Hotel: 191 mal 95 mal 95 Zentimeter

Klein, aber guenstig: Das 1-Bett Hotel in Taiyuan
Klein, aber guenstig: Das 1-Bett Hotel in TaiyuanExclusivepix Media / Action Pres / picturedesk.com
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Seit 35 Jahren läuft das älteste Kapselhotel in Osaka. Das Capsule Inn ist nicht nur eine Goldgrube, es hat auch weltweit Nachahmer gefunden. Kein Wunder: höchste Effizienz, geringe Kosten.

Beim ersten Mal wirkt es wie klaustrophobischer Traum. Die Schuhe parken in kleinen Schränkchen gegenüber der Rezeption, die Kleidung hängt in einem Spind im separaten Spindraum. Und das Zimmer, in dem man schlafen soll? Drin stehen kann man nicht, sich umziehen kaum. Schnarchen könnte man, das würde aber die Ruhe der anderen Gäste stören. Eingepfercht in einen Raum, der nicht einmal eine Kammer ist, bloß eine Röhre, liegt man dann da. Vom großen Schlafsaal trennt nur eine dünne Jalousie. „Oyasumi nasai“, gute Nacht, hat die Rezeptionistin noch gepiepst und ein Schlafgewand und Waschzeug über den Tresen gereicht.

Auf den Gängen herrscht am Abend reges Treiben, einige Gäste kommen aus der Sauna, andere steigen aus der Raucherkammer oder sitzen in einem tiefen Sessel vor dem Fernseher. Nur gesprochen wird kaum, jeder bleibt für sich, still und unauffällig. Der Geräuschpegel gleicht dem einer Bibliothek. Das hier ist aber ein Hotel, genauer: ein Kapselhotel, und zwar das älteste und bekannteste der Welt. Seit 35 Jahren ist das Capsule Inn in Osaka, Japans zweitgrößter Metropole, zweifellos der Revolutionär unter den urbanen Absteigen.

Wie kaum eine andere der vielen japanischen Nachkriegsinnovationen steht das Kapselhotel für höchste Effizienz, bietet Gästen zwar kaum Platz, aber verblüffend viel Komfort. Weltweit ist das Konzept imitiert worden: Münchens Flughafen hat sich um die Jahrtausendwende eines gebaut, im Herbst eröffnet an der Seine in Paris ein neues Kapselhotel.


Idee stammt vom Großvater. „Wir haben niedrige Unterhaltungskosten“, erklärt Yoshie Nakano, die in der Geschäftsführung des Hotels in Osaka arbeitet. Ihr Großvater Yukio Nakano hat das Capsule Inn gründet, heute gehört der Familie ein Kapselhotelimperium. Erstmals wirbt man auch mit geräumigen Kapseln: Statt der üblichen 191 mal 95 mal 95 Zentimeter bieten die Röhren nun 207 mal 105 mal 104 Zentimeter. „Da kann man sich viel besser bewegen“, sagt Nakano. Ihr Großvater hatte einst ein gut besuchtes Spa geführt. Aber in den japanischen Metropolen der 1970er-Jahre boomte das Geschäftsleben durch den Wirtschaftsaufschwung derart, dass Angestellte oft bis in die Nacht arbeiteten oder mit Kollegen um die Häuser zogen, bis die letzten Busse und Bahnen abgefahren waren. So lief Nakanos rund um die Uhr geöffnetes Spa vor allem in der Nacht gut, denn ein paar Stunden in Whirlpool, Sauna oder Liegeräumen auszuharren, kam die Gestrandeten billiger als eine Nacht im Hotel oder ein Taxi nach Hause.


Science-Fiction-Feeling. Yukio Nakano witterte das große Geschäft. Oberhalb seines Spas mietete er weitere Stockwerke an, um seinen Stammkunden Schlafplätze zu bieten. Die Übernachtungspreise setzte er einen Tick höher an als den bloßen Eintritt ins Spa, aber wer über Nacht blieb, für den war der Wellnessbereich inkludiert. 420 Betten wurden installiert, die zumindest damals wie die Zukunft aussahen: gegossen aus stabilem, hellem Plastik und bestückt mit kurzen Leitern erinnerten die mit Röhren gefüllten Schlafsäle an Raumschiffe aus Science-Fiction-Filmen.

Das erste Kapselhotel in Osakas zentralem Stadtteil Umeda vereinte damit so viele Innovationen in sich wie nur wenige Bereiche: Das Geschäft der Hotellerie war um ein ganzes Marktsegment reicher geworden, durch den ultramodernen Look ließ es herkömmliche Unterkünfte auch noch altbacken aussehen.

„Wir beschäftigen 40 Personen pro Schicht“, sagt Yoshie Nakano. „Unser Reinigungspersonal schafft 80 Betten in zwei Stunden.“ Das Capsule Inn setzt 220 Millionen Yen pro Jahr um (rund 1,7 Millionen Euro), mit einer Gewinnmarge von 50 Prozent. Weitere Einnahmen durch Verkostung und Zusatzangebote im Wellnessbereich treiben den Gesamtumsatz auf 640 Millionen Yen (rund 4,94 Millionen Euro).

Aber hält man es in einer Kapsel überhaupt eine Nacht lang aus, ohne unter Sauerstoffmangel und Enge verrückt zu werden? In den Schlafsälen herrscht Totenstille. Das Gebot der Rücksicht wird die meiste Zeit so streng respektiert, dass man die Hinweisschilder auf den Gängen für überflüssig halten könnte. Dem Restrisiko etwaiger schnarchender Gäste wird mit Fernseher und Radio in der Schlafröhre vorgebeugt, die man mit Ohrstöpseln nutzen darf. Und wer schlecht geschlafen hat, dem bleiben am Morgen mehreren Saunen, Whirlpool, Duschen und Massagen. Vor dem Auschecken gibt es ein kleines Frühstück. Alles in allem kostet so eine Nacht 3100 Yen (rund 24 Euro).

Die meisten Gäste bleiben nur eine Nacht. Es sind vor allem Geschäftsleute, die am Abend spontan Unterschlupf suchen. „Einige Gäste kommen auch zu Mittag und halten bei uns ein Nickerchen“, sagt Yoshie Nakano. Eine Gruppe aber, die in Japan bisher klar ausgegrenzt ist, sind Frauen. In den Anfangsjahren der Kapselhotels blieben sie dem Arbeitsmarkt entweder ganz fern oder waren durch ihre typischen Assistenzjobs meist von langen Arbeitstagen ausgeschlossen, sodass es sich aus Sicht der Hotelbetreiber kaum lohnte, in getrennte Schlafsäle und Spas zu investieren.

Langsam ändert sich das. Mit der zunehmenden Erwerbsquote japanischer Frauen bieten Kapselhotels vereinzelt schon ganze Stockwerke mit Röhren nur für Damen an. Und da die platz- und geldsparende Variante mittlerweile auch unter Touristen bekannt ist, sind Doppelkapseln auf den Markt gekommen. Nur: Wenn ein Paar auf engem Raum liegt, bloß durch die dünne Jalousie von der Gesellschaft getrennt, treibt Hotelbetreiber die Sorge, dass nicht nur Schnarchen, sondern auch Stöhnen die Ruhe der anderen Gäste stört. Wer Sex in der Röhre haben will, liegt im Kapselhotel eindeutig falsch. Außerdem gibt es dafür längst ein anderes Millionengeschäft, das auch aus Japan kommt: das riesige und bunte Angebot an Liebeshotels.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.04.2015)

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