US-Wahlkampf: Im Bus der Clowns werden die Sitzplätze rar

(c) Reuters (JOSHUA LOTT)
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Amerikas politisch-medialer Komplex hyperventiliert: Fast 19 Monate vor der Präsidentenwahl wird Banales hochgespielt und Wichtiges ignoriert.

Washington ist Hollywood für hässliche Leute: Diese uncharmante Beobachtung verdankt die Welt einem Herrn namens Paul Begala. Begala kennt die selbstbezügliche Washingtoner Welt, deren Bewohnern er so ein herbes Zeugnis ausstellt, wie seine Westentasche. Er half als Kampagnenstratege Bill Clinton 1992 zum Wahlsieg. Heute gibt er auf CNN seinen Senf zum politischen Geschehen ab.

Politisches Geschehen: Was heißt das heute in den Vereinigten Staaten? Knapp 19 Monate vor der Präsidentschaftswahl am 8. November 2016 scheint in der medialen Öffentlichkeit jegliche ernsthafte Befassung mit Fragen des Staatshaushaltes, der nationalen Sicherheit, der Armut oder der Einwanderung unmöglich, denn: Hillary Clinton hat in einem Fast-Food-Lokal in Ohio einen Hühner-Burrito gekauft! Und sie hat ihn eigenhändig entgegengenommen! Eigenhändig!

So wurde die Kleinstadt Maumee für einige Tage gleichsam zum Mittelpunkt des politisch-medialen Kosmos der USA. Jeder Aspekt des Clinton'schen Burrito-Erwerbs wurde akribisch ausgeleuchtet und in Schnappatmung hechelnd kommentiert. „Politico“, das Leitmedium für amerikanische Politiksüchtige, schickte sogar einen Reporter nach Maumee, um die Mitarbeiter des Lokals zu porträtieren.

Das klingt nicht nur absurd, es ist, wenn man den für die Bewältigung solcher Geschehnisse erforderlichen Sarkasmus zurücksteckt, empörend. Was hat es die Leute zu kümmern, wo und wie sich Frau Clinton verpflegt? Kann man die amerikanischen Medien tatsächlich mit solchen Nichtigkeiten sättigen? Man kann, und das liegt an jener unangenehmen Entwicklung, die ihren Ausgang in den 1960er-Jahren genommen hat, als erstmals systematisch Leute aus der Werbewirtschaft begannen, das veröffentlichte Image von Kandidaten zu stilisieren.

Einer von Richard Nixons Imageberatern war Roger Ailes. Er ist der Gründer und Chef des rechtspopulistischen Fernsehsenders Fox News. Kein Nachrichtenkanal wird von mehr Amerikanern gesehen, und am Samstag widmete sich Fox in epischer Breite einer Parteiveranstaltung der Republikaner in New Hampshire. Womit also werben die konservativen Kandidaten, um vom Volk ins Weiße Haus entsandt zu werden?

In erster Linie mit An- und Untergriffen. Clintons Kampagne sei nordkoreanisch, ätzte der Senator Lindsey Graham. Von Außenminister John Kerry würde er nicht einmal einen Gebrauchtwagen kaufen. Scott Walker, Gouverneur von Wisconsin, lobte sich selbst einmal mehr dafür, seine Kleidung in einem Diskontladen zu kaufen (zum Beispiel einen Pullover um einen Dollar), und warf Clinton vor, selbiges wohl noch nie in ihrem Leben getan zu haben. Rick Santorum schwor, er würde nicht einmal an der gleichgeschlechtlichen Hochzeit eines geliebten Menschen teilnehmen, so sehr widere ihn die Homosexuellenehe an. Marco Rubio hatte ein paar Tage zuvor wenigstens noch die opportunistische Gelenkigkeit bewiesen, die Homosexuellenehe zwar fundamental abzulehnen, sich aber jederzeit zu einer einladen lassen zu wollen.


Was halten die Amerikaner von all dem? Eher wenig. Laut einer Umfrage von Pew Research haben sich bisher nur 58 Prozent der Wähler wenigstens einmal mit zumindest einem der Kandidaten auseinandergesetzt. Zum selben Zeitpunkt vor der Wahl 2008 waren es 68 Prozent gewesen. Und auch die von Propagandisten mehrerer Lager hochgespielte angebliche Ablehnung der dynastischen Kandidaturen von Jeb Bush (dem Sohn des 41. und Bruder des 43. Präsidenten) und Hillary Clinton ist im demoskopischen Befund nicht abzulesen: 75 Prozent der Republikaner haben kein Problem mit Bush, 88 Prozent der Demokraten keines mit Clinton.

Während also im Autobus der Clowns die Sitzplätze rar werden, gibt es in Amerika echte Probleme. Kalifornien, der Obst- und Gemüsegarten der Nation, vertrocknet. Die Küstenstädte ringen als Folge des Klimawandels mit dem steigenden Meeresspiegel und stärkeren Wirbelstürmen. Der Pensionsantritt der Babyboomer beginnt, das Renten- und Krankenversicherungswesen zu belasten. Die Einkommen unterhalb der obersten Vermögensklassen stagnieren. Chinas Autokraten betonieren vor den Küsten ihrer Nachbarstaaten Korallenatolle zu Marinestützpunkten aus. Und was soll mit dem explodierenden Orient geschehen? Es ist zu hoffen, dass bald die inhaltliche Debatte über diese Fragen das Kasperltheater um Äußerlichkeiten der Kandidaten ablösen wird.

E-Mails an:oliver.grimm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.04.2015)

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