Depression: Nachwirkungen einer Katastrophe

Heute fühlt sich Christine Reinhardt wieder wohl – und hilft Betroffenen, aus ihrer Depression zu kommen.
Heute fühlt sich Christine Reinhardt wieder wohl – und hilft Betroffenen, aus ihrer Depression zu kommen.Die Presse
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Nach dem Absturz der Germanwings-Maschine fordert u.a. Bayerns Innenminister ein Berufsverbot für Depressive. Experten und Betroffene sind alarmiert und warnen vor einer Stigmatisierung von psychisch Kranken.

Die Erschöpfung kam schleichend – aber irgendwann ging nichts mehr. Eines Morgens saß Christine Reinhardt weinend im Auto und wusste nicht, wie sie aussteigen und in ihr Büro gehen sollte. Erst ein Magengeschwür, das sie kurz darauf plagte, gab der damals 35-Jährigen zu denken. „Erst da erlaubte ich mir, offiziell in den Krankenstand zu gehen.“ Doch einige Wochen später ging sie wieder ins Büro, bemerkte aber, dass immer öfter Dinge liegen blieben und sie sich in der Freizeit kaum erholen konnte.

Ihrem Arbeitgeber sagte Reinhardt damals nicht, dass sie an einer Erschöpfungsdepression litt. „Aus Angst, dass ich nicht verstanden werde.“ Die Vorstellung, man könnte künftig verpflichtet werden, den Arbeitgeber über eine psychische Erkrankung zu informieren, ist für sie beängstigend. Doch nach dem Absturz der Germanwings-Maschine in den französischen Alpen, der vom Kopiloten absichtlich herbeigeführt worden sein soll, und der Debatte um den Gesundheitszustand des Mannes steht genau das plötzlich im Raum: Für Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) ist sogar ein „Berufsverbot für Menschen mit Depressionen denkbar“. Dem Magazin „Focus“ sagte er, wenn „eine sorgfältige medizinische Begutachtung“ zu dem Ergebnis komme, „dass etwa ein Pilot, ein Busfahrer oder ein Taxifahrer dauerhaft nicht mehr geeignet ist, Menschen oder sonstige Güter zu transportieren, ohne dass Gefahr für Leib und Leben anderer besteht“, müsse gehandelt werden. Ähnliches schlägt auch der Mediziner und SPD-Fraktionsvize Karl Lauterbach vor.

„Rate dringend ab“

Die Vorschläge haben am Freitag in Deutschland eine heftige Debatte ausgelöst. Entsetzt von der Idee ist auch Georg Psota, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie (ÖGPP): „Das ist eine heftige Stigmatisierung einer gar nicht so seltenen Erkrankung, von der ich nur dringend abraten kann.“ Noch dazu, wo noch gar nicht gesichert sei, woran der Kopilot gelitten habe. „Die Frage, ob er wirklich schwer depressiv war, muss erst geklärt werden.“ Zudem sollten nach so einer Katastrophe keine voreiligen Schlüsse gezogen werden. „Ich bedauere es, wie viel hier in der Berichterstattung vermischt wird.“ Die ÖGPP warnte in einer Aussendung u.a. mit der Gesellschaft für Suizidprävention vor „verkürzten Erklärungen“ rund um den Flugzeugabsturz. Das beginne schon dabei, dass es nicht die eine Depression gibt, die immer gleich abläuft, sagt Psota. Natürlich, wenn jemand eine akut schwer depressive Phase erlebe, solle er ebenso nicht arbeiten wie nach einem Herzinfarkt oder bei einer schweren Grippe. Doch aus seiner Erfahrung leidet jemand, der schwer depressiv ist entweder an hochgradiger Nervosität oder hat eine völlige Blockade – „in beiden Fällen sind Menschen in der Regel nicht einmal in der Lage, an ihrem Arbeitsort zu erscheinen.“

Die deutsche Bloggerin Jana Seelig kann das aus eigener Erfahrung bestätigen: „Wenn ich eine depressive Phase habe, denke ich darüber nach, mich umzubringen. Aber ich schaffe es dann nicht einmal, aufzustehen und meinen Laptop aufzuklappen, geschweige denn in ein Flugzeug zu steigen.“ Im Herbst hat Seelig auf Twitter (wo sie sich Jenna Shotgun nennt) ihre Depression öffentlich gemacht. Unter dem Hashtag #notjustsad postete sie – und später auch andere Menschen – ihre Erfahrungen damit. Auch um sie zu enttabuisieren. Das Bekenntnis habe ihr Vor- und Nachteile gebracht, sagt sie. Gut ist, dass sie nun ein Buch zum Thema schreibt, das im Herbst erscheinen soll. Gut ist auch, wie vielen Betroffenen sie Mut machte. „Manche schrieben: „Jetzt weiß ich endlich, was ich tun kann.“ Schlecht ist aber: „Ich bin jetzt natürlich ,die Depressive‘. Das wird mir für immer nachhängen.“ Auch im Berufsleben, denn künftige Arbeitgeber könnten sie ja leicht googeln. Die Debatte über ein Berufsverbot hält sie für gefährlich, weil sie ahnt, was die Folge sein könnte: „Betroffene würden dann vielleicht aus Angst vor einem Jobverlust nicht mehr zum Arzt gehen.“ Genau das dürfe aber nicht passieren, sagt Psychiater Psota. Betroffene sollten vielmehr animiert werden, sich helfen zu lassen, und verstehen, wie weit verbreitet die Krankheit ist. (In Deutschland sind 4,5 Mio. betroffen, ca. sechs Prozent der Bevölkerung. Für Österreich gibt es keine Zahlen.) Er erwähne auch gern, wie viele berühmte Menschen depressiv waren: Churchill, Beethoven, Edvard Munch...

Christine Reinhardt ließ sich erst richtig helfen, als sich der Arbeitgeber schließlich auch wegen ihrer wiederholten Krankenstände von ihr trennte. „Die Entscheidung wurde für mich getroffen, aber rückblickend gesehen war das gut.“ Ihr halfen eine Psychotherapie, Medikamente und der Besuch einer Selbsthilfegruppe des Vereins Pro Mente. Seit gut sechs Jahren fühlt sie sich wieder wohl. Heute bietet sie ihrerseits Betroffenen Hilfe in Selbsthilfegruppen an. „Begleiten wird mich die Krankheit ein Leben lang, weil sie zu mir gehört.“ Heute weiß sie aber, dass und wie sie auf sich schauen muss.

Lexikon

Depression ist nicht gleich Depression – das wird in der öffentlichen Debatte oft übersehen. Daher eine kleine Begriffserklärung:

Depression. Eine psychische Störung, deren Leitsymptom psychische Niedergeschlagenheit ist. Im psychiatrischen Sinn handelt es sich um eine ernste Störung, deren Symptome nicht durch reine Willenskraft bekämpft werden können (im Gegensatz zu einer Verstimmung).

Bipolare Störung. Früher wurde auch von einer manisch-depressiven Erkrankung gesprochen. Gekennzeichnet durch episodische, nicht willentlich kontrollierbare Wechsel von Stimmung, Antrieb und Aktivität.

Burn-out. Ein Zustand emotionaler Erschöpfung, der wissenschaftlich allerdings nicht als Krankheit anerkannt ist. Bei einem fortgeschrittenen Burn-out-Syndrom kann eine Depression entstehen.

Infos unter:

Pro Mente Wien
Tel.: +43/(0)1/513 153 02 04
Web: www.promente-wien.at

Österreichische Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie:
Baumgartner Höhe 1 Tel.: +43/(0)1/910 601 13 11
Web: www.oegpp.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.04.2015)

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