Ronald Lauder: „Die Juden sind immer der erste Sündenbock“

RONALD LAUDER BEI BP FISCHER
RONALD LAUDER BEI BP FISCHER(c) APA (BUNDESHEER/TATIC)
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Lauder, der Präsident des Jüdischen Weltkongresses, erklärt im „Presse“-Gespräch, wieso er Klimts „Goldene Adele“ nie mehr nach Österreich ließe, der Beethovenfries aber auf jeden Fall in Wien bleiben soll.

Die Presse: Sie haben den neuen Film „Woman in Gold“ mit Helen Mirren in der Rolle von Maria Altmann vermutlich schon gesehen.

Ronald Lauder: Ja. Mehrfach.

Wie finden Sie ihn?

Fabelhaft. Er erfasst das wahre Wesen von Maria Altmann, ihren Kampf, das Gefühl, wie es war, wenn jemand nach dem Anschluss in Ihre Wohnung kommt und einfach Sachen mitnimmt. Er zeigt zudem das jüdische Leben in Wien – und wie es zerstört wurde. Und es zeigt, wie manche Österreicher große Freude am Leid der Juden hatten. Als ich Botschafter in Wien war, fragte mich jemand: Ist Wien ohne Juden noch dieselbe Stadt? Und ich habe geantwortet: Das ist, wie wenn man ein Theaterstück in der zweiten Besetzung sieht statt mit den berühmten Stars. Österreich und Wien haben etwas verloren, was sie nie wieder zurückgewinnen können.

Wie haben Sie Altmann kennengelernt?

Durch Randy Schoenberg (Altmanns Anwalt, den Enkel des von den Nazis vertriebenen Wiener Komponisten Arnold Schoenberg, Anm.). Sie war eine bemerkenswerte Frau. Alle paar Monate stellte man ihr in Österreich neue Hürden in den Weg. Als sie den österreichischen Rechtsweg beschreiten wollte, verlangte man von ihr 1,8 Millionen Dollar an Gerichtsgebühren. Wir hätten diese Summe aufstellen können. Aber Maria Altmann wollte das nicht, aus Prinzip. Sie sagte: Warum verrechnen die mir 1,8 Millionen Dollar für mein Eigentum? Später passierte etwas Interessantes. Österreich rückte die fünf Klimts heraus, aber nicht den sechsten, das Porträt von Amalie Zuckerkandl. Wieso? Ich denke, es lag daran, dass man es nicht hergeben wollte, und dass man keine Schuld eingestehen wollte. Niemand will heute in Österreich öffentlich sagen, dass gestohlenes Eigentum nicht zurückgegeben werden soll. Aber man sagt gleichzeitig: Die Eigentümer sind tot, und die Enkel oder wer auch immer haben keinen Bezug zu den Werken. Doch das ist nicht das Thema. Sondern: Wenn es gestohlen wurde, und wenn es Erben gibt, sollte es an sie gehen. Es gab und gibt viele gute Österreicher mit guten Absichten. Aber sie hatten Angst, als illoyal angesehen zu werden.

Es ist ein kleines Land, in dem jeder jeden kennt.

Wem sagen Sie das! Letztlich aber lässt der Umstand, dass Österreich die Bilder zurückgegeben hat, Ihr Land in einem sehr guten Licht dastehen. Es hat gezeigt, dass es bereit ist, zu seiner Verantwortung zu stehen. Sie können sich nicht vorstellen, welche positiven Dinge das bewirkt hat. So, wie Kurt Waldheim Österreich geschadet hat, hat das Bild „Adele Bloch-Bauer“ Österreich geholfen.

Wieso haben Sie sich genau dieses Gemälde ausgesucht?

Weil es das beste Bild ist. Das war eine einmalige Gelegenheit, die sich nie wieder eröffnen würde.

Was bedeutet die „Adele“ für Sie?

Sie ist einer der Höhepunkte der österreichischen Kunst aus einer großen Zeit Wiens.

