Kunsthalle Wien: Die Kunst der kleinen Eingriffe

(c) Eva Grubinger/Kerstin Engholm Galerie
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Wie leben wir zusammen? Wie erleben Besucher, wie ihre Bewohner die Stadt? Eine Ausstellung mit dem Titel „Destination Wien“ versucht darauf eine Antwort zu geben.

Ein großes Bild bedeckt den Boden des Eingangs. Merkwürdige blaue Punkte und Linien sind darauf zu sehen, die an die Spuren auf den Betonwänden erinnern. Er beobachte schon lange das Phänomen eines strengen Minimalismus in der Architektur. Auch die Kunsthalle Wien mit den kargen Betonwänden folge dieser Ästhetik, erklärt der in Wien lebende Künstler Andreas Reiter-Raabe. Als er zu „Destination Wien“ eingeladen wurde, entschied er sich, diesem Kontext etwas entgegenzusetzen. Darum stehen wir jetzt mitten in seinem Bild – und zwar, bevor wir die Ausstellungsräume betreten. Es ist eine Art Prolog, der Kunst und den Raum des Alltags verbindet. Reiter-Raabe nennt es eine „antiheroische Geste“, denn der Boden sei eigentlich völlig nebensächlich in einer Institution.

Polyfones Musikstück

„Destination Wien“ ist ein neues Format, mit dem die Kunsthalle das frühere „Lebt und arbeitet“ fortsetzt. Anders als vorher gibt es jetzt kein Alterslimit mehr, keine Beschränkung auf Wiener Künstler, und es wurden auch keine ausländischen Kuratoren eingeladen. Stattdessen stand am Anfang eine Ausschreibung. Das hausinterne, siebenköpfige Kuratorium wählte 71 Künstler, einige für Performances in der Kunsthalle Karlsplatz, die anderen zeigen ihre Werke in den beiden Hallen im Museumsquartier. Nicht alle sind Österreicher, nicht alle leben in Wien, manche verbrachten hier einen Gastaufenthalt oder haben ähnlich lose Verbindungen zur Stadt.

Ein großes Kuratorenteam hat den Vorteil, dass nicht eine einzelne Stimme dominiert. Es sei ein „polyfones Musikstück“, heißt es im Pressetext. Themen wurden bewusst nicht vorgegeben, aber allem läge ein Leitmotiv zugrunde, erklärt Schafhausen: Die weit gefasste Frage, wie wir zusammen leben.

Natürlich gibt kein einziges Werk darauf eine konkrete Antwort. Und doch kann man diesen Aspekt durch die gesamte Ausstellung verfolgen. Da stellt Cäcilia Brown ein „Drehfoyer“ mitten in den Raum, ein reglementierendes Element des öffentlichen Raumes, das seine Funktion verloren hat und dadurch umso klarer auf Ordnungsvorgaben hinweist. Den Alltag als Ausgangspunkt nimmt auch Eva Grubinger. Hier ist es das Lenkrad eines Rennrades. Die beiden Griffe sind allerdings viel zu weit voneinander entfernt – ein kleiner Eingriff mit weitreichenden Folgen, Funktionsverlust führt hier zur Verbildlichung von Distanz. Konkreter nimmt Sonia Leimer Bezug auf unsere Welt, wenn sie historische Aufnahmen des atombetriebenen Eisbrechers „Lenin“ auf einen überdimensionierten Briefumschlag projiziert – eine Botschaft aus der Vergangenheit, die damals voller Zukunftsglauben war. Daneben erinnern die einbetonierten Bojen daran, wie leicht solche Projekte scheitern können. Entschieden poetischer setzt Paul Leitner eine Alltagserfahrung um: Er baut aus Strohhalmen, Ventilator und dicken Acrylglasröhren mächtige Skulpturen, um winzig kleine Pflanzensamen in einem permanenten Luftstrom tanzen zu lassen. „Traveler“ nennt er die Werke, in denen die Samen „ewig fliegen, aber nie keimen“, erklärt Leitner.
Die meisten Werke lassen in ähnlich zurückhaltender Weise große Themen anklingen. Der Kunsthalle Wien ist eine überzeugende Überblicksausstellung gelungen, die spannende Positionen zusammenbringt und dabei den Bogen von Bekanntem, wie den Arrangements des 1939 geborenen Heinz Frank, bis zu den bunten Materialcollagen der 1991 geborenen Nana Mandl spannt.

Um all die Werke in den offenen Räumen der Kunsthalle unterzubringen, luden die Kuratoren drei Künstler ein. Deren Architekturen fallen höchst unterschiedlich aus. Während Ovidiu Anton ein Podium aus Resten alter Ausstellungseinbauten für die Kunsthalle Karlsplatz baute, drängeln sich die beiden anderen massiv in den Vordergrund. Eric Klärings raumteilende Elemente schaffen eher Skulpturen als Wände, oft ist kaum die Abgrenzung zu der darauf platzierten Kunst zu treffen. „Dialoge“, wie es in der Broschüre heißt, sind das keine, dazu ist die Stimme viel zu laut. Noch lärmender geht es in der großen Halle zu. Hier hat Johannes Porsch ein Wandsystem auf roh belassenen Rigipsplatten aufgestellt. Ähnlich wie Reiter-Raabe reagiert auch Porsch auf die Architektur. Allerdings dominiert Porsch den ganzen Raum inklusive der ausgestellten Werke, indem er die Stellflächen mit malerisch verteilter Spachtelmasse bedeckt. Leise Werke wie Grubingers Stahlstangen kommen kaum gegen diese grobe Wandmalerei an.

„Destination Wien“: Kunsthalle Wien, bis 31. 5. 2015

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.04.2015)

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