Freihandelspakt EU/USA: TTIP als Einladung an Lobbyisten

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Die geplante regulatorische Zusammenarbeit wird die europäischen Standards nicht aushebeln, wie es NGOs befürchten – wohl aber den Lobbyismus fördern.

Brüssel. Neben Chlorhuhn und Investorenschutz gilt sie als die dritte Todsünde des transatlantischen Freihandelsabkommens TTIP – die Rede ist von der sogenannten regulatorischen Zusammenarbeit, die von Nichtregierungsorganisationen aller Couleur heftig kritisiert wird. Ihre Befürchtung: Im Zuge des Pakts zwischen der EU und den USA werde ein intransparentes Gremium mit der Befugnis ausgestattet, gegen unliebsame Gesetzesinitiativen Einspruch einzulegen, bevor diese von demokratisch gewählten Volksvertretern überhaupt erörtert werden können. In den Augen der TTIP-Gegner sind regulatorische Kooperation und Demokratie nicht miteinander vereinbar.

Durch die Heftigkeit der Kritik aufgescheucht, ist die EU-Kommission (sie spricht im Namen der Mitgliedstaaten seit knapp zwei Jahren mit Washington) dazu übergegangen, ihre Verhandlungspositionen sukzessive publik zu machen. Am gestrigen Montag wurde der Vorschlag der Brüsseler Behörde zur regulatorischen Zusammenarbeit veröffentlicht. Das 15-seitige Dokument widerlegt zunächst einmal die Befürchtungen der NGOs, dass das neu geschaffene Gremium die europäischen Standards unterminieren könnte. In der Tat wird in dem Papier explizit festgehalten, dass die politischen Entscheidungsträger in Brüssel und den EU-Hauptstädten zu keinem Zeitpunkt verpflichtet sind, die Befunde des regulatorischen Komitees zu berücksichtigen – ein Kommissionsvertreter betonte gestern mehrmals, dass es sich dabei lediglich um Koordination auf Expertenebene handle, damit die Fachleute auf beiden Seiten des Atlantiks „voneinander lernen können“.

Das EU-Positionspapier macht allerdings deutlich, dass die Kommission im Zuge der Verhandlungen dazu bereit ist, sich der in den USA gängigen Praxis des flächendeckenden politischen Lobbyismus anzunähern – was im Brüsseler Fachjargon als „Steigerung des Inputs der Stakeholder“ beschrieben wird. Demnach sollen Interessenvertreter bereits zu einem deutlich früheren Zeitpunkt die Möglichkeit erhalten, für oder gegen ein Gesetz zu lobbyieren, denn das Angebot der EU an die US-Verhandler sieht vor, dass das regulatorische Komitee mindestens einmal pro Jahr über geplante Gesetzesinitiativen informiert wird – das Zeitfenster für Einflussnahmen wird also weiter geöffnet.

Hinzu kommt, dass das Expertengremium die Auswirkungen neuer Gesetze auf Handel und Investitionsklima prüfen soll. Das Ergebnis dieser Prüfung ist zwar nicht bindend, für Brüssel und Washington besteht allerdings sehr wohl die Verpflichtung, auf Einwände der Gegenseite „konstruktiv einzugehen“ und alle etwaigen Fragen bezüglich Kompatibilität einer geplanten Gesetzesinitiative mit TTIP zu beantworten und diese Antwort auch zu begründen. Das würde Lobbyisten einen frühzeitigen Einblick in die Argumentationslinie des Gesetzgebers ermöglichen.

US-Unternehmen haben das Potenzial für Lobbying bei europäischen Institutionen jedenfalls erkannt und ihre Bemühungen intensiviert. Wie die „Financial Times“ vor wenigen Tagen berichtet hat, hat beispielsweise die Investmentbank Goldman Sachs ihr Lobbyingbudget in Brüssel um das 14-Fache erhöht: von 50.000 Euro im Jahr 2013 auf 700.000 bis 800.000 Euro im Vorjahr.

Auf einen Blick

TTIP. Die EU-Kommission und die USA verhandeln seit Mitte 2013 über ein transatlantisches Freihandelsabkommen, das Schätzungen zufolge die europäische Wirtschaftsleistung um einen halben Prozentpunkt steigern soll. Ursprünglich hätte der Pakt dieses Jahr unterzeichnet werden sollen, doch die Verhandlungen verlaufen zäh – nicht zuletzt wegen des Widerstands in Berlin gegen Schiedsgerichte für Investoren (siehe unten). Die Kommission wird demnächst einen überarbeiteten Vorschlag für Investorenschutz unterbreiten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.05.2015)

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