Was NSA von deutschen Freunden wissen wollte

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Geheimdienstskandal. Abhöraktionen des deutschen Bundesnachrichtendienstes im Auftrag des US-Geheimdiensts wirbeln in Berlin viel Staub auf – für die Opposition ein Handlangerdienst.

Wien/Berlin. „Abhören unter Freunden – das geht gar nicht.“ Für ihre Verhältnisse geradezu pikiert reagierte Angela Merkel auf dem Höhepunkt der NSA-Affäre vor bald zwei Jahren auf die Enthüllung, wonach die US-Geheimdienste auch ihr Handy abgehört hätten. Es knirschte ein wenig im transatlantischen Getriebe zwischen Berlin und Washington. Doch nach einigen Irritationen und einem saloppen „Sorry“ des US-Präsidenten schien die peinliche Affäre ausgestanden, zumindest für die deutsche Kanzlerin und jedenfalls für Barack Obama.

Beim Routinetreffen des Koalitionsausschusses am Sonntag mit SPD-Chef Sigmar Gabriel und CSU-Chef Horst Seehofer im Kanzleramt wird sich Merkel indessen neuerlich mit dem lästigen Geheimdienstskandal, mit Rücktrittsforderungen der Opposition an den Chef des deutschen Bundesnachrichtendienstes (BND) und mit dem Ruf nach voller Aufklärung herumschlagen müssen.

„Freundschaftsdienst“

Das Bundeskanzleramt ist bereits seit März eingeweiht in den „Freundschaftsdienst“ des BND für die NSA. Seit ein paar Tagen kocht der neue Skandal im Dunstkreis des parlamentarischen Untersuchungsausschusses im Bundestag hoch, als Kanzleramtsminister Peter Altmaier und Klaus-Dieter Fritsche – der für die Geheimdienste zuständige Staatssekretär – den Abgeordneten Rede und Antwort standen. Eineinhalb Jahre plätscherte der Ausschuss vor sich hin und das größte Aufsehen erregte die Kontroverse um die Einvernahme Edward Snowdens, des im russischen Exil sitzenden Aufdeckers der NSA-Affäre: Sollten ihn die Ausschussvertreter in Moskau persönlich ins Verhör nehmen oder sollten sie ihn nach Berlin vorladen?

Angesichts der jüngsten Enthüllungen ist dies vorerst alles Makulatur. Demnach hat die NSA offenbar mittels sogenannter Selektoren – Namen, Handy- und Internetadressen – jahrelang die Koordinaten für die Geheimdienstkooperation mit dem BND vorgegeben. Dabei ging es mitnichten nur um die Ausforschung von al-Qaida-Führern à la Osama bin Laden oder Taliban-Kommandanten in Afghanistan, wie dies die Nachrichtendienste nach den 9/11-Terrorschlägen vereinbart haben. Es ging vor allem auch um Wirtschaftsspionage, um die Überwachung der Kommunikation beim europäischen Luft- und Raumfahrtkonzern EADS, dem Airbus-Produzenten und mithin größten Konkurrenten des US-Konzerns Boeing. Neben Rüstungsunternehmen sollen darüber hinaus auch Behörden und EU-Politiker abgehört worden sein – was klar gegen westeuropäische und deutsche Interessen verstoßen würde.

Chance der Opposition

Kritiklos und angeblich ohne die Vorgesetzten oder das Kanzleramt zu informieren hat der Bundesnachrichtendienst die Vorgaben jahrelang erfüllt, ehe im Zuge der NSA-Affäre im Sommer 2013 eine BND-interne Revision eingesetzt hat. Eine Untersuchung förderte Machinationen zutage. Aber erst als im März nach einem Beweisantrag der Grünen die Dimension des Skandals ans Licht kam – nämlich die Ausspionierung von 40.000 Adressen – schlug BND-Chef Gerhard Schindler bei seinen politischen Vorgesetzten im Kanzleramt Alarm. Sie schalteten prompt den Generalbundesanwalt ein.

Deutsche Medien schöpften allerdings schon im Herbst Verdacht, derweil räumt das Kanzleramt „technisch-organisatorische Defizite“ ein. Angesichts der Dominanz der Großen Koalition und ihres eigenen kümmerlichen Daseins wittern indessen die Oppositionsparteien die Chance für schlagzeilenträchtige Aufmerksamkeit. Am lautesten schlägt die Linkspartei auf die Pauke. Als erste Konsequenz fordert die Linke nicht nur den Rücktritt des BND-Chefs Schindlers, sie spricht bereits von Landesverrat und Handlangerdiensten. „Der BND war offenbar jahrelang eine Art Zweigstelle des US-Geheimdienstes“, kritisierte Parteichef Bernd Riexinger. Für die Grünen rückt auch die Kanzlerin ins Fadenkreuz. „Die Kontrolle des BND ist Sache des Kanzleramts und damit von Angela Merkel persönlich“, erklärte Fraktionschefin Katrin Göring-Eckhardt. Selbst die SPD geht inzwischen auf Distanz zum übermächtigen Koalitionspartner und setzt die Kanzlerin unter Druck.

Der Spionageskandal ist in Berlin wieder ins Zentrum der Politik zurückgekehrt. Angela Merkel könnte versucht sein, BND-Chef Gerhard Schindler über die Klinge springen zu lassen. Der Geheimdienstchef gehört der FDP an – und damit hat er keinen Fürsprecher mehr in der Regierung. [ APA ]

AUF EINEN BLICK

Geheimdienstkooperation. Als Folge des 9/11-Terrors vereinbarten die westlichen Geheimdienste, darunter die NSA mit dem deutschen BND, eine verstärkte Kooperation bei der Fahndung nach Terroristen. Die NSA gab Selektoren vor: Namen von Firmen, Personen, Telefonnummern und Internetadressen. Dabei handelte es sich aber in 40.000 Fällen um Rüstungskonzerne wie EADS oder Eurocopter, Behörden oder Politiker. Dies widerspricht eindeutig deutschen oder westeuropäischen Interessen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.04.2015)

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