Piña/Zimmermann: „Bewegung darf nicht vergessen werden“

(c) Christine Ebenthal
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Amanda Piña und David Zimmermann beraten ein Ministerium, suchen nach verlorenen Bewegungen und zeigen den Hoko als aktuelle Botschaft.

Nada“, das heißt „nichts“. Wenn Amanda Piña ihre Zusammenarbeit mit David Zimmermann Nadaproductions nennt, dann kann das nur blanke Ironie sein. Piña und Zimmermann beschäftigen sich in ihrer Arbeitsgemeinschaft keineswegs mit nichts, sondern eher mit dem, was das Leben ausmacht: der Bewegung. Als Tänzerin und Choreografin wie als bildender Künstler und Filmregisseur sind sie beide der Meinung, dass Bewegung „das Bewusstsein erweitert oder auch beruhigt. Bewegung kann alles sein, nur vergessen darf sie nicht werden“.

So gilt das Interesse des kreativen Duos, zu Hause in der weiträumigen Nada Location im 15. Wiener Bezirk, auch der Erforschung und Bewahrung „bedrohter menschlicher Bewegungen.“ „Durch die Industrialisierung, die Digitalisierung der Produktionsmittel und die Globalisierung sind viele Bewegungen vom Aussterben bedroht“, meint Zimmermann und denkt dabei nicht nur an rituelle Tänze und Zeremonien, sondern auch an alte Bräuche und traditionelles Handwerk. Bei der künstlerischen Recherche „menschlicher Praktiken, die über Jahrhunderte hin in den verschiedenen Kulturen der Welt entwickelt und gepflegt worden sind“, werden sie vom Bundesministerium für Bewegungsangelegenheiten (BMfB) unterstützt.

Getanzte Hymne. Dieses (fiktive) Ministerium haben Piña und Zimmermann mitbegründet. Seit sechs Jahren sind sie ministerielle Berater. Piña ist zuständig für Tanz und Choreografie, Zimmermann betreut bildende Kunst und Film. Der (echte) Berater des Bundespräsidenten für Wissenschaft, Kunst und Kultur, Meinhard Rauchensteiner, hat diese Funktion auch im BMfB inne. Keine Probleme mit Söhnen und Töchtern hat das Ministerium bei der Hymne. Sie ist nicht aus Noten komponiert und wird auch nicht gesungen, sondern getanzt. Das Puzzle aus Spenden, Bewegungsspenden natürlich, ist weltweit verständlich und dient, fröhlich gehüpft oder feierlich geschritten, als Hommage an alle Formen körperlicher Bewegung. Bei der Fünfjahresfeier des Ministeriums in den Räumen des Bundespräsidenten erfuhren die Gäste mithilfe strammstehender Gardesoldaten auch, dass sogar Stillstehen eine Form der Bewegung ist.

Der Ritt auf dem Amtsschimmel, den Piña und Zimmermann bei der Mitbegründung des BMfB bewältigt haben, hat bereits internationale Auswirkungen. Das Mexikanische Institut für Bewegungsangelegenheiten (INAM) ist dem Ministerium ebenso verbunden wie das Eidgenössische Departement für Bewegungsangelegenheiten (EDfB). Beide Institute haben sich der „Förderung, Kultivierung und Pflege freier Bewegung von Körpern im Raum“ verschrieben. Die beiden bewegungsfreundlichen Länder sind nicht von ungefähr die ersten, die mit dem BMfB zusammenarbeiten. Berater Zimmermann ist Schweizer, in Mexiko liegt eine der Wurzeln Piñas.