Jeder kennt Adele Bloch-Bauers Gesicht, aber kaum jemand die Person. Dabei war sie sozialpolitisch engagiert, organisierte einen Salon, zu dem sie neben Künstlern auch führende Sozialdemokraten wie Julius Tandler und Karl Renner lud. Das bringt die Tragödie auf den Punkt, den der Untergang dieser Welt durch die Nazi-Herrschaft darstellt.

Ja, aber Adele Bloch-Bauer ist nicht 1945 gestorben. Oft kennen wir die Geschichte der Modelle berühmter Gemälde nicht. Adele Bloch-Bauer verkörperte allerdings auch all das, was im Wien der Jahrhundertwende vor sich ging. Mit ihrem Salon, ihrer Lebensweise, ihrer Art, sich zu kleiden.

Ihre „Adele“ ist das einzige der fünf Bloch-Bauer'schen Klimt-Bilder, das öffentlich zu sehen ist...

„Adele II“ ist derzeit als Leihgabe im Museum of Modern Art.

Aber generell wollten Adele Bloch-Bauer und Maria Altmann, dass möglichst viele diese Bilder sehen können. Insofern ist es doch tragisch, dass man die anderen nicht auch an Museen verkaufen konnte.

Nein. Maria Altmann lag ein Gemälde besonders am Herzen: dieses hier. Hätte sie gewollt, dass die anderen auch öffentlich zu sehen sind, hätte sie sich anders entschieden. Eines davon ist heute übrigens entweder in der Schweiz oder in der Ukraine. Das eigentliche Thema ist: Noch heute sind so viele gestohlene Gemälde in den Kellern von Museen oder von Sammlern versteckt, und wir wissen, wo sie sind. Sie sind die letzten Kriegsgefangenen des Zweiten Weltkriegs.

2018 jährt sich Klimts Todestag zum 100.Mal...

... und der von Schiele.

Im Belvedere wird man eine große Ausstellung bereiten. Können Sie sich vorstellen, die „Adele“ irgendwann einmal einem österreichischen Museum als Leihgabe zur Verfügung zu stellen?

Nein.

Wieso nicht?

Erstens, weil das Bild sehr fragil ist. Zweitens, weil ich weiß, dass Maria Altmann wollte, dass es hier bleibt. Drittens, weil man unser Museum vor allem seinetwegen besucht.

Hat man von österreichischer Seite je gefragt, ob eine Leihe möglich wäre?

Oh ja.

Sie kamen im April 1986 als US-Botschafter mitten in der Waldheim-Affäre nach Wien. Wie haben sie die österreichische Gesellschaft damals wahrgenommen?

Die Leute waren nicht realistisch. Sie lebten noch immer im Glauben, dass sie Hitlers erste Opfer waren. Kurt Waldheim log über seine Vergangenheit. Ich kannte ihn während seiner Zeit hier in New York, er war oft bei uns zu Hause. Er war sehr charmant, erklärte stets, dass er mit dem Zweiten Weltkrieg nichts zu tun hatte. Zu der Zeit, als ich in Wien war, begannen die Leute plötzlich zu fragen: Was ist wirklich passiert? Waldheim war in vielerlei Hinsicht der Schlüssel dafür.

Wird die österreichische Gesellschaft sich Ihrer Meinung nach ihrer Verantwortung gegenüber ihren jüdischen Mitbürgern bewusst, den lebenden ebenso wie den ermordeten und vertriebenen?

Das kommt darauf an. Die junge Generation, die in Österreich aufwächst, ist offen und verständnisvoll; sie ist mit dieser Geschichte im Reinen. Die ältere ist von ihr peinlich berührt. Sie haben eine Partei, die so weit rechtsextrem ist, dass sie am Rande dessen ist, was die Nazi-Partei war. Aber ich verstehe, dass sich das ebenfalls ändert.

Die rechtsextremen Parteien in Europa haben heute mit den Moslems einen neuen Sündenbock.

