Würdigungen: „Für Deutschland bestimmt ein Geschenk“

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„Die kolomassive Persönlichkeit der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur ist tot“, sagt Robert Schindel: „Oskar Matzerath ist unsterblich.“ Eine „Presse“-Umfrage unter Schriftstellern.

Kathrin Röggla

Geboren 1971 in Salzburg, schreibt Prosa und Essays, Hörspiele und Theatertexte.

Wohl die einzige Möglichkeit für mich, Günter Grass kennenzulernen, war im Polizeihauptgebäude von Sanaa während einer arabisch-deutsch-sprachigen Literaturbegegnung, die er Anfang der Nullerjahre grandios geleitet hat und bei der er alle politischen Unpässlichkeiten gelungen umschifft hat.

In dieser etwas abgefahrenen Veranstaltung, in der es erstaunlicherweise nicht um Science-Fiction ging, möchte ich ihn in Erinnerung behalten: als großartigen Gastgeber und politischen Fuchs mit literarischem Düsenantrieb – und nicht als den großen kritischen Kommunikator der SPD und Autor der „Blechtrommel“ und zahlreicher anderer Romane oder als unverständlich Spätehrlichen oder als jemanden, der bis zum Schluss im Literaturbetrieb wichtige Fäden zog, obwohl das alles zusammen schon eine ziemliche „Performance“ war, wie das gegenwärtig gerne ausgedrückt wird.

Rolf Hochhuth

Geboren 1931 in Eschwege, Dramatiker, Anreger des „Dokumentartheaters“.


Ich kann nur als Stückeschreiber sprechen, die Romane kenne ich nicht.

Sein Stück „Die Plebejer proben den Aufstand“ fand ich mutig und, was die Epoche betrifft, höchst notwendig. Es ist die Schande der mehr als 347 hoch subventionierten deutschen Sprechtheater, dieses bedeutende Drama seit Jahrzehnten nicht mehr inszeniert zu haben. Selbstverständlich gehört es ins Repertoire der großen deutschen Dramen des 20. Jahrhunderts.

Robert Schindel

Geboren 1944 in Bad Hall, politisch engagierter Schriftsteller.


Die kolomassive Persönlichkeit der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur ist tot. Der einst auszog, um Deutschland den Puls zu messen, als jenem Deutschland, welches aus einem mitverschuldeten und einem allein verschuldeten Weltkrieg herauskroch in den ersten trüben Frieden. Der Puls ward gemessen mit der „Blechtrommel“, die Hassliebe zu Deutschland war vollzogen und weichte sich in den kommenden Jahrzehnten auf. Immer wieder fällt mir die Anekdote ein: Napoleon trifft Goethe in Weimar: „Herrlich Herr von Goethe. Habe Ihr Werk gelesen. Phänomenal!“

„Was haben Sie denn gelesen, Exzellenz?“
„Na, Werthér! Haben Sie denn sonst noch etwas geschrieben?“

Unter diesem Kummer litt Grass sein Leben lang. Und doch, die Rezeption hat nicht so unrecht: „Die Blechtrommel“ ist ein Jahrhundertroman. Er konnte sie nicht mehr übertreffen, niemand hätte sie übertreffen können.

Viele Ehren wurden ihm zuteil. Er, der natürlich von Anfang an ein politischer Schriftsteller war, sah sich mehr und mehr verführt, seriell das Zeitgeschehen zu kommentieren. Das trug ihm zunehmend Spott und auch Feindseligkeiten ein. Er war ein Beispiel dafür, dass man als Dichter und Schriftsteller im Großen und Ganzen bei seinem Metier bleiben sollte.

In den letzten Jahren scheint ihn die Kindheit und Jugend eingeholt zu haben, soll vorkommen bei älteren und alten Menschen, und so gab es zur SS-Jugend noch eine durchaus vermeidbare Alterskatzenmusik, sodass er sich nach einem langen Kämpferleben mit dem Vorwurf des Antisemitismus herumschlagen musste und sich kränkte. Hätte er doch geschwiegen, dann hätte auch ich mich in dieser Nachbetrachtung auf sein Werk allein beziehen können.

Oskar Matzerath aber ist unsterblich.

Marlene Streeruwitz

Geboren 1950 in Baden bei Wien, feministisch orientierte Schriftstellerin.


Widersprüchlichkeiten waren selbstverständlich für ihn. Der Niederschreiber der Ungeheuerlichkeiten der deutschen Kriegs- und Nachkriegsgeschichte des Zweiten Weltkriegs hätte keine Eindeutigkeiten behaupten können. Aus einer solchen Arbeit entspringt Erkenntnis, und die brachte er in die Politik ein. Dass ihm die Moral daraus aber selbst wieder in Widersprüchlichkeiten zerbrach, das kam wohl daher, dass diese Generation von kritischen Söhnen sich auf einem Olymp der Moralität wähnte und dort bleiben wollte. Statt also den Olymp zu demokratisieren, wurde die deutsche Kultur so zu einem der vielen Old Boys Clubs, wie sie die Welt immer schon beherrschten. So eine Person hat dann viel verändert und am Ende aber wieder nicht so viel.

Peter Rosei

Geboren 1946 in Wien, Romancier, Essayist. Zuletzt erschienen: „Die Globalisten“.


Günter Grass ist tot. Ich verbeuge mich vor ihm, wie ich mich vor jedem Toten verbeuge. Nicht siegen, überstehn ist alles – Sie wissen schon: Rilke.

Als politischer Kommentator erschien er mir wichtigtuerisch: Das sind die Leute, die zu genau wissen, was wahr ist, dachte ich.

Als dann diese Geschichte aus seiner Jugend herauskam, mein Gott: Wer will den Stab brechen? Vielleicht hätte er sich allerdings eben dazu ausführlicher äußern sollen. Das hätte hilfreich sein können.

Für Deutschland war Günter Grass bestimmt ein Geschenk. Einfach dadurch, dass es ihn gab. Man könnte aber auch sagen: Eine Weile ging er neben Deutschland her und versuchte gelegentlich, in die Zügel zu greifen. Respekt!

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.04.2015)

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