Die SPÖ-Spitze will nicht als moderner Maschinenstürmer auf Herausforderungen reagieren. Für Schieder ist die Wertschöpfungsabgabe nicht „retro“. Faymann warnt die ÖVP vor Freihandelspakt über das Parlament hinweg.
Wien. Andreas Schieder hat seine öffentlich unbekannten Leidenschaften. Mit dem Titel „Webstuhlexperte“ wurde der SPÖ-Klubobmann von Moderatorin Sonja Kato bedacht. Schieder hatte am Montag zum Auftakt der zweitägigen SPÖ-Klubtagung im Wiener Museumsquartier den roten Fraktionsmitgliedern den Einstieg ins Maschinenzeitalter mit dem Webstuhl als frühen Schritt zur Digitalisierung – mit ständigem Ja/Nein-Mechanismus – erläutert.
Weil weder das Zertrümmern der Webstühle noch der Computer eine Lösung sei, standen bei der SPÖ-Tagung Antworten der Sozialdemokraten auf die Weiterentwicklung in Richtung Industrie 4.0 im Vordergrund. Schieders konkrete Forderung: Verbreiterung der Bemessungsgrundlage für die Sozialversicherung mittels Wertschöpfungsabgabe. Bei dieser würden als Basis nicht nur Arbeitseinkommen herangezogen. Einwände der ÖVP wischte Schieder vom Tisch: „Das ist nicht retro, das ist Zukunft.“
Seitenhieb auf ÖVP-Bauern
Wiens Bürgermeister, Michael Häupl (SPÖ), hielt sich im Ton hörbar zurück. Bei seinem 20-Minuten-Beitrag als Wiener Hausherr rückte er die subtil vorgebrachte Forderung, Städte müssten beim Finanzausgleich mehr Geld für die Infrastruktur erhalten, ins Zentrum. Eingeflochten war ein Seitenhieb auf den ÖVP-Bauernbund: „Die österreichische Welt besteht nicht nur aus 3,4 Prozent Bauern.“ Nicht ausgesprochen hat er damit, dass dies eine Kampfansage an den Großteil der ÖVP-dominierten mittleren und kleineren ländlichen Gemeinden in Österreich war.
Gemessen am Höflichkeitsapplaus für Häupl wurde Bundeskanzler Werner Faymann deutlich mehr Aufmerksamkeit und auch Zuspruch zuteil. Nicht nur, weil der SPÖ-Chef gleich zu Beginn die Flüchtlingstragödie im „riesigen Grab“ Mittelmeer ansprach.
Faymann nahm sich ausführlich Zeit für die SPÖ-Bedenken gegen des Freihandelsabkommen TTIP. Man wolle verhindern, dass damit Konzerne bei Sondergerichten „unsere Gesetze aushebeln“. Und: „Es ist nicht einzusehen, dass man Sondergerichte schafft, die nicht unabhängig sind.“ Es sei auch ein Fehler, Folgen für Konsumenten von Lebensmitteln zu unterschätzen, nach dem Motto: „Na gut, wenn das mit dem Chlorhuhn nichts ist, esse ich halt ein Grillhuhn.“ Der Kanzler signalisierte Härte in Richtung des Koalitionspartners ÖVP, damit „das Wort des Parlaments“ beim TTIP-Abschluss nicht überhört werde.
Den heutigen Abschluss der Klubtagung ohne Medien wird die SPÖ für einen Ausflug zu den Vorbereitungen des Eurovision Song Contest in der Wiener Stadthalle nützen. Schieder hatte anfangs stolz verkündet, dass der SPÖ-Klub als erster mit eigener App technisch auf der Höhe der Zeit sei. Mit der Erwähnung der Song-Contest-Vorjahrssieger(in) Conchita Wurst konnte er auch die gesellschaftliche Avantgarderolle betonen. (ett)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.04.2015)