Lisbeth Gruwez: „Ich bin ängstlich und verletzbar“

(c) Didier Olivré
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Choreografin Lisbeth Gruwez über den Unterschied zwischen „AH/HA“ und Haha, über die Bedeutung der Einsamkeit für die Inspiration – und warum Tänzer Grenzen brauchen.

Es muss keine Komödie sein, wenn das Lachen zum Bühnenstück wird. Lachen ist eine ernste Angelegenheit, kann sogar wehtun. Lachen schüttelt den gesamten Körper, öffnet den Mund, verengt die Augen, bläht die Wangen, biegt den Rücken, wirft den Lachenden zu Boden, lässt ihn auf die Schenkel klatschen, auf den Brustkorb trommeln. Lachen ist ansteckend, kann sich zum Exzess steigern, zeigt Fratzen, erzeugt Horror, wird zum Orgasmus, sackt wieder in sich zusammen, entspannt den Körper. „AH/HA“ ist ein Tanzstück über das Lachen. Die erste Gruppenarbeit der flämischen Tänzerin und Choreografin Lisbeth Gruwez: „Absichtlich habe ich mein Stück nicht Ha/Ha genannt, denn dieses AH kann auch für Angst stehen – Angst, die man weglacht. Oder für das Aha-Erlebnis.“ Lisbeth Gruwez, die gern und viel lacht, hat auch viele Ängste: „Zum Beispiel vor diesem Stück. Wie finde ich die Gruppe, wie führe ich sie, wie arbeite ich mit einer Gruppe?“ Vier ganz unterschiedliche Tanzprofis hat sie ausgesucht, die mit ihr auftreten, denn „das Lachen betrifft ja alle Menschen. Eigentlich habe ich weniger Tänzer gesucht, als Körper, Gesichter, die etwas ausdrücken. Aber natürlich sind alle bühnenerfahren. Eine hat noch nie getanzt, sie kommt vom Theater und hat eine ganz besondere Ausdruckskraft“. Welche von den beiden Tänzerinnen sie meint, will sie nicht verraten.

Fußvolk. Mit dem Komponisten Maarten van Cauwenberghe gründete Gruwez ihre Kompanie Voetvolk
(Fußvolk), inzwischen wird sie europaweit hofiert. Dass die Tänzerin und Choreografin wegen ihres nicht zu bremsenden Bewegungsdrangs schon als Kind in die Tanzschule geschickt wurde, ist leicht zu verstehen. Kaum eine Minute sitzt sie ruhig während des Gesprächs, fast das ganze Stück und auch schon das nächste wird als Solo vorgezeigt. Da fliegen die schwarzen Locken, leuchten die blauen Augen über dem zitronengelben T-Shirt. Gruwez ist immer in Fahrt. So steht sie auch bei ihrer aktuellen Arbeit nicht am Rand, tanzt selbst mittendrin. Beides zugleich zu sein, Akteurin und Choreografin, ist schwierig. Die Kontrolle war eine Hürde, die Gruwez nur mithilfe der Gruppe überwinden konnte: „Anfangs habe ich getanzt und zugleich geschaut, was die anderen machen. Das ist nicht gut gegangen. Bis die Tänzer mir gesagt haben, ich soll ihnen vertrauen. Wir müssten einander vertrauen. Das war die Idee! Alle sollten einander anschauen.“ Schon war aus fünf fremden Körpern eine Gruppe geworden. Und wenn Lionel Richies samtiges „Hello, It’s me“ erklingt, dann wird aus der Lachgruppe sogar eine Kuschelgruppe. Der Horror („Die Grünewald-Momente“, wie Gruwez die Passagen mit den grimassierenden Gesichter nennt) ist vergessen.
„Mir war vor allem wichtig, dass ich den Tänzern nicht meinen Stempel aufdrücke, ich wollte nicht fünf Kopien von meinem Bewegungsvokabular sehen, sondern jeder sollte aus sich heraus die eigenen Bewegungen schaffen. Ich habe nur den choreografischen Rahmen gegeben.“ So ist AH/HA an jedem Abend ein wenig anders. „Die Tänzer haben ein gewisses Maß an Freiheit, doch ich setze Grenzen. ‚Bis hierher dürft ihr, weiter nicht!‘“ Die Idee, Körper in Phasen des Lachens zu zeigen, hat mehr als ein Jahr zum Reifen gebraucht. Zu diesem Zweck, das macht sie immer, wenn sich ein Stück in ihr bildet, hat sich Gruwez in die Einsamkeit zurückgezogen: „Um nachzudenken. Diesmal war ich auf La Gomera, einer Insel, sehr passend. Eines Tages ging ich an einem auffallenden weißen Haus vorbei und sah, dass darin Yoga-Kurse gehalten wurden.“ Neugierig läutete sie an, und dann kam eins zum andern.

