Im Poker um Nahost hat der Iran gute Karten

Das Rahmenabkommen von Lausanne ist nicht nur ein Kompromiss zu Atomforschung und Sanktionen, es beeinflusst auch die Nahost-Politik. Der Iran wird zum Partner des Westens – sehr zum Missfallen vieler Akteure der Region.

Der Iran wird sich immer wie ein Imperium verhalten, egal, ob nun ein Shah, ein General oder ein Ayatollah an der Spitze steht“, erklärte der Beiruter Historiker Viktor al-Kik der Autorin vor vielen Jahren. Nimmt man eine politische Landkarte des frühen 17. Jahrhunderts, als die Dynastie der Safawiden das damals noch als Persien bezeichnete Reich beherrschten, so decken sich die damaligen Einflusszonen teils mit jener der Islamischen Republik Iran in der Region von 2015.

Die militärischen Interventionen des Westens von Afghanistan bis in den Irak haben in den vergangenen 14 Jahre dank Beseitigung iranischer Erzfeinde den Radius Teherans massiv vergrößert. Daran haben auch die Sanktionen und die arabischen Revolten seit 2011 nichts geändert.

Teheran hat Optionen

Im Gegenteil: Der Iran ist zusehends zu einer Drehscheibe zwischen dem Persischen Golf und Zentralasien mutiert. Die Volksrepublik China ist ebenso als Kunde iranischer Rohstoffe präsent, wie Russland Partner in militärischen und technischen Fragen ist. Moskau erkundigt sich, wie man unter Sanktionen wirtschaftet.

Aus westlicher Sicht erfolgte die Rückkehr des Landes auf die politische Weltbühne in mehreren Etappen, die noch in die Bush-Administration zurückreichen. Herrschte in Washington lang die Devise: „Wir sprechen nicht mit Leuten, die wir nicht mögen“, so setzte sich allmählich Pragmatismus durch, den noch die republikanische Außenministerin Condoleezza Rice einführte.

Denn die Vereinigten Staaten benötigten die Kooperation mit Teheran, um ihre teuren Abenteuer in Afghanistan und im Irak zu einem halbwegs operativen Abschluss zu bringen. Mit dem Genfer Abkommen vom 24. November 2013 und dem vagen Factsheet beziehungsweise Rahmen von Lausanne vom 2. April ist der Iran nun zum Missfallen der arabischen Sunniten und Israels wieder ein Partner des Westens auf Augenhöhe.

Die kommenden drei Monate bis zum Abschluss eines definitiven Abkommens werden zur geopolitischen Gratwanderung für alle Beteiligten. Der Luftkrieg der Saudis gegen den Jemen, wie auch die wachsende Repression Riads gegen die schiitische Minderheit im Osten des ölreichen Königreichs und das Chaos rund um das Kalifat des Islamischen Staates (IS) zwischen Syrien und dem Irak können noch einige Bomben zum Explodieren bringen.

Zwischen Teheran, Washington und dem UN-Sicherheitsrat müssen jene, die nun an einem finalen Vertragswerk arbeiten, die Nerven behalten. Dabei sind innenpolitische Landminen genauso zu entschärfen wie auch die jeweiligen Verbündeten bei Laune gehalten werden müssen.

Partner gegen den IS

Dankbar sind die Amerikaner für das iranische Engagement im Kampf gegen den IS im Irak, wo hohe Militärberater auf dem Boden mit der von den USA aufgebauten irakischen Armee kooperieren, während die US-Luftwaffe Angriffe gegen Stellungen der Terrormiliz fliegt. Letztere wiederum werden von jenen einstigen irakischen Soldaten gehalten, die das US-Militär 2003 nach Hause schickte, nachdem sie die Armee Saddam Husseins mit einem Federstrich aufgelöst hatten.

Heftig protestiert der Westen aber gegen die iranische Präsenz in Syrien, wo die Achse zu Präsident Baschar al-Assad entscheidend für dessen Überleben ist. War es einst Damaskus, das die Nachschublinien für den Iran in schwierigen Kriegstagen angesichts der irakischen Angriffe von 1980 bis 1988 offenhielt, so handelt nun Teheran aus Kalkül und nicht bloß Dankbarkeit entsprechend reziprok.

