Der Autor der TV-Serie "The Wire" gibt dem "War on drugs" die Schuld an den jüngsten Ausschreitungen. Er habe das Klima zwischen Polizei und Bevölkerung vergiftet.
David Simon, Autor der hochgelobten Fernsehserie "The Wire, die Drogendealer und Polizei in Baltimore porträtiert, gibt dem Krieg gegen Drogenhandel die Schuld an den jüngsten Ausschreitungen. In einem ausführlichen Interview mit der Nachrichtenseite "The Marshall Project" analysiert er das vergiftete Klima zwischen der Polizei und der Bevölkerung der Hafenstadt. Baltimores Polizei verhalte sich wie "eine Besatzungsarmee", sagt Simon. Schuld daran sei der Krieg gegen den Drogenhandel, der Beweislagen wie hinreichenden Tatverdacht ausgehebelt habe. Das habe das Vertrauen zwischen Polizei und Einwohnern zerstört.
Dieser Konflikt schwele schon lange, sagt Simon. Das zeige etwa dieser Witz: "Weißt du, was hinreichender Tatverdacht auf der Edmondson Avenue bedeutet? Wenn du im Funkwagen vorbeifährst und ein Typ dich zwei Sekunden zu lange anschaut." Die Edmondson Avenue liegt im Südwesten der Stadt, hier gibt es besonders viele Verbrechen.
"Das waren Jagdgründe"
In jenen Vierteln, wo die Kriminalitätsrate besonders hoch ist, hätten die Beamten keine Polizeiarbeit mehr geleistet. "Das waren Jagdgründe. Sie haben niemanden beschützt. Niemandem gedient", sagt Simon. Die Polizei sei für hohe Verhaftungsquoten und dadurch entstandene Überstunden belohnt worden, das habe dieses System bedient, meint Simon. Anschaulich machte dieses Problem auch die Serie "The Wire", in der die Polizei unter extremem Druck steht, Aufklärungsquoten zu erfüllen. Ob die Beamten tatsächlich die richtigen Täter erwischen, wir dabei sekundär.
Durch technische Entwicklungen wie das Smartphone gebe es jetzt Beweise für Polizeigewalt und -willkür. Handys mit Foto- und Videofunktionen seien "revolutionär für die Bürgerrechte" und könnten die "letzte perfekte Tyrannei" beenden. Es gebe immer noch viele gute Polizisten in Baltimore, aber es gebe zu viele jener, die glaubten, über den Bürgerrechten zu stehen. "Sie sind wie eine Besatzungsarmee", sagt Simon. "Daraus ergibt sich: Jeder ist der Feind."
Erneut spricht er sich dafür aus, den "Krieg gegen die Drogen", wie er in den USA genannt wird, zu beenden. Denn er werde "als Instrument für soziale Machtausübung" missbraucht. Er plädiere nicht dafür, Drogen zu entkriminalisieren, aber kleine Vergehen weniger hart zu bestrafen und Drogensucht als Krankheit ernst zu nehmen. Aber, schränkt er ein, "es gibt da viel zu verstehen und ich bin nicht sicher, ob ich alles verstehe."
Recherchierte ein Jahr lang im Polzeirevier
Simon war vor seiner Karriere als Serienautor Polizeireporter in Baltimore. Er verarbeitete seine Erfahrungen im Buch "Homicide: Ein Jahr auf mörderischen Straßen", für das er ein Jahr lang in einem Polizeirevier in Baltimore recherchierte und das wiederum als Vorlage für die Serie diente.
In einem ersten Statement nach den Ausschreitungen hatte Simon noch zu kalmieren versucht: "Dreht um. Geht heim. Bitte", richtete er den Demonstranten aus. Kritisch sieht er im aktuellen Interview die jüngsten Massenverhaftungen: "Sie zeigen: 'Wir können jeden festnehmen. Wir müssen nicht feststellen, wer ein Verbrechen begangen hat und wir brauchen nicht zu ermitteln.'"
>> Das Interview mit David Simon in "The Marshall Project"
(her)