Judikatur: Vertrauen oder Erkundigungspflicht?

Eine Anlegerin hatte schriftliche Informationen nicht gelesen. Das sei kein Mitverschulden, urteilte das Gericht. In einem anderen Fall bekam die beratende Bank recht.

Wien. Nicht nur „unbedarfte“ Investoren täuschen sich mitunter über die Risken von Geldanlagen. Das zeigt der Fall einer Anwältin, die von 2004 bis 2012 rund 150.000 Euro in geschlossene Fonds von MPC investierte. Beraten wurde sie dabei von ihrem langjährigen Anlageberater bei der RLB Niederösterreich-Wien.

Bis ins Jahr 2012 erhielt die Anlegerin Ausschüttungen, die sie für Gewinne hielt. Ein Jahr später, als ihr mitgeteilt wurde, eine Gesellschaft der MPC sei in Schwierigkeiten, begann sie, Fragen zu stellen. Und fand heraus, dass sie sich an einer Kommanditgesellschaft beteiligt hatte – und diese die Ausschüttungen im Extremfall zurückfordern kann (siehe Artikel oben). Die Anlegerin klagte ihre Bank, das Handelsgericht Wien gab ihr recht. Rechtsanwalt Max Leitner, der die Klägerin vertreten hat, spricht von einem „Sieg für alle Geschädigten“.

Laut dem Gericht wurde die Klägerin nicht ausreichend über die Risken aufgeklärt. Dass sie Prospekte und schriftliche Informationen erhalten, aber nicht gelesen hat, sei kein Mitverschulden – sie habe darauf vertrauen dürfen, dass ihr Anlageberater sie über alle Risken aufklärt. Auch über Provisionen, die die Bank erhalten hat, sei sie nicht ausreichend informiert worden. Den Einwand von Raiffeisen, die Klägerin habe jahrzehntelange Anlageerfahrung und wisse als Rechtsanwältin über das Wesen einer Kommanditgesellschaft Bescheid, ließ das Gericht nicht gelten: Sie habe bei der Beratung sichtlich gar nicht erfahren, dass sie sich an einer solchen Gesellschaft beteiligt.

Das letzte Wort ist in dem Fall noch nicht gesprochen, Raiffeisen hat gegen das Urteil berufen. „Der Ball liegt jetzt beim Oberlandesgericht Wien“, betont die Bank.

Es gibt aber auch ein bereits rechtskräftiges Urteil des Oberlandesgerichts Linz, das in einem ähnlichen Fall einem (rechtlich nicht so versierten) Anleger grundsätzlich recht gibt. In einem anderen Fall, in dem es um einen Schiffsfonds ging, entschied das Oberlandesgericht Wien jedoch zugunsten der beratenden Bank. Hier ist auch von einer gewissen „Erkundigungspflicht“ des Kunden die Rede.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.04.2015)

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