Arbeitsmarkt: "Dort arbeiten nur Zuwanderer"

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Es sei in manchen Bereichen nicht leicht, Menschen aus Österreich für einen Job zu finden, sagt Johannes Kopf, Arbeitsmarktservice-Vorstand, im "Presse"-Interview.

Die Presse: Fast 420.000 Menschen haben keinen Job. Wann haben wir bei der Arbeitslosigkeit den Höhepunkt erreicht?

Johannes Kopf: Ich gehe davon aus, dass die Arbeitslosigkeit heuer und 2016 steigen wird. Im Jänner 2016 werden wir erstmals mehr als 500.000 Arbeitslose haben.

Es gibt aber eine AMS-Prognose, wonach die Arbeitslosigkeit bis 2018 steigen wird . . .

Ja, aber mein Vertrauen in langfristige Prognosen ist begrenzt. Seit der Finanzkrise hat sich herausgestellt, dass alle langfristigen Prognosen falsch waren.

Warum sinkt in anderen EU-Ländern die Arbeitslosigkeit?

Es gibt einige Länder, die deutlich mehr Wachstum haben. Dann gibt es Staaten wie Spanien und Griechenland, in denen die Arbeitslosigkeit sinkt, weil sie eine starke Auswanderung haben.

Heißt das, dass Österreich eine zu starke Zuwanderung hat?

Die uns vorliegende Prognose geht davon aus, dass zwischen 2014 und 2019 rund 212.000 zusätzliche Arbeitskräfte auf dem österreichischen Arbeitsmarkt aktiv werden wollen. Davon stammen 80 Prozent aus dem Ausland. Diesen 212.000 zusätzlichen Arbeitskräften stehen aber prognostiziert nur 132.000 neue Stellen gegenüber.

Kommen vor allem schlecht qualifizierte Zuwanderer?

Nein, das war früher so. Aktuell kommen gut qualifizierte Leute, die auch Arbeit finden.

Woher kommen die Zuwanderer?

Den stärksten Anstieg gibt es aktuell bei Rumänen und Ungarn. Die größte Gruppe der Ausländer, die in Österreich lebt, sind die Deutschen. Ihr Anstieg hat sich mit plus 1000 pro Jahr nun aber abgeflacht.

Als der Arbeitsmarkt für Rumänen und Bulgaren geöffnet wurde, hat die Regierung erklärt, die Zuwanderung sei kein Problem.

Rumänien und Bulgarien war weniger ein Problem der falschen Prognose als vielmehr der missverstandenen oder missverständlichen Kommunikation. Die damalige Studie besagte, dass auch ohne weitere Öffnung pro Jahr 8000 Rumänen und Bulgaren zu uns kommen. Mit der Öffnung des Arbeitsmarkts werde es eine weitere Steigerung um 5000 Personen pro Jahr geben. In den Zeitungen stand damals, es kommen nur 5000 Leute zusätzlich. Doch man hätte die 5000 zu den 8000 addieren müssen. Heute wissen wir, dass im Vorjahr 11.000 Rumänen und Bulgaren zu uns gekommen sind.

Gleichzeitig steigt die Arbeitslosigkeit bei den Ausländern.

Ein Kollege berichtete mir: Da gibt es einen Mann aus Ex-Jugoslawien. Er arbeitet seit neun Jahren bei der gleichen Baufirma und war im Winter immer arbeitslos. Doch im heurigen Frühjahr wurde er nicht mehr genommen. Er kann kein Deutsch. Die Baufirma nimmt jetzt einen Ungarn, der jünger ist, Deutsch kann und eine Berufsausbildung hat.

Wie findet nun das AMS für diesen Bauarbeiter einen Job, wenn er kein Deutsch spricht?

Das Einzige, was wir anbieten können, sind Deutschkurs und sonstige Qualifikation. In gewisser Weise zeigen sich hier die Integrationsversäumnisse der vergangenen Jahre.

Wer ist dafür verantwortlich?

Klarerweise wir alle als Gesellschaft, aber auch die betroffene Person. Wenn jemand fast zehn Jahre hier lebt und noch nicht Deutsch kann, hat er auch eine Mitverantwortung.

Bei welchen Problemgruppen wird in den nächsten Jahren die Arbeitslosigkeit weiter steigen?

Die Situation bei Jugendlichen wird sich entspannen. Das hängt mit der Demografie zusammen, weil diese Gruppe immer kleiner wird. Überdurchschnittlich stark wird in den nächsten Jahren die Arbeitslosigkeit bei ausländischen und bei Personen mit nur Pflichtschulabschluss steigen.

Bei welchen Ausländern gibt es die höchste Arbeitslosigkeit?

Am höchsten sind die Arbeitslosenquote bei Menschen aus der Türkei sowie einzelnen Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien. Hier finden wir Quoten von rund 17 Prozent.

Gleichzeitig kommen aber 50.000 Pflegerinnen aus Osteuropa, um alte Menschen zu pflegen. Wie passt das zusammen?

Es ist in manchen Bereichen nicht leicht, Menschen aus Österreich für einen Job zu finden. Das ist eine Folge des Wohlstands, der im internationalen Vergleich noch immer niedrigen Arbeitslosigkeit und des guten Sozialsystems.

Wie lässt sich das ändern?

Ein Beispiel: Ich war im Norden von Wien bei einem landwirtschaftlichen Betrieb, wo unsere Tomaten wachsen. Die Arbeit besteht darin, Pflanzen zu schneiden, zu ernten und auszusortieren. Die Bezahlung ist etwa im Vergleich zum Handel gar nicht schlecht. Dort arbeiten nur Zuwanderer, denn landwirtschaftliche Arbeit ist in Österreich nicht hoch angesehen.

Hilft hier ein strengeres Gesetz?

Natürlich könnte man das Gesetz verschärfen. Doch darf man sich davon nicht zu viel erwarten. Die Betriebe sagen zum AMS, bitte schickt mir nur Leute, die den Job wirklich wollen. Mit Zwang erzeugt man kein Wollen, sondern höchstens ein Vorstellungsgespräch. Zu glauben, ich verschärfe das Gesetz und dann arbeiten alle arbeitslosen Menschen in der Landwirtschaft – das funktioniert nicht.

Was kann man sonst tun?

Man müsste das Bewusstsein ändern. Ich habe in Westösterreich hunderte Lehrlinge aus Ostdeutschland. Doch die Tiroler Betriebe bekommen keinen Lehrling aus Wien. Denn in der österreichischen Denkweise sollte ein 15-Jähriger zu Hause bleiben, als Vater versteh ich das.

Das AMS kann Arbeitsunwilligen sechs Wochen lang das Geld sperren . . .

Wir machen das nicht gern. Diese Sperre ist eine harte Sanktion.

AUF EINEN BLICK

Vom österreichischen Arbeitsmarkt kam am Montag die nächste Hiobsbotschaft: Im April waren 419.875 Personen ohne Job. Das ist um 7,6 Prozent mehr als vor einem Jahr. Laut nationaler Definition ist die Arbeitslosenquote im Jahresabstand um 1,0 Prozentpunkte auf 9,1 Prozent gestiegen. Überdurchschnittlich stark vom Anstieg der Arbeitslosigkeit betroffen waren Ausländer (plus 24,9 Prozent), behinderte Personen (plus 17,4 Prozent) und ältere Personen (plus 17,2 Prozent).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.05.2015)

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