Kurz in Moskau: „Russland läuft keinem hinterher“

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Österreichs Außenminister Sebastian Kurz bekennt sich zu EU-Sanktionen gegen Russland. Gastgeber Lawrow bleibt cool. Er bittet nicht darum, dass Wien für Ende der Strafmaßnahmen stimmt.

Moskau. Seit zwei Wochen schon fahren nachts Panzer durch Moskau, Soldaten marschieren in Reih und Glied. Der Rote Platz ist abgesperrt, die Ehrentribüne aufgebaut. Über die Stadt rauschen Kampfflugzeuge. Plakate, rote Sterne und St.-Georgsbänder allerorten: Russland ist im Bann der Siegesfeiern, die am 9. Mai, 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs, ihrer großen Aufführung zustreben.

Österreichs Präsident hat eine Einladung ausgeschlagen, wie die meisten anderen Staats- und Regierungschefs der EU. Sebastian Kurz lobt die Entscheidung Heinz Fischers. Es sei nicht der richtige Moment, bei einer Militärparade Krim-Soldaten abzufeiern, sagt der Außenminister vor österreichischen Journalisten in Moskau.

Sein Gastgeber, der russische Außenminister, Sergej Lawrow, will sich keine Enttäuschung anmerken lassen. „Der 9. Mai ist unser großer Feiertag. Wir freuen uns über jeden, der kommt. Aber das war keine Einladung zum Musterungsamt“, erklärt er bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Kurz.

Eine Geste des Gedenkens an Opfer, die Russland für die Befreiung Europas vom Nationalsozialismus erbracht hat, will Kurz in Moskau aber trotzdem setzen, gleich bei seinem ersten Programmpunkt: Dienstagvormittag legt er an der Kreml-Mauer einen Kranz am Grab des unbekannten Soldaten nieder.

Lob von Lawrow

Im Gästehaus des russischen Außenministeriums wimmelt es von russischen Journalisten. Mindestens 15 Fernsehteams sind erschienen. Besuche europäischer Außenminister sind selten geworden. Lawrow hat nun Gelegenheit zu zeigen, dass Russland gar nicht so isoliert ist in Europa. Er nimmt sich viel Zeit für seinen jungen Gast aus Österreich, spricht mit ihm unter vier Augen, dann mehr als eine Stunde lang gemeinsam mit den Delegationen und schließlich auch noch bei einem Mittagessen. Und vor den Medien lobt der erfahrene Diplomat die bilateralen Beziehungen über den Klee und erinnert gleich zwei Mal an den Besuch Putins im Vorjahr in Wien.

Die Charmeoffensive hat Kalkül. Österreich gilt hier vielen als eines jener EU-Mitglieder, die auf ein Ende der Sanktionen gegen Russland drängen. Doch diesen Eindruck will Kurz erst gar nicht aufkommen lassen. Er möchte sich nicht einseifen und instrumentalisieren lassen. „Österreich steht zu allen Beschlüssen der EU“, sagt er vor laufenden Kameras und stellt klar: „Sanktionen wird es geben, solange das Minsk-Abkommen nicht implementiert ist.“

Im weißrussischen Minsk hatten sich Russland, die Ukraine und die Separatisten unter Vermittlung Deutschlands und Frankreichs Ende Februar auf eine Waffenruhe und einen Friedensplan für den Donbass geeinigt. Doch gekämpft wird in der Ostukraine immer noch, zuletzt wieder heftiger, und die OSZE-Beobachter haben nach wie vor keinen Zugang in alle Separatistengebiete, kontrollieren noch immer nur zwei Grenzübergänge zwischen Russland und der Ukraine. „Wir dürfen das Minsk-Abkommen nicht totreden“, meint Kurz. „Es ist unser einziges Werkzeug.“ Demnächst sollen nach dreimonatigem Tauziehen wenigstens die Arbeitsgruppen zusammentreten, die in der Vereinbarung vorgesehen sind. An Frieden glaubt keiner.

Den schwarzen Peter aber will sich die russische Regierung nicht zuschieben lassen. „In der EU geht man offenbar davon aus, dass nur Russland das Minsk-Abkommen erfüllen muss. Und irgendjemand in der EU wünscht, dass die Ukraine die Erlaubnis bekommt, die Vereinbarung zu brechen“, kontert Lawrow. Kurz möge doch gleich am Dienstagabend bei seinem Treffen mit dem ukrainischen Außenminister Klimkin ansprechen, gegen welche Punkte im Minsk-Abkommen Kiew verstoße.

Moskau sucht Verbündete

Russland ächzt unter den Sanktionen – und dem niedrigen Ölpreis: Der Rubel hat zwischenzeitlich die Hälfte seines Werts verloren, die Wirtschaft schrumpft heuer um drei Prozent, die Inflation liegt bei 17 Prozent. Moskau sucht deshalb nach Verbündeten in der EU, um die Sanktionen aufzubrechen. Österreichs Kanzler, Faymann, hat sich mehrmals kritisch zu Sanktionen geäußert, auch Wirtschaftsvertreter haben ihrem Unmut Luft gemacht. Das weiß Lawrow, zu viel Druck aber will und kann er nicht aufbauen. Ob er erwarte, dass Österreich im Juni gegen eine Verlängerung der EU-Sanktionen stimme, wird Lawrow in der Pressekonferenz gefragt. „Ich habe keine Bitten unterbreitet“, erklärt er knapp. Und: „Wir laufen keinem hinterher.“

Es ist ein Drahtseilakt, den Kurz in Moskau vollführt. Er weicht kein Jota von der EU-Position ab. „Sanktionen sind kein Selbstzweck, aber eine Reaktion auf die Annexion der Krim, die wir für völkerrechtswidrig halten, und auf das russische Vorgehen in der Ostukraine“, sagt er. Zugleich aber versucht er freundschaftliche Signale auszusenden, fordert ein Ende des Blockdenkens und der Trennlinien in Europa: „Frieden in Europa wird es nie gegen Russland, sondern nur mit Russland geben.“ Diese Rhetorik gefällt auch Lawrow.

Doch am Nachmittag setzt Kurz wieder einen anderen Akzent, geht bewusst auf Distanz zur russischen Führung, legt Blumen nieder an der Kreml-Brücke, auf der Oppositionsführer Boris Nemzow erschossen wurde, und trifft danach Menschenrechtsaktivisten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.05.2015)

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