Netanjahu sieht in Atomdeal „eine Gefahr für Israels Überleben“

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Netanjahu(c) APA/EPA/JIM HOLLANDER (JIM HOLLANDER)
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Die Regierung in Jerusalem ist über die Einigung mit Teheran entsetzt. Auch ein Anruf von US-Präsident Obama konnte den israelischen Premier nicht besänftigen.

Jerusalem. In das allgemeine Lob und die Erleichterung über das hart errungene Atomabkommen mit Teheran mochten nicht alle einstimmen: Israels Regierung hat den Deal zwischen dem Iran und dem Westen scharf kritisiert. Zwar haben sich der Iran und die 5+1-Mächte – die Ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats plus Deutschland – am Donnerstag nur auf ein Rahmenabkommen geeinigt. Doch auf seiner Grundlage soll bis zum 30. Juni das finale Dokument verhandelt werden, mit dem der Westen eine iranische Atombombe zu verhindern sucht.

„Eine Einigung, die auf diesem Abkommen basiert, ist eine Gefahr für Israels Überleben“, warnte Israels Premierminister, Benjamin Netanjahu, am Freitag. „Erst vor zwei Tagen hat der Iran gesagt: Die Zerstörung Israels ist nicht verhandelbar.“ Eine solche Einigung würde „das Atomprogramm des Iran legitimieren, seine Wirtschaft stärken und seine Aggression und seinen Terror im Nahen Osten und darüber hinaus befördern“. In der Nacht auf Freitag hat US-Präsident Barack Obama Israels Premier angerufen und laut Medienberichten für das Abkommen geworben. Dass Netanjahu sich nicht überzeugen ließ, überrascht wenig: Seit Beginn der Verhandlungen hat er immer wieder vor einem „schlechten Deal“ gewarnt, unter anderem vor dem US-Kongress.

„Koscher-Stempel“ für Atomprogramm

Am Freitagnachmittag berief Netanjahu sein Sicherheitskabinett zu einer Sondersitzung ein. Ein Sprecher verkündete anschließend, das gesamte Kabinett lehne das Rahmenabkommen ab. Netanjahu selbst forderte nach der Sitzung, das finale Abkommen müsse den Iran dazu verpflichten, Israels Existenz anzuerkennen.

Einzelne Minister hatten ihre Kritik zuvor noch schärfer formuliert. Wirtschaftsminister Naftali Bennett, Vorsitzender der national-religiösen Partei Jüdisches Haus, schrieb auf Facebook: „Das radikalste islamische Terrorregime der Welt hat einen offiziellen Koscher-Stempel für sein illegales Atomprogramm erhalten.“ Yuval Steinitz, Geheimdienstminister der scheidenden Regierung, drohte in einem Radiointerview: Sollten Diplomatie und Geheimdienstarbeit nicht ausreichen, um Israel zu schützen, dann „liegt die militärische Option auf dem Tisch“. Zurückhaltender äußerte sich Yitzhak Herzog, Vorsitzender der oppositionellen Arbeiterpartei. Am wichtigsten für Israels Sicherheit sei es, die Beziehungen mit den USA zu reparieren, mahnte er per Facebook – ein Seitenhieb auf Netanjahu, der sich öffentlich mit dem US-Präsidenten anlegt.

„Die Einigung ist nicht so schlecht“

Abseits der politischen Bühne fielen die Urteile nuancierter aus. Meir Litvak, Iran-Experte der Universität Tel Aviv, sagte zur „Presse“: „Die Einigung ist nicht so schlecht, wie viele Israelis glauben. Wir können damit leben – zumindest auf dem Papier. Gefährlich wird es, wenn der Iran beginnt, das Abkommen in kleinen Schritten zu unterlaufen. Womöglich begänne dann eine lange Debatte in der UNO, und manche Länder könnten fragen: Ist es das wert, eine so kleine Verletzung zu bestrafen?“ Zur Reaktion seiner Regierung sagte er: „Man gewinnt nichts, indem man die USA offen herausfordert. Besser wäre es, die Amerikaner um Sicherheitsgarantien zu bitten.“

Geradezu enthusiastisch äußerte sich der israelische Iran-Experte Meir Javedanfar, selbst im Iran geboren. „Heute Nacht wurde Geschichte geschrieben“, teilte er auf seiner Website mit, „das Abkommen scheint gut für die Sicherheit Israels. Ein Grund für Optimismus ist, dass der Iran verpflichtet wird, den Inspektoren der Internationalen Atomenergiebehörde Zugang zu verdächtigen Anlagen zu gewähren.“ Dagegen warnte Dore Gold vor „einem Fehler historischen Ausmaßes“. Das Abkommen lasse die atomare Infrastruktur des Iran intakt und erlaube es dem Land, dem Beispiel Nordkoreas zu folgen: Es könnte die internationalen Beobachter ausweisen und in kurzer Zeit die Bombe bauen.

Dass solche Warnungen nicht nur Polit-PR der Rechten sind, sondern einen empfindlichen Nerv vieler Israelis treffen, daran erinnerte ein Artikel in der linksliberalen Zeitung „Haaretz“. „Ist dies die München-Konferenz unserer Zeit?“, hieß es da – eine Anspielung auf das Münchner Abkommen 1938, Symbol westlicher Appeasement-Politik gegenüber Adolf Hitler.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.04.2015)

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