Schauen Sie: Die Juden sind immer der erste Sündenbock, aber nie der letzte. Man kann die Juden heute nicht mehr allzu scharf verfolgen, weil nicht mehr so viele Juden übrig sind. Aber es gibt große moslemische Bevölkerungsteile, die, anders als die Juden, beschlossen haben, nicht Teil der österreichischen oder französischen Gesellschaft zu werden. Und manche von denen radikalisieren sich, ohne dass Österreich oder Frankreich oder andere europäische Länder damit zurande kämen. Ihr Land kommt mit 5000 radikalisierten Moslems nicht zurecht. Nicht einmal mit 500.

Österreich hat zuletzt die Vorschriften bezüglich der Teilnahme am Jihadismus verschärft.

Sie haben kein Gesetz, mit dem Sie verhindern können, dass in Moscheen Hass gepredigt wird.

Sie haben heuer beim Festakt zur Befreiung von Auschwitz-Birkenau gesagt, in Europa sähe es für Sie mehr wie 1933 aus als wie 2015. Wie haben Sie das gemeint?

Ich bezog mich auf Antisemitismus. In Österreich gibt es etwa viele Zeitungsartikel gegen Israel und für Palästina. Mit der Zeit werden daraus antijüdische Botschaften. Bei Demonstrationen fängt es mit Parolen gegen Israel an und hört mit solchen gegen die Juden auf.

Aber nicht jeder, der die israelische Regierung kritisiert, ist gegen die Juden.

Man kann die Regierung kritisieren. Aber Österreich hat eine moralische Pflicht gegenüber dem jüdischen Volk und gegenüber Israel.

Jeffrey Goldberg hat für das Magazin „The Atlantic“ jüdische Gemeinden in europäischen Ländern besucht und kommt zum Schluss, dass es möglicherweise für Europas Juden Zeit sei, zu emigrieren.

Er liegt falsch. Es gibt für die Juden in Europa einen Platz. Ich kämpfe darum, weltweit jüdische Gemeinden zu verteidigen.

Sie bemühen sich seit 1997 mit der Commission for Art Recovery um die Rückstellung geraubter Kunstwerke. Hat sich die Einstellung der österreichischen Behörden in dieser Frage seither geändert?

Die Gesetze haben sich geändert, die Einstellung nicht. Sie versuchen noch immer, so viel wie möglich zu behalten. Das ist ein Fehler.

Haben Sie den Fall rund um Klimts Beethovenfries verfolgt?

Ja.

Was meinen Sie dazu?

Ich habe das einst mit Erich Lederer besprochen – und ihn davon überzeugt, den Fries der Secession zu geben. Weil das mehr als nur ein Gemälde war. Der Fries ist Teil eines Gebäudes. Einer der Erben Lederers, ein entfernter Cousin, will Geld. Aber der Verkauf fand seinerzeit ja nicht unter Not statt.

Die Empfehlung des Kunstrückgabebeirates vom März, den Fries nicht zurückzustellen, ist für Sie also richtig?

Das ist, was Erich Lederer gewollt hätte, und die richtige Entscheidung. Von vielen anderen Objekten dagegen wollte er nicht, dass sie nach Österreich zurückkommen. Und wir werden nie mit Sicherheit wissen, wie viele seiner Kunstwerke 1945 auf Schloss Immendorf verbrannt sind.

ZUR PERSON UND ZUM BILD

Ronald Lauder, geb. 1944 in New York City als Sohn der für ihre Kosmetik berühmten Unternehmerin Estée Lauder, ist selbst Unternehmer, Milliardär und Philanthrop. Politisch ist er Republikaner, 1986 ernannte ihn Ronald Reagan zum US-Botschafter in Österreich. Er engagiert sich für Restitution von während der NS-Zeit geraubter Kunst.

Das Bild „Adele Bloch-Bauer I“ wurde 1938 – nach der Vertreibung der Familie Bloch-Bauer – vom NS-Regime konfisziert, 1941 kaufte es die Moderne Galerie (heute: österreichische Galerie), 2006 wurde es an die Erbin Maria Altmann restituiert. Im selben Jahr kaufte Ronald Lauder das Bild, angeblich um 135 Millionen Dollar.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.04.2015)

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