Jean-Claude Ellena: Parfums, die Geschichten erzählen

(c) Richard Schroeder
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Er gehört zu den berühmtesten Parfumeuren der Welt: Jean-Claude Ellena kreiert Düfte, als würde er Erzählungen verfassen.

Heute gehört es nicht nur zum guten Ton, dass bei der Vorstellung eines neuen Parfums auch mit dem Schöpfer desselben gesprochen wird, also mit der, wie gern gesagt wird, verantwortlich zeichnenden „Nase“, sondern für viele Marken ist dieses Vorführen olfaktorischer Kreativität zum wichtigen Kommunikationstool geworden. Das freilich war nicht immer so: In den Achtzigerjahren mussten engagierte Branchenvertreter eine Lanze für die Sichtbarmachung der Parfumeure brechen. Jean-Claude Ellena, heute Hausparfumeur von Hermès und einer der prominentesten Vertreter seines Berufsstandes, war damals unter diesen Pionieren, und er hat bis heute nicht aufgehört, über das, was er die „écriture de parfums“, das Schreiben von Düften, nennt, nachzudenken.

Ihr letzter Duft für Hermès ist „Le Jardin de Monsieur Li“, der fünfte Ihrer „Jardins“. Wie ist das Parfum entstanden?
Die chinesischen Gärten, um die es hier geht, habe ich vergangenen Frühling selbst gesehen, wir sind durch China gereist, nach Peking, Shanghai, Suzhou. Auffällig ist, dass dort vergleichsweise wenig Vegetation zu finden ist, als zentrale Elemente gibt es oft einen Felsbrocken und Wasser. Diese Symbolik von Wasser und Berg als symbolische Darstellung des Lebenskreislaufes ist den Chinesen wichtig.


Wie steht es also um die Riechbarkeit dieser Gärten?
Es gibt tatsächlich eher wenig zu riechen. Präsent ist natürlich das Grün, ein paar Zitrusfrüchte, Rinde, die in einer Ecke trocknet. Eine Blume, die man häufig sieht, ist die Chrysantheme, aber die Konnotation dieser Blume ist in Europa schwierig, während sie in China und Japan als Symbol für große Macht gesehen wird. Doch was für mich wichtig war, ist der Gesamteindruck, den diese Gärten hinterlassen: Orte der Ruhe und der Sammlung. Und das wollte ich letztlich ausdrücken: Wenn man das Parfum aufträgt, soll sich eine Stimmung der Ruhe und der Gesetztheit verbreiten.


Bedeutet es stets eine Anstrengung des Abstrahierens, ein Parfum zu kreieren?
Natürlich, zwangsläufig geht es um Abstraktion und Illusion, weil es sich um eine Kunst handelt, die verführen will, mit den Mitteln, die ihr zur Verfügung stehen.


In Ihren Texten sprechen Sie oft von der „écriture d’un parfum“ – ein Parfum schreibt sich wie eine Erzählung?
Ja, ein Parfum zu schaffen, heißt, eine Geschichte zu erzählen. Bei der Reise nach China könnte sich übrigens etwas zugetragen haben, was die weitere Entwicklung der „Jardins“ beeinflusst, dass diese nämlich zu Orten der Begegnung mit einer real existierenden Person oder auch einer fiktiven Figur werden. Der Austausch mit diesem Charakter kann zur Grundlage eines Parfums werden, zum Ausgangspunkt einer Geschichte. Ich sage jetzt irgendetwas, aber es könnte auch einen „Jardin de Miss Marple“ geben. 


Gibt es ein Verwandtschaftsverhältnis zwischen den „Jardins“?
Ein roter Faden, der sich durch alle „Jardins“ zieht, ist das Wasser. Es gibt bei ihnen allen eine aquatische Konnotation, die wiederum über den Umweg der Abstraktion verläuft, weil es nicht um den Geruch von Wasser geht, sondern um einen Eindruck der Transparenz, um etwas Vegetatives.


Einen so konkreten Akkord wie die Guerlinade bei Guerlain gibt es aber in Ihren Parfums nicht?
Oh, ich versichere Ihnen, dass dieser Prozess des Nachdenkens über das Aquatische für mich etwas sehr Konkretes ist, und dass ich so meinen Ansatz gefunden habe, um über Wasser zu sprechen.


Ist das Wasser überhaupt etwas, was Sie fasziniert, als Bezugspunkt Ihrer Arbeit? Für Frédéric Malle haben Sie etwa ein „Eau d’hiver“ kreiert, ein Winterwasser . . .
Eigentlich nicht, beim „Eau d’hiver“ war das anders: Ich wollte ein Parfum machen, das wie eine Wolke ist, so weich und zart und frisch. Der Name, den ich ausgesucht hatte, war also „Nuage“, und Frédéric war es dann, der mir stattdessen „Eau d’hiver“ vorschlug. Damit war ich einverstanden, auch wenn ich normalerweise die Namen meiner Parfums selbst auswähle.