Gruwez landete bei Anita Calzadilla in Wien. Die Lach-
Yoga-Lehrerin zeigte der Tänzerin nicht nur Übungen, die zum Lachen anregen, nach dem Motto „We fake it, so you make it“ – sondern gab auch hilfreiche Tipps, wie eine Gruppe zu führen sei. Gruwez’ Ängste wurden kleiner, ihr Lachen befreiter. „Wir haben täglich trainiert, 30 Minuten, eine Stunde lang den Körper geschüttelt. Anfangs haben wir mit Stimme gelacht, dann habe ich erkannt, dass Bewegungen und Mimik viel plastischer sind, wenn tonlos gelacht wird. Das fordert viel Konzentration, denn die Töne werden oft nicht bewusst ausgestoßen.“

Yoga, Tai-Chi. Auch Tai-Chi wurde trainiert, für die stillen und langsamen Momente. „Ich wollte doch das Unkontrollierbare unter Kontrolle bringen, daher habe ich die Zeitlupe und die Stille eingesetzt. Da werden die Bewegungen deutlicher.“ Stumm ist „AH/HA“ dennoch nicht. Dafür sorgt Maarten van Cauwenberghe mit seinem das Shaking unterstützenden rhythmischen Sound. Als Lisbeth Gruwez nach der Ballettprüfung die Spitzenschuhe aus dem Fenster warf, war Wim Vandekeybus zur Stelle, um sie in seiner Compagnie Ultima Vez zu integrieren.

Lang hielt die Verbindung nicht. Gruwez konnte nicht schweigen, mischte sich dauernd ein, gab Widerworte. Lakonisch sagt sie heute: „Ich wurde hinausgeworfen.“ Vier Mal hat sie das erlebt, zuletzt mit ihrem Landsmann Jan Fabre, dessen Theaterstück „Quando l'uomo principale è una donna“ sie als Koautorin und Solistin, splitternackt über Olivenöl schlitternd, zum Welterfolg machte. Gleich danach schlitterte Gruwez fast dem eigenen Abgrund entgegen.
Zwar fühlte sie sich frei, musste niemandem mehr gehorchen, konnte nur noch mit sich selbst streiten. Doch worüber? Gruwez: „Es waren harte vier Jahre. Mit Maarten habe ich eine eigene Compagnie gegründet. Diese musste erst bekannt werden. Wir mussten uns durchsetzen, Unterstützer suchen, Aufführungsorte, Publikum.“ Der Durchbruch kam 2012 mit dem Stück „It’s going to get worse and worse and worse, my friend“.

Was Gruwez auszeichnet, ist nicht nur die Beherrschung des eigenen Tanzkörpers, sondern auch ihr Time-Management: Keine Sekunde zu viel, keine zu wenig, sich stetig steigernde Spannung, bis zum Exzess und gleich danach Entspannung. Niemals Langeweile, keine Müdigkeit. Während andere im Konzept stecken bleiben oder die Ideen an der Oberfläche verschleudern, treibt Gruwez sie an die Spitze, so hoch, dass man sie nicht mehr erkennt. Dann ist es erlaubt und möglich, die eigenen Gedanken frei schweifen zu lassen und assoziativ zu begreifen, was die Künstlerin will.

Beim Lesen ihrer Biografie und der stets begeisterten
Kritiken entsteht der Eindruck einer starken, strengen Frau. Dazu kann sie selbst nur den Kopf schütteln: „Ich bin so leicht verletzbar und voller Ängste,“ betont sie.
Mit diesen Ängsten wird sie sich in ihrem nächsten
Stück, einem Duo, auseinandersetzen. „Zum Beispiel das Rauchen. Ich rauche so viel. Das macht Angst, oder ist es die Angst, die mich rauchen lässt?“ Der Rückzug auf die Insel ist programmiert, damit die persönlichen Ängste „poetisch ins Allgemeine umgesetzt werden können. Wenn ich auf der Bühne stehe, will ich nicht von mir erzählen, sondern von allen Menschen.“

In Wien wird der Abschluss der Tournee mit dem
bühnenreifen Gelächter gefeiert. Gruwez wird wieder deutlich zu spüren bekommen, dass zwei Seelen in ihrer Brust wohnen: neben der ängstlichen eine, die jede Angst besiegt.

Tipp

Tanzquartier Wien Voetvolk/Lisbeth Gruwez + Maarten van
Cauwenberghe: „AH/HA“, aufeinander gewehte Körper, ekstatisch verdichtet. 17. und 18. April www.tqw.at

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