"Sic semper tyrannis": Das Attentat auf Abraham Lincoln

John Wilkes Booth erschießt Präsident Lincoln.
John Wilkes Booth erschießt Präsident Lincoln.(c) imago stock&people
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Vor 150 Jahren wird US-Präsident Lincoln im Theater erschossen. Wenige Tage zuvor war der Amerikanische Bürgerkrieg zu Ende gegangen.

US-Präsident Abraham Lincoln ist guter Laune, als er am 14. April 1865 mit seiner Frau Mary das Ford's Theatre betritt. Vor wenigen Tagen ist der US-Bürgerkrieg (zur interaktiven Zeitleiste) für die Nordstaaten siegreich zu Ende gegangen. Auf seine persönliche Sicherheit achtet der von vielen Südstaatlern gehasste Präsident der Union wenig. Er ist der Meinung, dass jeder, der ihn töten will, ohnehin nicht daran gehindert werden könne. Ein Leibwächter begleitet ihn zwar ins Gebäude, in seiner Loge ist er aber ungeschützt. Im Theater läuft die Komödie "Our American Cousin". Lincoln und seine Frau amüsieren sich, halten Hände.

Dann spricht der zu diesem Zeitpunkt allein auf der Bühne stehende Schauspieler Harry Hawk um 22:15 Uhr folgende Worte: "Don’t know the manners of good society, eh? Well I guess I know enough to turn you inside out, old gal — you sockdologizing old man-trap!" Es sind die letzten Worte, die Lincoln hört.

Dann fällt ein Schuss, kurz darauf springt ein Mann aus der Präsidenten-Loge auf die Bühne. Viele im Publikum erkennen den Mann, der schon oft in dem Theater gespielt hat: Es ist der Schauspieler John Wilkes Booth. Er schreit die Worte "sic semper tyrannis" ("So immer den Tyrannen"), ehe er hinkend flüchtet. Die Verwirrung ist groß: Gehört die Szene zum Stück?

"Sic semper tyrannis"

Der Ausruf wird Marcus Brutus zugeschrieben, der ihn bei der Ermordung von Julius Caeser getan haben soll. "Sic semper tyrannis" ist aber auch das Staatsmotto des US-Bundesstaates Virginia.

Doch nur kurz darauf ist klar: Präsident Lincoln wurde Opfer eines Attentats. Booth, ein fanatischer Anhänger des Südens, hat Lincoln mit einer einschüssigen Derringer-Vorladerpistole aus unmittelbarer Nähe von hinten in den Kopf geschossen. Als Schauspieler, der selbst im Theater - auch vor Lincolns Augen - aufgetreten ist, kennt er alle Ein- und Ausgänge des Gebäudes. Der 56-jährige Lincoln erlangt das Bewusstsein nicht wieder und wird um 7.22 Uhr am 15. April für tot erklärt. "Nun gehört er zu den Unsterblichen", sagt Kriegsminister Edwin Stanton. Vizepräsident Andrew Johnson wird kurz darauf als neuer Präsident angelobt.

Lincolns Mörder flieht indes mit einem Pferd aus der Stadt, gemeinsam mit dem Komplizen David Herold. Booth glaubt auf dem Gebiet der Konföderierten Unterschlupf zu finden, doch auch in den Südstaaten überwiegt das Entsetzen über die Tat. Auf ihn und seine mutmaßlichen Komplizen wird ein Kopfgeld ausgesetzt. Booth und Herold verstecken sich am 26. April in einer Scheune. Diese wird von der Polizei umstellt und schließlich in Brand gesteckt. Herold ergibt sich, Booth stirbt durch eine Polizeikugel.

Schlag gegen Führung der Union

Am Abend des 14. April wurde aber nicht nur das Attentat auf Lincoln verübt. Booth und seine Mitverschwörer, die allerdings ohne Rückendeckung der Führung der Konföderierten handeln, planten einen großen Schlag. Zeitgleich mit Lincoln sollten auch Vizepräsident Andrew Johnson und Außenminister William Seward sterben.

