Großbritannien hat mit seiner Abwendung von Europa auch an internationaler Bedeutung eingebüßt. Kernelement blieb die Beziehung zu den USA – doch auch sie leidet.
London. Klagen über den britischen Isolationismus lassen sich vermutlich bis in die Zeit von König Arthur und seiner Tafelrunde zurückverfolgen. Doch auch wenn es übertrieben wäre, von einer Rückkehr zur „Splendid Isolation“ des späten 19. Jahrhunderts zu sprechen, ist doch unbestreitbar, dass Großbritannien unter Premierminister David Cameron vorwiegend mit sich selbst beschäftigt war. Das Unabhängigkeitsreferendum in Schottland 2014 setzte sogar den Fortbestand des mehr als 300 Jahre alten Vereinigten Königreichs aufs Spiel. Richard Shirreff, vor seiner Pensionierung höchster britischer Militär in der Nato, sagte im Februar, Großbritannien sei „außenpolitisch irrelevant“ geworden.
Tatsächlich haben Cameron und sein Außenminister William Hague zwischen 2010 und 2015 keine Akzente gesetzt, wie sie Großbritanniens Rolle in der Welt sehen und gestalten wollen. Die britische Diplomatie, so sagen Kritiker, wurde unter Schatzkanzler George Osborne, dem starken Mann in der Regierung, zu „einer Außenstelle für Handelsmission“ umfunktioniert. So fand Cameron in fünf Jahren als Premier immerhin drei Mal Zeit für Besuche in Indien, während er gerade einmal nach Berlin reiste.
In der Ukraine-Krise fiel Großbritannien nur durch vornehme Zurückhaltung auf. Der französische Außenminister Laurent Fabius beklagte sich denn auch, Großbritannien sei „permanent nutzlos“ bei der Lösung internationaler Krisen. Dafür kompensiert Verteidigungsminister Michael Fallon die wachsende militärische Impotenz mit besonders kriegerischer Rhetorik, besonders in Richtung Moskau.
Dabei hat Großbritannien ironisch gesagt kaum noch die Mittel, auf die wiederholten Provokationen Russlands mit der Entsendung von Langstreckenbombern bis in den Ärmelkanal zu reagieren. Für deutliche Irritation sorgt beim großen Bruder USA, dass die Verteidigungsausgaben in der kommenden Legislaturperiode unter die Zwei-Prozent-Marke des BIPs sinken werden, die Nato-Staaten nach den Regeln der Allianz aufbringen sollen. Mit 82.000 Soldaten hat die britische Armee den geringsten Stand seit den Napoleonischen Kriegen erreicht. An den Luftschlägen gegen Libyen waren die Briten noch beteiligt, doch im August 2013 konnte Cameron keine Mehrheit für Angriffe auf das syrische Regime im Unterhaus mobilisieren und setzte seither keine Initiativen mehr.
Einen zentralen Bezugspunkt in der britischen Außenpolitik stellen traditionell die USA dar. Von Winston Churchill bis Margaret Thatcher reicht die Liste der Premierminister, die im „Special Relationship“ eine unverbrüchliche Rückversicherung ihrer Heimat sahen. Auch wenn sich Cameron peinlich an US-Präsident Barack Obama ranschmeißt („Er nennt mich Bro“, berichtete der Premier), sind die Beziehungen deutlich abgekühlt: Die Abwendung Londons von Europa hat Großbritannien ganz klar Einfluss gekostet.
Alternative Commonwealth
Eine Alternative sehen manche in einer verstärkten Hinwendung zum Commonwealth, dem losen Staatenbund aus ehemaligen Kolonien. Dazu zählen Länder wie Kanada, Australien, Neuseeland oder die Vereinigten Staaten. Die sogenannte „Anglosphere“ ist durch vergleichbare politische Strukturen und Systeme, ähnliche Rechts- und Erziehungswesen und die gemeinsame englische Sprache geprägt. Sie teilen ein Bekenntnis zum Rechtsstaat und zum freien Markt. Michael Kenny von der Queen Mary University of London und Nick Pearce vom Institute for Public Policy sprachen ausgerechnet im linken Wochenmagazin „New Statesman“ von einer „kraftvollen Alternative gegen das proeuropäische Konzept der Globalisierung, das den Mainstream der britischen Politik die letzten 25 Jahre beherrscht hat.“ Das Konzept der „Anglosphere“ zeige, dass es auch andere Integrationsmodelle gebe.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.04.2015)