"Im System geerdet": Wer die Matura-Aufgaben erstellt

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Rund 180 extra geschulte Lehrerinnen und Lehrer produzieren pro Jahr rund 2300 Aufgaben für die Zentralmatura. Dafür braucht es durchaus Inspiration. Und Geduld: Von der ersten Idee bis zur fertigen Matura-Aufgabe dauert es ein bis zwei Jahre.

Wien. Manchmal sitzt Andrea Ferlin an ihrem Schreibtisch, und da kommt nichts. Keine Idee – oder zumindest keine, die als Matura-Aufgabe für mehrere tausend Schüler taugen würde. Dann geht die Mathematiklehrerin gern eine Runde schwimmen. Danach ist die Inspiration meist da – und mit ihr einige Beispiele, die womöglich irgendwann auf dem Tisch von 20.000 AHS-Maturanten landen.

Andrea Ferlin ist eine von rund 180 extra geschulten Lehrerinnen und Lehrern, die an Aufgaben für die Zentralmatura tüfteln. Zehn bis 15 kümmern sich um Mathematik. Dass es Lehrer sind – aus allen maturaführenden Schultypen und aus ganz Österreich – ist Absicht. „Die Aufgaben sollen nicht von abgehobenen Schreibtischtätern produziert werden“, sagt Peter Simon, der im Bundesinstitut BIFIE für die Zentralmatura verantwortlich ist. „Sie sollen im System geerdet sein.“

Ferlin unterrichtet eigentlich Mathematik und Geografie am Gymnasium Biondekgasse in Baden (NÖ), vor allem in Oberstufenklassen. „Da kommen einem natürlich auch im Lauf des Unterrichts schon viele Ideen für Maturabeispiele.“ Die Aufgaben entwickelt sie seit dreieinhalb Jahren zusätzlich zum Lehrerjob für das BIFIE, beworben hat sie sich nicht. „Man wird entdeckt“, sagt Simon: Die Lehrer fallen durch irgendwelche Extratätigkeiten auf, etwa in der Fortbildung.

550 Mathe-Aufgaben pro Jahr

Insgesamt werden laut BIFIE pro Schuljahr knapp 550 Mathematikaufgaben produziert – pro Mathematikmatura braucht man etwa 28 Aufgaben. Über alle zentral geprüften Fächer hinweg, von Deutsch über Englisch bis Griechisch, werden rund 2300 Beispiele pro Jahr produziert. Lehrerin Andrea Ferlin hat sich bisher „zwischen 100 und 200 Beispiele“ ausgedacht. Einige davon hat sie auch schon in (Probe-)Klausuren wiedererkannt.

Bis die Aufgaben wirklich vor den Schülern liegen, vergehen aber ein bis zwei Jahre – und nicht alle Ideen schaffen es dorthin. Die Aufgabenentwickler diskutieren sie auf einer Onlineplattform („Alles wasserdicht abgesichert“, sagt Peter Simon). Rund 50 Experten, Fachdidaktiker und Testtheoretiker überprüfen die Aufgaben dann. Da können sich die Beispiele auch noch verändern. „Dass in der Angabe aus einem Zug ein Auto wird, kann schon sein“, sagt Andrea Ferlin. Einmal sollte sie zu einer bestimmten Kompetenz ein Beispiel erarbeiten. „Da hat sich die Muse verweigert, und es ist ein Blödsinn geworden.“

In Feldtestungen an Schulen wird dann erprobt, ob die Beispiele funktionieren. Passt eines nicht, wird es gestrichen oder überarbeitet, und es geht von vorn los. Schließlich kommen die Aufgaben noch einmal in die Hände von Experten. „Finetuning“ nennt Peter Simon das: Je Fach wird rund eine Woche lang überprüft, ob die Aufgaben tatsächlich Konzept und Lehrplan entsprechen. Alles, was hier nicht ausgesiebt wird, landet in der engeren Auswahl für die echte Prüfung.

Nur wenige kennen die Matura

Welche Prüfungsbeispiele wirklich auf dem Tisch der Maturanten landen, wissen aber pro Fach nur zwei bis vier Personen aus dem BIFIE. Didaktiker oder Schulinspektoren haben genauso wenig Ahnung wie die Lehrerinnen und Lehrer, die die Matura-Aufgaben entwickeln. Andrea Ferlin rechnet damit, dass Beispiele auftauchen werden, die sie entwickelt hat – auch wenn sie es natürlich nicht weiß. Ob ihre Maturaklasse deshalb einen Vorteil haben wird? Wenn, dann eher, weil die Lehrerin das Konzept der neuen Matura inzwischen sehr stark verinnerlicht hat – und mit ihren Schülern übt, was das Zeug hält. „Mit dem vielen Übungsmaterial, das ich für sie produziere, erkennen sie vielleicht sogar meinen Stil.“ Über die Lösung sagt das allerdings noch immer nichts aus.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.04.2015)

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