Denn eine weitere Expansion des IS, den Saudiarabien und die Türkei mit hochgezüchtet haben, bedroht die Schiiten in Syrien und im Libanon. Der Iran versteht sich seit Jahrhunderten als Schutzmacht der Schiiten in der Levante, die lang ein Dasein am Rand fristeten. Auf der anderen Seite beanspruchen die Saudis und die Türkei ebendiese Rolle für die Sunniten – ob nun im Jemen, Libanon oder in Bahrain.

Die Schauplätze der vielen Stellvertreterkriege ziehen sich von der Levante über die Arabische Halbinsel bis in den Hindukusch. Was vielerorts als ein Zwist um Beteiligung an der Macht begann, ist zum innermuslimischen Massaker degeneriert. Das passierte bereits vor 1400 Jahren unter den Erben des Propheten Mohammed. Heute ist die Sprengkraft dieser Konfrontation noch viel größer als je zuvor in der Geschichte der Region.

Mikrokosmos Libanon

Der Rückfall in archaische konfessionelle Denkkategorien belastet den Nahen Osten schon eine Weile. Ein Spiegel dieses Dilemmas ist der Libanon mit seinen 18 Religionsgruppen. Die politischen Reaktionen auf das Abkommen von Lausanne verlaufen entlang dieser konfessionellen Gräben. Die von saudischem Geld finanzierten Beiruter Politiker – ob Sunniten oder Christen – kritisierten lautstark und mit ähnlichen Vorwürfen, wie sie auch von israelischer Seite her kommen; die vom Iran geförderte Hisbollah begrüßte den Deal mit den USA.

In der Logik eines Vertrags mit dem Iran dreht sich einiges. Alle beobachten mit Argusaugen die nächsten Phasen der schriftlichen Umsetzung. Um aus Eckpunkten nun ein wasserdichtes Abkommen zu machen, bedarf es mehr, als schlaflos in Lausanne zu sein. Die Experten, ob jene im Isotopenbereich oder in Völkervertragsrecht, müssen an den Texten feilen. Hierbei stellt sich die Frage, wer eigentlich die Außenpolitik gestaltet.

Diskretion gefragt

Im byzantinisch undurchsichtigen Machtgefüge von Teheran wollen ebenso viele Köche mitmischen, wie dies auch in vielen westlichen Außenministerien der Fall ist. Es gibt im Iran viele Profiteure der Sanktionen, die ihre Futtertröge nicht verlieren wollen. Die Entscheidungsträger allein in Hardliner und Gemäßigte zu kategorisieren, greift nicht. Wie immer in der Politik geht es um Interessen.

Im ratlosen Westen wieder intervenieren dieser Tage stündlich die Lobbyisten von Staatsfonds aus dem arabischen Golf, deren Geld so manche europäische Regierung bitter nötig hat, um das Abkommen zu torpedieren. Die Querschläge von republikanischen US-Senatoren und die medialen Ausritte des israelischen Premiers Netanjahu gesellen sich zu diesem allgemeinen diplomatischen Aufruhr.

Wie sich die nahöstliche Welt am 30. Juni präsentiert, wird vom Umgang mit all diesen Unwägbarkeiten abhängen. Diplomatie ist die hohe Kunst, auf gleicher Augenhöhe in absoluter Diskretion das Gespräch zu wahren und die richtige Formulierung zu finden.

Der Genfer See bietet sich wiederum als Tagungsort an. An der Alten Donau, wo in der Atombehörde zwar die Experten die Dossiers auswendig können, erwies sich das Wiener Ambiente im Sinn der Diskretion zuletzt als wenig geeignet. Indes mögen die Pragmatiker die Ideologen, wo auch immer, mit sachlichen Argumenten in die Schranken weisen.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

DIE AUTORIN



Karin Kneissl
(* 1965 in Wien) studierte Jus und Arabistik in Wien. Sie war 1991/1992 Studentin an der ENA. 1990 bis 1998 im diplomatischen Dienst, danach Lehrtätigkeit. Zahlreiche Publikationen, darunter: „Die Gewaltspirale. Warum Orient und Okzident nicht miteinander können“ (2007); „Mein Naher Osten“ (Braumüller 2014) . [ Privat ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.04.2015)

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