Frankreich: Front National bricht mit Parteigründer Le Pen

(c) Reuters (JEAN-PAUL PELISSIER)
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Der Familienstreit bei den Le Pens ist zu einer Parteikrise ausgeartet. Mit neuen Provokationen ist FN-Gründer Jean-Marie auch für seine Tochter Marine untragbar geworden.

Paris. Der Familienstreit innerhalb der französischen Rechtspopulisten hat einen neuen Höhepunkt erreicht, der einen offenen Bruch der Partei mit ihrem Erschaffer bedeutet: Sie werde es nicht zulassen, dass Parteigründer Jean-Marie Le Pen für den Front National (FN) bei den Regionalwahlen im Dezember als Spitzenkandidat an der Côte d'Azur antrete, gab dessen Tochter Marine, die Parteichefin ist, am Mittwoch bekannt. Sie reagierte damit auf die jüngsten neo-nazistischen Äußerungen ihres Vaters und FN-Ehrenvorsitzenden.

Jean-Marie Le Pen hat mit seinen wiederholten Provokationen viele Anhänger der französischen Rechtspopulisten gegen sich aufgebracht. In einem Interview grenzte er sich nun erneut und mit einer unglaublichen Vehemenz von der ihm allzu gemäßigt erscheinenden Linie des FN ab.

Eigentlich hätte er allen Grund gehabt, sich über die Erfolge der 1972 von ihm gegründeten rechtsextremen Partei bei den letzten Wahlen zu freuen und der Parteichefin, seiner Tochter Marine, zu gratulieren. Nur schätzt es der 86-jährige Rabauke überhaupt nicht, von anderen in seinen Ansichten und seiner Geschichtsauffassung „desavouiert“ zu werden. Erst recht nicht verträgt er Kritik von seiner Tochter oder anderen „Grünschnäbeln“ unter den Mitstreitern, wie er sie nannte.

„Der Verrat kommt immer aus der Nähe“, beklagte er sich also in einem Interview mit dem sehr rechtslastigen und tendenziell antisemitischen Blatt „Rivarol“. Im Gespräch mit der Zeitung, die ihn als „letzten freien Mann“ hochjubelt, versuchte er außerdem, den Chef des faschistischen Kollaborationsregimes von 1940 bis 1944, Marschall René Pétain, zu rehabilitieren.

„Nie als Verräter betrachtet“

Er habe Pétain, der nach dem Krieg für seine Zusammenarbeit mit dem Dritten Reich zum Tode (umgewandelt in lebenslängliche Haft) verurteilt wurde, „nie als Verräter betrachtet“, sagte Le Pen. Und er habe die Leute (in seiner Partei), die für Pétain eine hohe Wertschätzung behalten, nie als „schlechte Franzosen“ eingestuft.

Dafür zweifelt Le Pen mit seinem fremdenfeindlichen Instinkt am Patriotismus des heutigen Premierministers Manuel Valls, der als Katalane auf die Welt gekommen ist und in Frankreich mit 20 eingebürgert wurde: „Valls ist Franzose seit 30 Jahren, ich aber bin Franzose seit 1000 Jahren. Wie echt ist für Valls seine Bindung an Frankreich? Hat sich dieser Immigrant grundlegend gewandelt?“, fragte der umstrittene Politiker. Einmal mehr attackiert er auch den Einfluss von Homosexuellen im FN.

Im Fernsehen hatte er wenige Tage zuvor erneut die Gaskammern und die Judenvernichtung als „Detail“ der Geschichte des Zweiten Weltkriegs bezeichnet. Überhaupt ist der mehrfach verurteilte Jean-Marie Le Pen ein Wiederholungstäter, wenn es um die Verharmlosung des Holocaust geht.

In seiner Partei schätzt man solche Äußerungen überhaupt nicht mehr, weil sich der FN dadurch als Extremistenpartei und Weggefährte des Faschismus abstempeln lässt – was bürgerliche Wähler abschrecken könnte. Weil dies alles keine einmaligen „Ausrutscher“ des betagten Politikers sind, sondern gezielte Provokationen auf einer bereits langen Liste von antisemitischen und rassistischen Beschimpfungen, musste die Parteiführung reagieren.

FN-Vizepräsident Florian Philippot fand deutliche Worte: „Der politische Bruch mit Jean-Marie Le Pen ist dieses Mal total und definitiv.“ Es werde rasche Beschlüsse über die Konsequenzen geben. Der Staranwalt und FN-Abgeordnete Gilbert Collard ist empört: Die Brücken seien für ihn abgebrochen nach dieser „Verherrlichung von Pétains kriminellem Regime“.

Auch sie sei „zutiefst traurig“, schreibt Marine Le Pen in einem Communiqué. Ihr Vater sei in eine unheilvolle „Spirale zwischen einer Strategie der verbrannten Erde und politischem Suizid“ geraten. Auch sie kommt nicht mehr um eine deutliche Distanzierung herum: „Der Titel des Ehrenpräsidenten berechtigt ihn nicht, den Front National als Geisel zu nehmen und sich so grobe Provokationen zu leisten, deren Ziel es sein muss, mir und der Partei zu schaden.“

So schmerzlich für sie als Tochter dieser politische Familienstreit sein muss – so politisch nützlich könnte für sie eine Klarstellung oder gar ein politischer Vatermord im Freud'schen Sinne sein. Marine Le Pen bemüht sich seit 2011 als Chefin der Partei, ihre Bewegung salonfähig zu machen und zugleich deren Erbe zu bewahren. Jean-Marie Le Pen ist dabei ein Hindernis.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.04.2015)

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