Brigitte Miksa: „In Österreich fehlt der Reformdruck“

Brigitte Miksa
Brigitte Miksa(c) Allianz/ Thomas Einberger
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Die Pensionen der Österreicher sind zu hoch, das Antrittsalter hingegen zu niedrig, findet Expertin Brigitte Miksa. Sie mahnt Anpassungen ein.

Die Presse: Warum gehen verschiedene Kulturen so verschieden mit dem Thema Pension um? In Österreich gehen viele so rasch wie möglich in den Ruhestand. In Japan arbeiten die Leute, nachdem sie das gesetzliche Rentenalter von 65 Jahren erreicht haben, noch Jahre weiter. Sind die Japaner fleißiger als wir?

Brigitte Miksa: Nein, so einfach ist das nicht. Allgemein formuliert gibt es zwei Gruppen von Leuten, die auch im offiziellen Rentenalter noch gegen Lohn arbeiten. Die einen tun das, weil sie es wollen – das sind in der Regel Gutverdiener, die in hohem Alter noch lohnenswerte Angebote erhalten. Die anderen arbeiten weiter, weil sie es müssen – also solche Leute, deren Pensionsansprüche nicht hoch genug sind, um einen bestimmten Lebensstandard zu halten. In Japan gibt es viele Menschen dieser beiden Gruppen, in Österreich gibt es kaum welche.

Weil das österreichische Pensionssystem so gut ist und das japanische so schlecht?

Nein, so würde ich das auch nicht sagen. Das öffentliche Rentensystem in Japan bietet eine relativ niedrige Lohnersatzquote (Höhe der Pension gemessen am letzten Einkommen, Anm.). Gemessen am Einkommen im Arbeitsalter fällt die monatliche staatliche Rente recht gering aus, alles in allem sind es kaum über 50 Prozent. In Österreich liegt diese Quote bei 76 Prozent, das ist im Vergleich sehr hoch. Außerdem gibt es in Österreich im internationalen Vergleich bisher geringe Abschläge, wenn man früher in Pension geht. Dies ist bedingt durch eine Vielzahl von Ausnahmeregelungen, die einen frühen Ruhestand attraktiv machen. Bei einem so hohen Lohnersatz gehen eben viele Österreicher lieber verfrüht in den Ruhestand. Für ein längeres Erwerbsleben fehlen einfach die Anreizstrukturen.

Ihr Institut hat vor Kurzem den Pension Sustainability Index herausgegeben, einen Index also, der die Nachhaltigkeit verschiedener Pensionssysteme misst. Zu den Ländern mit dem stärksten Reformbedarf gehören Japan, Brasilien und Thailand, am besten stehen Australien, Neuseeland und die skandinavischen Länder da. In Österreich sehen Sie auch starken Handlungsbedarf. Was sind die größten Herausforderungen?

Rentenkassen bekommen irgendwann Probleme, wenn sie zu üppige Renten ausschütten. Und das Phänomen der Frühpensionen hängt damit natürlich zusammen. Österreichs offizielles Rentenalter liegt bei 65, aber im Schnitt hören die Leute schon mit etwa 59 Jahren auf zu arbeiten. Die Aufgaben, vor denen das Land steht, sind eine Anhebung des regulären Pensionseintrittsalters, eine Senkung der Lohnersatzquote und die Schaffung neuer Anreize, damit die Menschen nicht zu früh in den Ruhestand gehen. Warum? Die restliche Lebenserwartung von Menschen im Alter von 65 Jahren liegt heute für Männer bei 18 und für Frauen bei 21 Jahren. Bis 2050 werden diese Werte voraussichtlich auf 21 Jahre bei Männern und 25 Jahre bei Frauen ansteigen. Das heißt: Unter den Umständen von heute werden Menschen länger im Ruhestand sein, und deren Leben muss irgendwie finanziert werden. Das geht auf Dauer nicht ohne Anpassungen.

Deutschland hat solche Anpassungen um die Jahrtausendwende vorgenommen. Die Lohnersatzquote wurde gesenkt, das Rentenalter angehoben und eine neue Form der privaten Altersvorsorge eingeführt, befeuert durch Steuervergünstigungen. Ist das der richtige Weg?

