behindertengleichstellungsgesetz. Das sieht unter anderem vor, dass bis 2016 alle Gebäude des Bundes weitgehend barrierefrei sein müssen. Es greift auch dort, wo der Konsumentenschutz gilt – also etwa in Lokalen und Geschäften. Wie die Länder mit ihren Liegenschaften umgehen, bleibt ihnen überlassen. Wien hat sich verpflichtet, bis 2042 umzubauen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.04.2015)

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