Das Attentat auf den Vizepräsidenten fand jedoch nicht statt. George Atzerodt, von Booth damit beauftragt, schreckte davor zurück. Mitverschwörer Lewis Powell hingegen attackierte den nach einem Unfall ans Bett gefesselten Außenminister Seward mit einem Messer und verletzte ihn schwer. Seward dient später auch unter Lincolns Nachfolger Johnson als Außenminister.

Eine Pensionswirtin als unschuldiges Opfer?

Alle Mitverschwörer Booths werden gefunden und verhaftet - bis auf den angeblichen Komplizen John Surratt. Stattdessen wird seine Mutter Mary, eine Pensionsbesitzerin - in deren Haus zahlreiche konspirative Treffen Booths stattgefunden haben sollen - als Mitverschwörerin eingesperrt. Das neue Kabinett Johnson sieht den eben errungenen Sieg über die Südstaaten gefährdet und will weitere Anschläge verhindern. Deshalb wird ein Militärtribunal installiert - obwohl die Angeklagten ausschließlich Zivilisten sind. Dieses soll - ohne viel Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit - möglichst rasch Urteile fällen. Kriegsminister Stanton ist der Ansicht, dass man, um Frieden zu gewähren, das Gesetz verletzen muss.

Schließlich werden am 30. Juni 1865 der Attentäter Powell, Booths Fluchthelfer Herold, der Verschwörer Atzerodt und Mary Surratt, die Pensionswirtin, zum Tode durch den Strang verurteilt. Über Mary Surratts Schicksal hat Robert Redford den anklagenden Film "Die Lincoln-Verschwörung" gedreht, der den Vergleich zur Lage in den USA nach den 9/11-Anschlägen (Guantanamo) aufdrängt.

Surratts Sohn John wird übrigens Jahre später, als seine Verhaftung doch noch gelingt, aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Er gesteht zwar, an einem gescheiterten Entführungsversuch Lincolns beteiligt gewesen zu sein, von den Attentatsplänen will er aber nichts gewusst haben. John Surratt wird im Gegensatz zu seiner Mutter auch vor ein ziviles Gericht gestellt, weil der Oberstes Gerichtshof der USA inzwischen entschieden hat, dass Zivilisten nicht einmal in Kriegszeiten vor ein Militärtribunal gestellt werden dürfen.

Die Hinrichtung der Lincoln-Mitverschwörer ((Mary Surratt, Lewis Powell, David Herold und George Atzerodt).
Die Hinrichtung der Lincoln-Mitverschwörer ((Mary Surratt, Lewis Powell, David Herold und George Atzerodt).(c) Alexander Gardner

"Neue Freie Presse" berichtet erst am 1. Mai

Die "Neue Freie Presse" berichtete übrigens erst über zwei Wochen später, am 1. Mai 1865, von dem Attentat. Kein Wunder: Amerika und Europa sind erst ab 1866 durch ein Tiefseekabel per Telegrafenleitung miteinander verbunden (mehr dazu).

Der London-Korrespondent beschreibt in dem Bericht, welcher Aufruhr in der britischen Hauptstadt herrscht, als sich die Botschaft von Lincolns Tod verbreitet: "Von der Aufregung, die gestern London durchtobte, ist es schwer, einen Begriff zu geben". "Lincoln selbst hat den Märtyrertod für die heilige Sache der Befreiung sterben müssen", urteilt der Korrespondent, der auch der englischen Presse eine Mitschuld an Lincolns Tod gibt. "Der Thrann Lincoln! - das war seit Jahren der beständige Refrain englischer Preßartikel. Die Kugel, die Lincoln tödtete, ist aus den Lettern solcher Artikel gegossen; das Schlachtmesser, das Seward und seinen Söhnen die furchtbaren Stöße versetzte, ist an englischem Wetzstein geschärft." 

Booth rettet Lincoln das Leben

Ironie des Schicksals: Während John Wilkes Booth im April 1865 Abraham Lincoln tötet, rettet Booths Bruder Edwin 1863 oder 1864 Lincolns ältesten Sohn Robert Todd Lincoln vor dem sicheren Tod, als er vor einen Zug zu fallen droht.

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