Vertragsänderungen als Stolpersteine der EU

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Alle 28 Mitgliedstaaten müssen weitreichenden Änderungen der EU-Verträge zustimmen. In der Vergangenheit führte das oft zu Verzögerungen.

Wien. Ein unmögliches Unterfangen soll es sein – eine „Mission Impossible“, weiß Donald Tusk. Mit diesen Worten ließ der Ratspräsident David Cameron abblitzen, als dieser wieder einmal lautstark grundlegende Änderungen in den EU-Verträgen forderte. Nach Wünschen des Konservativen sollen gewisse Kompetenzen aus Brüssel zurück auf die nationalstaatliche Ebene verlagert werden. Nur: So einfach ist das nicht.

Eine Staatengemeinschaft mit 28 Mitgliedern, die mitunter recht unterschiedliche Vorstellungen von der Beschaffenheit und Zukunft eines vereinten Europa haben, ist wie ein großer Dampfer: Richtungsänderungen können nur langsam und schwerfällig vollzogen werden. Das liegt auch daran, dass Modifikationen im aufwendigen, „ordentlichen Änderungsverfahren“ in allen nationalen Parlamenten ratifiziert und in manchen Mitgliedstaaten per Volksabstimmung angenommen werden müssen – was in der Vergangenheit häufig zu Verzögerungen und Ausnahmeregeln geführt hat. In Österreich ist eine parlamentarische Zweidrittelmehrheit erforderlich.

Bei der letzten großen Vertragsänderung vergingen geschlagene acht Jahre, bis das neue Regelwerk der EU – der Vertrag von Lissabon – am 1. Dezember 2009 in Kraft treten konnte. Dieser ist jedoch lange nicht so umfassend wie zunächst geplant: Als 2001 in Laeken ein Konvent einberufen wurde, sollte das eigentlich der Startschuss zur Ausarbeitung einer europäischen Verfassung sein. Knapp drei Jahre später lag der fertige Entwurf auf dem Tisch, doch die Bevölkerungen in den Niederlanden und in Frankreich machten den Brüsseler Entscheidungsträgern einen Strich durch die Rechnung und lehnten das Werk ab. 2007 begannen auf Basis des gescheiterten Verfassungsvertrags die Verhandlungen über den Reformvertrag von Lissabon. Noch einmal hieß es abwarten, denn diesmal waren es die Bürger Irlands, die den fertig ausverhandelten Gesetzestext zunächst ablehnten – um ihm im zweiten Anlauf doch zuzustimmen.

Die Pannenserie bei zahlreichen Verfassungsreferenden begann aber schon viel früher. Im Jahr 1992 stürzten die Dänen die Union durch die Ablehnung des Vertrags von Maastricht in eine Krise: 52 Prozent stimmten im ersten Referendum dagegen. Die Ratifizierung gelang erst bei der zweiten Abstimmung, nachdem Dänemark umfassende Ausnahmen zugestanden worden waren. Der Vertrag von Nizza wurde 2001 wiederum von den irischen Wählern abgelehnt; mehr als ein Jahr später kam schließlich doch eine Mehrheit dafür zustande.

Dramatische Gipfelnacht

In der jüngsten Vergangenheit wurde aber nicht nur der Ruf nach einer Rückholung der Kompetenzen auf die nationalstaatliche Ebene lauter. Vor allem in der Krise gingen die Bestrebungen vielmehr in die entgegengesetzte Richtung – also eine tiefere Integration der Mitgliedstaaten. Bei einem dramatischen EU-Gipfel im Dezember 2011 – damals zur letzten Möglichkeit hochstilisiert, die Gemeinschaftswährung zu retten – scheiterte der Versuch, eine Einigung zur Vertragsänderung für schärfere Haushaltsmaßnahmen unter allen Mitgliedstaaten zu erzielen: Großbritannien sträubte sich, der Fiskalpakt wurde als zwischenstaatliche Lösung auf die Beine gestellt. Im Jahr 2012 machten sich die Außenminister mehrerer Mitgliedstaaten – darunter Österreich – Gedanken über eine Gesamtreform für die EU. Der Vorschlag umfasst eine europäische Regierung und den Aufbau eines Zweikammersystems nach Vorbild der USA. Da es für derart weitreichende Änderungen wohl keine Einstimmigkeit unter den Mitgliedstaaten gibt, sprachen sich einige der Minister für ein vereinfachtes Verfahren zur Durchsetzung weitreichender Reformen aus: Demnach sollen Vertragsänderungen mit einer Mehrheit der Regierungen durchgesetzt werden können; das nationale Vetorecht entfiele dann.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.04.2015)

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