Flüchtlinge: "Sie sagen, ich lasse zu viele Menschen an Bord"

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Menschenschmuggel ist zum gut organisierten Milliardengeschäft geworden. Die Schlepper verfügen über ein weites Netzwerk, das bis nach Europa reicht: Eine Zentrale befand sich im größten Flüchtlingslager Siziliens.

„Sie sagen, dass ich immer zu viele Menschen auf die Boote lasse. Aber sie sind es doch, die immer schnell weiterwollen!“, sagt Medhanie und lacht. Dann ernster: „Ich bin gestresst. Ich arbeite derzeit einfach zu viel.“

Als der 34-Jährige aus Eritrea vor wenigen Tagen in Tripolis dieses Telefongespräch führte, wusste er nicht, dass er von der sizilianischen Polizei abgehört wurde. Medhanie, der sich General nennen lässt und „wie Gaddafi“ sein will, plant von Libyen aus die illegale Reise nach Italien – vermutlich hatte er auch jene Überfahrt organisiert, bei der am Wochenende rund tausend Menschen im Mittelmeer ertrunken sind.

„Den Markt“ teilt er sich mit Ermias Ghermay, der auch in Tripolis lebt. Der Äthiopier wird für den Tod von 363 Einwanderern im Oktober 2013 vor Lampedusa verantwortlich gemacht. Seit ein internationaler Haftbefehl gegen ihn ausgestellt worden ist, ist er untergetaucht.

Das lukrative Geschäft mit den Flüchtlingen hat die beiden zu reichen Männern gemacht. 5000 Dollar kostet inzwischen durchschnittlich die „Reise“ nach Europa, für die Fahrt über das Mittelmeer allein muss man 1500 Dollar zahlen. Im abgehörten Telefonat erwägt Medhanie, was er mit dem vielen Geld machen soll: „Am besten wir investieren es in Kanada oder in den USA, da fragt niemand nach.“ Ein Foto, das die Behörden nun veröffentlicht haben, zeigt „den General“ mit einer dicken Goldkette samt Kruzifix um den Hals.

Medhanie und Ghermay haben ein weites Netzwerk mit Kontakten bis in die obersten Stellen aufgebaut, haben die sizilianischen Ermittlungen ergeben. Es gilt als gewiss, dass die beiden Männer von den in Tripolis herrschenden Milizen geschützt – und dafür wohl auch reichlich belohnt – werden. Aber auch die Verbindungen nach Europa sind offenbar so gut, dass die Schleuser hier ihre „Filialen“ errichtet haben: Für die beiden arbeiteten offenbar jene 24 Afrikaner, die am Montag in mehreren italienischen Städten verhaftet wurden. Diese Männer organisierten für zusätzlich je 1500 Euro die Flucht aus Aufnahmezentren und die Weiterreise nach Nordeuropa. Meist in Linienbussen, weil dort weniger kontrolliert wird.

Schlepperkapitän gefasst

Die europäische Operationszentrale der Bande befand sich im berüchtigten Lager Mineo auf Sizilien, Europas größtem Aufnahmezentrum mit rund 4000 Flüchtlingen. Die Menschenhändler sorgten dort auch dafür, dass ihre „Kunden“ gut versorgt wurden. Funktioniert hat das System dank der engen Kooperation mit den Mächtigen vor Ort: der sizilianischen Mafia (den wahren Bossen des Lagers) und korrupten Beamten.

Die ganz großen Fische gehen der Polizei aber eher selten ins Netz. Auch bei den beiden Festnahmen von Dienstag handelt es sich eher um die unteren Ränge im Schleppernetzwerk: Gefasst wurden der Kapitän und ein zweites Crewmitglied des am Wochenende gekenterten Flüchtlingsschiffes. Dem Kapitän, einem 27-jährigen Tunesier, werden vielfacher Totschlag und Beihilfe zur illegalen Einwanderung vorgeworfen. Er verursachte offenbar ungewollt die Kollision mit dem Handelsschiff, das den Flüchtlingen zu Hilfe geeilt war.

Trotz massiver Kontrollen finden die Schlepper indes immer neue Wege, Menschen nach Europa zu schmuggeln: Gestern wurden drei Syrer festgenommen, die 99 wohlhabende syrische Flüchtlinge an Bord von Luxusjachten nach Italien schleusten. Wegen eines Motorschadens hatten die Schlepper um Hilfe bitten müssen. Der Preis für die „Reise“: 8500 Dollar pro Person.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.04.2015)

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