Deutschland hat kluge Reformen unternommen, ja. Allerdings wäre mir lieber, diese Reformen wären 30 Jahre früher gekommen, wie etwa in den Niederlanden. Und vermutlich hätte man sich in Deutschland auch nicht zu diesen schmerzhaften Schritten durchgerungen, wenn die innerdeutsche Wiedervereinigung von 1990 nicht den Sozialstaat deutlich teurer gemacht hätte. Dieses Ereignis hat die Prozesse enorm beschleunigt, und ich denke, dass genau so ein Druck in Österreich fehlt, um eine Debatte über das Pensionssystem zu bekräftigen.

Dass Sie es gut finden, wenn die Leute mehr private Vorsorge betreiben sollen, verwundert nicht. Die Allianz verdient damit Geld.

Schon, aber da muss ich zwei Einschränkungen machen. Erstens setzt sich meine Abteilung forschend mit Pensionssystemen auseinander und versucht nicht, Versicherungsprodukte zu verkaufen. Und zweitens ist es weniger eine Frage des Geschäfts, als vielmehr eine systemische Notwendigkeit, die Last des Rentensystems auf mehrere Säulen zu verteilen. Der gegenwärtige Leitzins in Europa ist sowohl für Versicherer als auch für Sparer eine große Herausforderung. Stellen Sie sich vor, Sie haben vor 15 Jahren einem damals 20-Jährigen eine Altersvorsorge mit vier Prozent Jahreszins verkauft und heute liegt der Leitzins nahe null. Der Versicherte wird aber noch weitere 25 Jahre einzahlen. Dieses Geld muss jetzt erst einmal verdient werden.

Branchenreports aus verschiedenen Ländern schwärmen deshalb für einen Paradigmenwechsel in der Altersvorsorge, der sich seit Jahren auch vollzieht: Anstatt der traditionellen Sparpläne, in denen man einzahlt und am Ende einen garantierten Betrag ausgezahlt bekommt, sollen die Versicherten heute immer häufiger selbst das Investitionsrisiko tragen. Das klingt auch nicht fair.

Sie sprechen eine Tendenz an, die sich zum Beispiel im deutschen Lebensversicherungsgeschäft darstellt: Das Investitionsrisiko wird mehr als bei klassischen Produkten auf die Versicherten übertragen. Aber ein Mindestbetrag, den der Versicherte auf jeden Fall am Ende ausbezahlt bekommt, ist in der Regel garantiert, zudem bieten die Produkte gegenüber den traditionellen zusätzliche Renditechancen. Trotzdem zeigt sich, dass sich die private Vorsorge nur langsam entwickelt. Wir glauben, es sollten mehr Menschen eine private Altersvorsorge abschließen. Ich bin 1959 geboren, komme also aus der Kohorte der Babyboomer Deutschlands. Und weil ich weiß, dass die nachkommende Geburtenkohorte, die meine Pension finanzieren soll, wegen der niedrigen Geburtenraten viel kleiner ist als die vorige Generation, sorge ich eben zusätzlich privat vor. Die demografischen Entwicklungen lassen mir keine Wahl.

Unter den jungen Menschen sorgt vielleicht auch deshalb kaum jemand privat vor, weil das Geld fehlt. Viele arbeiten in prekären Beschäftigungsverhältnissen. Diese Menschen sind in den Pensionssystemen ohnehin schon benachteiligt und sollen dann auch noch sparen.

Da stimme ich zu. Es ist wichtig, den Zugang zu den Pensionskassen und Sparplänen so zu regeln, dass er den Verhältnissen auf dem Arbeitsmarkt entspricht. Unabhängig davon wird private Altersvorsorge wichtiger. Das trifft gerade auf Länder wie Österreich zu, wo früher oder später Korrekturen im Pensionssystem nötig sind, auch wenn es einigen wehtun wird. Ein Pluspunkt: Das Land altert nicht ganz so schnell wie zum Beispiel Japan oder Deutschland. Insofern bleibt Österreich noch etwas Zeit für seine Anpassungen.

ZUR PERSON

Brigitte Miksa (*1959) ist Leiterin des Zentrums für vergleichende Forschung zu internationalen Versorgungssystemen, einer Einheit des Allianz-Konzerns. Sie studierte Psychologin, arbeitete zuvor bei der Bayerischen Hypotheken- und Wechsel-Bank (heute Hypo-Vereinsbank). [ Archiv ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.04.2015)

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