Sie gehören nicht nur zu den bekanntesten Parfumeuren, sondern sind auch eine der wenigen „Hausnasen“, die alle Düfte einer Marke, in Ihrem Fall Hermès, kreieren. Ist das eine privilegierte Form des Arbeitens?
Es ist ein ganz anderes Arbeiten als jenes eines Parfumeurs, der für einen Zulieferer wie Givaudan oder International Flavors und Fragrances arbeitet. Ich arbeite in alleinigem Austausch mit der Präsidentin der Hermès-Parfums, es gibt keine weiteren zwischengeschalteten Instanzen. Es ist nur an mir, die Präsidentin von einer Entscheidung oder einer Komposition zu überzeugen. Das Marketing folgt erst danach und unterstützt uns, beeinflusst aber meine Arbeit überhaupt nicht. In dem, was ich mache, bin ich komplett frei.


Sie üben Ihren Beruf schon seit Langem aus: Haben Sie in dieser Zeit ein steigendes Interesse für die Person des Parfumeurs beobachtet? Sie waren auch eine der Hauptfiguren in Chandler Burrs Buch „The Perfect Scent“. Diese Rolle hat Ihnen behagt?
Ich habe sie mir sogar gewünscht, und ich möchte behaupten, dass ich selbst einer derjenigen war, die in den Achtzigerjahren begonnen haben, die Parfumeure in den Vordergrund zu stellen. Mit ein paar anderen habe ich damals einen Austausch darüber begonnen, was uns wichtig ist, was wir erreichen wollen. Davor fand unsere Arbeit im Geheimen statt. Die Küchenchefs begannen übrigens etwa gleichzeitig, öffentlich über ihre Arbeit zu sprechen. Ich war damals ein junger Parfumeur und nicht damit einverstanden, dass niemand Einblick in unsere Tätigkeit erhalten sollte, wollte die Hintergründe erklären. Seit damals ist einiges passiert, und zu dieser Entwicklung gehört es auch, dass ein Maison wie Hermès nun eine eigene „Nase“ hat, die aus erster Hand über die Parfumkreationen sprechen kann. Das ist Teil derselben Entwicklung: anzuerkennen, dass hinter jedem Parfum ein kreativer Geist steht.


Präzise über Parfums zu sprechen, scheint aber schwierig zu sein, da es – im Deutschen, im Französischen – wenige Worte gibt, die sich nur auf olfaktorische Eindrücke beziehen. Vieles ist also synästhetisch angelegt.
Das mag stimmen, aber bei anderen Künsten ist es ähnlich. Auch in der Malerei, der Musik ist es so – man stellt sich gegen die Unzulänglichkeit der Sprache, gegen die Unmöglichkeit, bestimmte Eindrücke mit der notwendigen Tiefe wiederzugeben. Und dann wird eben zu Metaphern gegriffen, zu Ausdrücken, die aus anderen Sinneswelten importiert werden. Wenn sich jemand darauf versteift, über Musik oder über Malerei nur mit Fachausdrücken zu sprechen, wird er von kaum jemand anderem als Musikern und Malern verstanden werden. Schöne, zutreffende Metaphern zu finden, die eine Stimmung akkurat wiedergeben, ist also umso wichtiger.


Wie verhält sich, und damit zurück zu „Monsieur Li“, mit China als Parfumabsatzmarkt? In manchen asiatischen Ländern sind Parfums nicht Teil der Alltagskultur. Ist China anders?
Durchaus. China ist ein Land, das sich sehr schnell verändert. Vieles besteht nebeneinander, die junge Generation interessiert sich für den Westen, ist sehr konsumorientiert. Schon als ich für die Lancierung von „Jour d’Hermès“ nach China reiste, war ich erstaunt über das Fachwissen vieler Journalisten. Ein Blogger hat mich besonders beeindruckt: Er kannte meine Arbeit, befragte mich über Zitate aus meinen Büchern. Zusätzlich beeindruckte mich die Tatsache, dass sein Blog über zwei Millionen Leser hat. Dass es einen fachkundigen Parfum-Blog mit so vielen Besuchern gibt, war für mich eine echte Überraschung. Da gibt es sehr viele junge Leute, die sich wirklich für Düfte interessieren, und in China wächst ein Markt heran, der auch für die Parfumerie besonders attraktiv ist.

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