Mehr Gelassenheit könnte der türkischen Diplomatie nicht schaden

Die wütende Reaktion der Türkei auf die Armenien-Erklärung des Nationalrats ist unprofessionell, stillos und lässt auf schwere Neurosen schließen.

Die türkische Regierung reagiert, wie dieser Tage neuerlich eindrucksvoll dargeboten wird, bekanntlich eher unwirsch auf Kritik von außen. Eine kleine, gut gemeinte Empfehlung sei dennoch gewagt, auch wenn feinfühlige Repräsentanten der Türkischen Republik dies gleich wieder als unangemessene Provokation und beleidigende Einmischung auffassen könnten: Etwas mehr Gelassenheit könnte der türkischen Diplomatie nicht schaden.

Es war zu erwarten, dass Politiker und Würdenträger aus aller Welt am 100. Jahrestag des Völkermords an den Armeniern die eine oder andere symbolische Geste setzen werden. Den Anfang machte der Papst, der neulich in aller Deutlichkeit vom „ersten Genozid des 20. Jahrhunderts“ sprach. Es folgte das Europäische Parlament, das eine Armenien-Deklaration aus dem Jahr 1987 paraphrasierte. Und am Mittwoch hielten auch die sechs Klubobleute des Nationalrats in einer Erklärung fest, dass sie den Völkermord an 1,5 Millionen Armeniern im Osmanischen Reich anerkennen und verurteilen. Als Avantgardisten mussten sich die österreichischen Abgeordneten dabei nicht fühlen. In den vergangenen Jahrzehnten haben schon parlamentarische Vertretungen von 20 anderen Ländern ähnliche historische Bewertungen vorgenommen. Und heute, Freitag, wird auch der deutsche Bundestag in den Chor einstimmen.

Doch was in der türkischen Lesart der Geschichte nicht sein darf, konnte nicht passiert sein. Auch 100 Jahre später leugnet die offizielle Türkei inbrünstig den Genozid an den Armeniern. Zwar finden hochrangige Regierungsvertreter inzwischen Worte des Mitgefühls für das Leid der Armenier. Sie gestehen auch ein, dass es Massaker gab und während der Vertreibungen Hunderttausende Armenier elend zugrunde gingen. Doch von einem „Völkermord“ wollen sie nichts wissen. Denn niemand habe damals einen zentralen Befehl zur Auslöschung der Armenier erteilt. Dass im Ergebnis mehr als die Hälfte der armenischen Bevölkerung vernichtet wurde und die überwältigende Mehrheit internationaler Historiker deshalb sehr wohl einen „Völkermord“ konstatiert, ficht diese Argumentation nicht an. Denn es geht immer noch um die nationale Ehre (und vielleicht auch um die Furcht vor Reparationszahlungen), und da wird die Luft dünn für Empathie und eine ehrliche Bewältigung der Vergangenheit.

Das österreichische Außenamt hat sich wohlweislich davor gehütet, den Genozid an den Armeniern beim Namen zu nennen. Dabei spielte die Sorge um eine Verschlechterung der Beziehungen zur Türkei eine Rolle, aber auch der Gedanke, dass es kontraproduktiv sein könnte, der Türkei von außen zuzurufen, mit einem dunklen Kapitel ihrer Geschichte klarzukommen und so die Basis für eine Aussöhnung mit Armenien zu legen. Offiziell verschanzte sich das Außenamt hinter einer formalen Position: Es sei erst 1948 definiert worden, was unter einem Völkermord zu verstehen sei. Doch diese noble Zurückhaltung wirkt nicht wirklich besänftigend auf die türkische Regierung, auch nicht der feine Unterschied, dass das österreichische Parlament ja gar keinen Beschluss gefasst hat, sondern bloß die sechs Klubobleute.


Aber in Ankara glaubt man offenbar, besonders im Wahlkampf, dass Entrüstung zum guten Ton gehört beim Genozid-Leugnen. Die Stellungnahme des türkischen Außenamts zum Armenien-Papier der österreichischen Klubobleute liest sich wie ein Wutposting, wie die Mitschrift eines cholerischen Anfalls. Das ist unprofessionell und verrät schlechten Stil, wäre aber leicht zu ignorieren, wenn es beim rhetorischen Amoklauf bliebe. Auch die Einberufung des Botschafters aus Wien zu Konsultationen nach Ankara spielt sich noch auf einer symbolischen, wenig folgenreichen Ebene ab.

Bedenklich aber wird es, wenn die türkische Regierung ihre Vereine in Österreich zu Protestaktionen ermuntert und mit wirtschaftlichen Strafmaßnahmen droht. Das alles wegen einer Stellungnahme zu einem Völkermord vor 100 Jahren! Normal ist das nicht mehr, eher Ausdruck einer schweren Armenien-Neurose in Ankara. Vermutlich helfen da nicht einmal Wutseminare oder die Verteilung von Beruhigungspillen im türkischen Außenamt.

E-Mails an: christian.ultsch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.04.2015)

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