Geboren ist Piña in Chile, wo die Mama lebt; der Papa wohnt in Mexiko. Die Tochter hat zwei Pässe und doppelte Wurzeln. Sie findet das nicht außergewöhnlich: „In der Zukunft wird es für viele Menschen zwei oder gar drei Pässe geben.“ Die Lust an der Bewegung kommt ihrer Reiselust gleich. „In Chile gab es keine getrennte Studienmöglichkeit für Theater, Dramaturgie und Tanz, das war alles Physical Theatre. Ich wollte nach Europa.“ Studiert hat sie in Barcelona, Montpellier (bei Mathilde Monnier) und Salzburg. Hängen geblieben ist sie dann in Wien und hat sich mit dem bildenden Künstler Daniel Zimmermann zusammengetan. Er hat als Holzbildhauer begonnen, seine Talente jedoch längst auf sämtliche bildenden Künste erweitert, ist preis-
gekrönter Filmregisseur, Bühnenbildner, Dramaturg und zeigt seine Objekte und Installationen in Museen und besonders gern im öffentlichen Raum. Seit zehn Jahren steht er mit Piña für Nadaproductions: „Der Name ist auch ein Statement gegen den Konsumwahn.“

Im Rahmen der dritten „Feedback“-Edition des Wiener Tanzquartiers zeigen sie fremde Kriegstänze als zeitgenössische Choreo grafie. Die eindrucksvolle Peformance „War“ ist zugleich Manifestation gegen den Krieg und Protest gegen den kulturellen Eurozentrismus. Die Initialzündung für das Projekt entbrannte bei einem Verwandtenbesuch Piñas auf der Osterinsel (Rapa Nui, politisch zu Chile gehörend). „Ich lernte den Tänzer Pascual Pakarati kennen und sah den Kriegstanz Hoko. Mich hat interessiert, wieso die Menschen solche Lust haben, Krieg oder Aggressivität zu betrachten.“ Noch mehr reizt sie aber, dass alles, was außerhalb der industrialisierten Welt passiert, als exotisch oder traditionell, wenn nicht gar als Folklore bezeichnet wird. „Der Hoko wird von uns keineswegs als traditioneller Tanz aufgeführt. Es ist ein zeitgenössisches Produkt. Heutig und aktuell. Wenn wir in ,War (Ein Kriegstanz)‘ den Hoko und andere Choreografien tanzen, so zeigen wir nicht leblose Romantik von edlen
Wilden. Wir tanzen jetzt und hier.“

Tanz als politisches Werkzeug. Piña empört sich über die „europäische Kulturhegemonie“, die auch den Tanz gepachtet zu haben scheint: „Europa glaubt, die Regeln vorgeben zu können, was Tanz ist. Aber der Hoko, der erst in den 1980er-Jahren wiederbelebt worden ist, ist weder exotisch noch traditionell.“ Tatsächlich versteht man ihr Feuer, wenn Amanda Piña mit offenem Haar und im roten Rock, gemeinsam mit anderen den furiosen Hoko oder den anmutigen, ruhigen Aparima tanzt: „Tanz ist auch ein politisches Werkzeug.“ Zimmermann assistiert: „Das Stück soll eine Warnung vor der Homogenisierung und dem kulturellen Kolonialismus sein. Mit Tanz kann man besonders sensibel kommunizieren, Emotionen erzeugen und Betroffenheit generieren. Mit dem ‚post-exotischen‘ Ansatz stellen wir auch eine Verbindung zwischen der aggressiven Expansionspolitik und der Frage nach dem möglichen Widerstand des Körpers her.“

Tanz ist Tanz ist Tanz. Für Piña und Zimmermann gibt es kein Gegenüber von traditionell und zeitgenössisch. „Diese Einteilung kommt aus Europa. Das ist die Fortsetzung des
Kolonialismus.“ Den Unterschied zwischen global und lokal wollen sie nicht aufweichen, doch „Europa und die Anderen, das ist kein Ansatz. Da ist ein Umdenken notwendig. Wir sind alle in den gleichen Tanz involviert.“ Dass auf Rapa Nui vor Touristen getanzt wird, ist für das Duo kein Argument: „Wir tanzen alle vor zahlendem Publikum. Wo ist der Unterschied?“

Tipp

Amanda Piña / David Zimmermann (Nadaproductions): „WAR (Ein Kriegstanz)“, 24. 4. im Rahmen von „Feedback 3rd Edition“ im Tanzquartier (22.–25. 4.)
www.tqw.at
www.bmfb.at
www.salzburgjazz.com

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