Homolka: "Das würde Hitlers Rassenwahn fortsetzen"

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Walter Homolka leitet das europaweit einzigartige Rabbinerseminar in Potsdam: Ein Gespräch über Orthodoxe in Wien, weibliche Geistliche, warum Abstammung unwichtig ist und Antisemitismus kein großes deutsches Problem mehr.

Die Presse: Wundern Sie sich als Reformjude, wenn Sie in Wien auf dem Karmeliterplatz zwischen so vielen streng orthodoxen Juden gehen?

Walter Homolka: Ich finde es symptomatisch, dass sich hier so eine Form von jüdischem Leben erhalten hat, aber man muss bedenken, dass das nicht das gesamte Judentum ist.

Gibt es überhaupt eine Gesprächsbasis?

Klar, aber das sind schon Unterschiede wie zwischen Katholischen und Evangelischen.

Spielt die Orthodoxie in Österreich eine sehr andere Rolle als in Deutschland?

Man lebt in Österreich doch sehr wie in einer Wagenburg. Die Debatten um das Israelitengesetz waren auch von der Orthodoxie dominiert, da hat die zuständige Ministerin Schmied gravierende Fehler gemacht hat, weil sie die Pluralität nicht beachtet hat.

Was ist in Deutschland anders?

Vor dem Fall der Mauer war das Judentum in Deutschland auf 20.000 geschrumpft. In der Orthodoxie werden Juden, die Nichtjuden heiraten, oft ausgeschlossen, das war auch in Deutschland lang so. Durch die Zuwanderung aus der ehemaligen UdSSR hat sich das total gewandelt. Das Judentum in Deutschland würde heute nicht mehr sagen, es ist orthodox. Die Neuen waren religiös wenig gebunden, das hat viel mehr Vielfalt gebracht und Veränderungsdruck. Heute haben wir das Problem, diese Leute überhaupt für das Judentum zu gewinnen. Sie sind offiziell in der jüdischen Gemeinde, aber das heißt nicht, dass sie sich damit identifizieren.

Sie selbst haben „nur“ eine jüdische Großmutter, werden also von vielen Orthodoxen nicht als echter Jude gesehen, oder?

Ja, das ficht mich nicht an. Heute müssen wir jeden gewinnen, der im Judentum ein Zuhause finden will. Wie wollen Sie bei einem Zuwanderer aus Russland feststellen, ob er jüdische Vorfahren hat, ohne Papiere? Bei uns gibt es einen Witz: Kommen Leute in das jüdische Gemeindeamt, wollen sich als Juden anmelden und zeigen ihre Papiere, da steht, dass der Vater jüdisch ist. Dann sagt man ihnen, die Mutter ist entscheidend – na da kommen sie die Woche drauf mit den Papieren, auf die Mutter ausgestellt ... Meiner Meinung nach ist die Abstammungsregel fiktional. Zu dieser Sicht muss man kommen, alles andere wäre eine Fortsetzung von Hitlers Rassenwahn mit anderen Mitteln.

Haben Sie Antisemitismus in Deutschland am eigenen Leib erlebt?

Niemals. Dabei bin ich auch Reserveoffizier in der Armee und überhaupt in vielen Szenen unterwegs. Ich halte Deutschland nicht für ein Land, wo man primär über solche Dinge nachdenken muss. Frankreich, Ungarn, Polen ja – und auch Österreich ist glaube ich ein bisschen antisemitischer.

Wie hat sich das Verhältnis deutscher Juden zu Israel entwickelt?

Auch in Israel sind die Orthodoxen eine Minderheit, aber sie werden doch ein bisschen mehr, auch weil streng orthodoxe Juden aus dem Ausland nach Israel einwandern. Das stärkt dort auch den rechten politischen Sektor. Die Spannung zwischen den Juden in Israel und den Diaspora-Juden ist dadurch spürbarer geworden. Es gibt keine automatische absolute Loyalität mehr.

Heuer wird die Enyzklika „Nostra aetate“ 50 Jahre alt, mit der die katholische Kirche dem Antijudaismus eine Absage erteilt hat. Ist für Sie jetzt alles gut?

Dass auch in anderen Religionen Wahrheit stecken kann, war sicher eine bahnbrechende Erkenntnis. Die Euphorie ist inzwischen getrübt worden, durch den Streit um die Karfreitagsliturgie unter Papst Benedikt XVI. ...

... wo es heißt, Gott möge die Juden „erleuchten“, damit sie Jesus Christus als den Retter erkennen.

Ja. Seitdem frage ich mich, ob die katholische Kirche wirklich in der Lage ist, das Judentum als gleichberechtigt zu sehen.

Was heißt hier gleichberechtigt?

Wenn die Kirche vom älteren Bruder spricht, an welches Verhältnis denkt sie? An das vom Linsengericht, in dem der jüngere Bruder dem älteren das Erstgeburtsrecht wegschnappt? Das wäre wenig brüderlich. Oder sagt man, der alte Gottesbund ist so gleichberechtigt wie die christliche Gottesbeziehung? Dann tauchen ernste Fragen auf.

Zum Beispiel?

Warum akzeptiert das Judentum die Ehescheidung, das Christentum nicht? Warum akzeptiert das Judentum die Frauenordination und weitgehend die Ordination von Schwulen und Lesben, das Christentum nicht? Wenn der alte Bund ungekündigt ist, müssen diese Unterschiede bei Ehe und Familie der katholischen Kirche zu denken geben. Die Frauenordination war einer der wichtigsten Durchbrüche, 1935 hatten wir in Deutschland die erste Rabbinerin. Da gäbe es viele Dialogmöglichkeiten zwischen der Kirche und den zeitgenössischen Formen des Judentums. Allerdings unterhält sich der Vatikan lieber mit der Orthodoxie, weil die seine Positionen eher bestätigt.

Sieht denn das Judentum das Christentum als gleichberechtigt an?

Das Judentum insgesamt, auch die Orthodoxie, hat nie ein Problem gehabt zu sagen, dass auch andere Religionen total okay sind! Deswegen haben Juden keinen Missionsbefehl ...

Nicht auch deswegen, weil ihnen der Glaube der anderen eher egal ist?

Nein, nein, sondern weil es wesentlich darum geht, was man tut, nicht, was man glaubt. Wenn Sie sich ethisch verhalten, sind Sie genauso gut wie jeder Jude.

Was spielt dann das Auserwähltsein überhaupt für eine Rolle?

Das ist eher Verpflichtung als Privileg. Deswegen gibt es das Argument gegen das Jude-Werden: Als Jude schwächen Sie Ihre Chancen, Sie haben hunderte Gebote, im Christentum sind es zehn. Da haben Sie viel bessere Karten!

ZUR PERSON

Walter Homolka (geb. 1964) ist Gründer und erster Rektor des Abraham-Geiger-Kollegs an der Uni Potsdam und initiierte die School of Jewish Theology der Uni Potsdam 2013. Der deutsche Rabbiner war u.a. Manager bei Bertelsmann und leitete Greenpeace Deutschland. In Wien referierte er auf Einladung des Karl-Kummer-Instituts über religiöse Strömungen des zeitgenössischen Judentums.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.04.2015)

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