Getreide: Amarant war erst der Anfang

(c) Dolly and the Oatmeal
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Haferhype mit Porridge in London, Getreidesalate und neue Trendprodukte in den Regalen: Was Körndln alles können.

„Anfangs war ich nicht sonderlich begeistert“, schreibt der Londoner Gastronom Yotam Ottolenghi in einem seiner Kochbücher über Urweizen. „Für meinen Geschmack schmeckte das Getreide etwas zu gesund.“ Und ein paar Seiten später: „Lassen Sie sich nicht vom Reformhaus-Charme abschrecken, der dem Weizen oftmals anhaftet.“ Auch ein Ottolenghi, dessen großartige, undogmatische, nahöstlich inspirierte Erfolgsküche unzweifelhaft auf der Pflanzenvielfalt basiert, fühlt sich also noch bemüßigt, Körner zu verteidigen. Der miefige Nimbus des allzu Gesunden, Freudlosen scheint sich noch immer zu halten. Und die Low-Carb-Tendenzen mit ihren zahlreichen Schüben waren für die Entwicklung einer elaborierten Getreideküche in den vergangenen Jahren auch nicht eben förderlich.

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Enormes Potenzial. Die derzeitige Vielfalt von unverarbeiteten Körnern und Getreideprodukten wie Pasta und Brot mag vor allem in den Regalen von Biomärkten enorm sein – Quinoa, Braunhirse, Teff, Amarant, Buchweizen . . . Diese Vielfalt ist jedoch weniger einer Genussfreudigkeit zuzuschreiben als der Suche nach glutenfreien Getreidealternativen. Das Gesundheitsprofil von Körnern war bisher also interessanter als das Geschmacksprofil. Hier liegt enormes Potenzial brach. Und genau da setzen Vorreiter wie Ottolenghi und seine Adepten an. Auf Foodblogs wird derzeit unübersehbar der Körndlvielfalt gehuldigt. Da wird Buchweizen mit gehobelten Kohlsprossen, Granatapfelkernen und Mandeln kombiniert, schwarzes Quinoa mit gebackenem Butternusskürbis, Brunnenkresse und getrockneten Weichseln oder Freekkeh, gerösteter unreifer Weizen, der bei uns nur schwer aufzutreiben ist, mit grünem Spargel und geräuchertem Schafkäse.

Das Geschmackspotenzial der zahlreichen, heute erhältlichen Körner wird immer öfter reflektiert. Marco Simonis, der mit seinem neuen, geradezu unerhört weltstädtischen Deli Bastei 10 im ersten Wiener Bezirk einen Nerv getroffen hat und jeglichen Gesundheitsdogmatismus unverdächtig ist, schwärmt etwa von den Unterschieden der Aromatik der drei Quinoasorten, die er im Angebot hat. Auch Simonis sagt Körnern eine leuchtende Zukunft voraus, vor allem in Form von Getreidesalaten, wie Ottolenghi sie vormacht, oder als Pseudo-risotto. Wir müssten nur noch lernen, wie man welches Getreide kocht, meint Simonis, der neben Quinoa auch eine Auswahl des Waldviertler Getreidezüchters Martin Allram im Sortiment hat, „dem Besten“. Denn da sind viele Fragen offen: Wie lang muss man Urweizen kochen? Muss man Emmer einweichen? Wie viel Wasser braucht man beim Kochen von Amarant? „Es gibt auf den Packungen natürlich Angaben zur Kochdauer. Aber da muss man selbst ein Gefühl entwickeln, es kommt auch darauf an, wie viel Flüssigkeit von Anfang an im Topf ist oder was erst später dazugegeben wird.“

Haferhype. Marco Simonis hat es im Winter auch mit Porridge versucht. Der Haferschleim nach britischer Tradition ist auch bei uns in aller Munde, kaum ein Frühstückslokal kommt ohne ihn aus, und auch bessere Restaurants servieren ihn mitunter in elaborierter Form als Amuse-Gueule. Etwa mit Räucherkarpfen, Wasabi und Roten Rüben. Verkaufen lassen sich salzige Porridgegerichte noch sehr schwer – selbst wenn es mit dem englischen Wort leichter ist als mit dem unappetitlichen deutschen Schleimwort. „Wir hatten einen salzigen Porridge auf der Karte“, sagt Simonis, „den hat aber so gut wie niemand bestellt.“ Er ist skeptisch, dass sich diese Gerichte bei uns durchsetzen werden. In London hingegen boomt Porridge gerade in pikanter Form. Das Pop-up-Lokal The Porridge Café, das Anfang März zum ersten Mal eröffnet hat und im April weiterzieht, kann sich nicht über mangelnde mediale Aufmerksamkeit beschweren. Aber auch nicht über uneingeschränkte Zustimmung freuen: Wer braucht das?, fragen so manche Briten, und auch der „Guardian“ hält fest: „Porridge ist ein Thema, das die Menschheit teilt“ – und das im Ursprungsland des Porridge; wie groß ist das Potenzial dann hierzulande?

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Tipp

Material für neue Experimente. Wer sich – aus Trendbeflissenheit oder kulinarischer Neugier – in seiner Küche mit Getreide neu auseinandersetzen möchte, bekommt stetig Nachschub an Experimentiermaterial. Auch Getreide und Pseudogetreide unterliegen Trends. Nächster Kandidat für die Kategorie „In aller Munde“ dürfte, aus den USA zu uns herüberschwappend, Teff sein, das von Stars wie Victoria Beckham oder Gwyneth Paltrow bereits in den Himmel gelobt wird. Die Zwerghirse ist in Äthiopien ein Grundnahrungsmittel, aus Teff wird auch das Nationalbrot Injera gemacht. Die weltweit hohe Nachfrage nach dem glutenfreien, nährstoffreichen Getreide rief nun kürzlich sogar die Regierung auf den Plan: Um die Versorgung der äthiopischen Bevölkerung mit Teff sicherzustellen und eklatante Preiserhöhungen zu vermeiden, wurden Exportbeschränkungen eingeführt. Man hatte aus einem anderen Trendgetreidefall gelernt: Der Siegeszug von Quinoa hatte nämlich in den südamerikanischen Anbauländern dafür gesorgt, dass das Nahrungsmittel für die dortige Bevölkerung unleistbar wurde.

Körner kaufen: Bei Marco Simonis im Bastei 10 bekommt man etwa gelbes, rotes und schwarzes Quinoa, Freekeh (gerösteten grünen Weizen), Einkorn und Waldstaudenreis, Dominikanerbastei 10, 1010 Wien. Eine große Auswahl an Getreide findet man stets in Biogeschäften. Die Zwerghirse Teff und zahlreiche andere Körner bekommt man im Prosi Exotic Supermarket, Wimbergergasse 5, 1070 Wien.

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