Die schottisch-jemenitische Filmemacherin Sara Ishaq über enttäuschte Hoffnungen der Revolution von 2011 und den Alltag in dem vom Krieg zerrissenen Land.
Wien. Als die preisgekrönte schottisch-jemenitische Filmemacherin Sara Ishaq 2011 in den Jemen reist, um ihre Familie zu besuchen, brechen die Proteste gegen den damaligen Machthaber, Ali Abdullah Saleh, aus. Mit der Kamera begleitet sie in dieser Zeit nicht nur ihre Familie, sondern auch die Revolution – eine Zeit der Hoffnungen und des Aufbruchs, die sie im Film „Mulberry House“ festgehalten hat. Heute versinkt das Land in Chaos und Krieg. Waren die Proteste und die hunderten Toten also umsonst?
„Die Revolution hat bei vielen Leuten das Verantwortungsgefühl geweckt, Position zu beziehen, zu versuchen, den Status quo im Jemen zu verändern und der Korruption ein Ende zu setzen“, sagt Ishaq im Gespräch mit der „Presse“. Doch viele Menschen hätten die Spannungen zwischen den einzelnen Bevölkerungsgruppen unterschätzt, die unter der Oberfläche existierten – bewusst geschürt von Machthaber Saleh, der seit 1978 den Nordjemen, ab 1990 dann das vereinte Land regierte und so seine Herrschaft sichern wollte. „Das Chaos, das wir im Jemen jetzt sehen, ist nicht das Resultat der Revolution, sondern das Ergebnis von 30 Jahren Tyrannei, Unterdrückung und Korruption.“
Ishaq selbst ist in Jemens Hauptstadt, Sanaa, geboren und hat dort ihre Kindheit verbracht, bis sie zu ihrer Mutter nach Schottland übersiedelte. „Die konfessionelle Kluft, die von den Medien seit Monaten so hervorgehoben wird, hat es zuvor nie gegeben“, erinnert sie sich. „Die schiitischen Zaiditen, die von den Houthis repräsentiert werden, und die sunnitischen Muslime haben Seite an Seite gelebt und in denselben Moscheen gebetet – niemand hat jemals danach gefragt.“ Schiiten, unterstützt vom Iran, gegen Sunniten, unterstützt von Saudiarabien – diese Idee sei erst in den vergangenen Monaten geschürt worden. Diese Polarisierung habe den sozialen Zusammenhalt in ihrem Land zerstört. „Und die Jugend, die treibende Kraft hinter der Revolution, ist an den Rand gedrängt worden und wird nun völlig missachtet.“
Der Krieg bedroht auch ihre Familie im Jemen – den Vater und Großvater, die Geschwister. Der Filmtitel „Mulberry House“ ist eine Anspielung auf die liebevoll gepflegten Maulbeerbäume im Garten ihres Elternhauses. Heute ist das Haus verlassen. Das Viertel wird von der Militärallianz unter saudischer Führung bombardiert, weil sich dort viele Einrichtungen der Houthi-Rebellen befinden. Ihre Familie ist zu Verwandten ins Zentrum Sanaas gezogen. Wirklich entgehen könne den Bombardements in der Stadt aber keiner, sagt Ishaq. „Militärgebäude und strategische Einrichtungen sind überall in den Wohngebieten der Stadt verteilt.“
Viel kaputt gemacht habe im Jemen auch der Anti-Terror-Kampf der USA. Saleh habe Washington freie Hand gelassen. Gezielte Drohnenangriffe hätten die Menschen nur stärker radikalisiert. Die Kultur der Vergeltung spiele in der jemenitischen Stammesgesellschaft eine große Rolle, sagt Ishaq. Opfer von Drohnenangriffen habe sie selbst interviewt und ihre Zeugnisse aufgezeichnet. „Sie sagen: Ich werde Vergeltung üben. Es gibt Kinder, die die Rache an denjenigen, die ihre Familie umgebracht haben, als ihren Lebenstraum bezeichnen.“
Inmitten der eskalierenden Situation soll nun eine Onlinekampagne neue Impulse schaffen, die Ishaq mit Freunden ins Leben gerufen hat. Unter dem Stichwort „#Kefaya War“, was „Genug des Kriegs“ bedeutet, können Menschen weltweit ihre Solidarität ausdrücken. Jemeniten posten Fotos aus ihrem Alltag im Krieg. „Wir versuchen damit, die Aufmerksamkeit auf die Menschen zu lenken, die nicht für die sich bekriegenden Parteien stehen – also die überwiegende Mehrheit der Jemeniten.“
("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.04.2015)