„Flüchtlinge suchen besseres Leben, das ist nachvollziehbar“

GREECE GERMANY KELLER
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Die grüne Europaabgeordnete Ska Keller wünscht sich verpflichtendes Resettlement und neue Wege bei der Arbeitsmigration.

Die Presse: Die Flüchtlingswelle über das Mittelmeer wird größer, tausende Menschen sterben – und die EU schaut zu. Welche Maßnahmen schlagen Sie im Sinn einer langfristig wirksamen Flüchtlingspolitik vor?

Ska Keller: Zuallererst brauchen wir ein gemeinsames Rettungsprogramm, das bis vor die libysche Küste reicht, wo ja die meisten Flüchtlinge in Seenot geraten. Dann natürlich humanitäre Visa, verpflichtende Resettlement-Programme und legale und sichere Einreisemöglichkeiten. Auch das Dublin-System muss neu aufgerollt werden. Ein EU-weiter Verteilungsschlüssel sollte die Bedürfnisse der Flüchtlinge in Bezug auf Familie, Anknüpfungspunkte und Sprache berücksichtigen. Wenn Flüchtlinge in das EU-Land gehen können, wo schon Verwandte sind, erleichtert das die Integration.

Viele Bootsflüchtlinge machen sich aber aus wirtschaftlichen Gründen auf den Weg nach Europa. Da können weder humanitäre Visa noch Resettlement-Programme Abhilfe leisten.

Diese Menschen haben wegen der Aussichtslosigkeit, als Flüchtlinge anerkannt zu werden, oft gar nicht vor, Asyl zu beantragen. Sie suchen in Europa ein besseres Leben, und das ist auch absolut nachvollziehbar. Leider haben wir in der EU bisher aber keine Möglichkeiten für die legale Einreise – bis auf die Bluecard, die allerdings nur an besonders Hochqualifizierte ausgegeben wird. Deshalb müssen wir bei der Arbeitsmigration neue Wege schaffen.


Das klingt logisch, in der EU ist man davon aber weit entfernt.

Ja. Momentan treffen wir die Unterscheidung zwischen Kriegs- und Wirtschaftsflüchtlingen nur im Asylverfahren in Europa, also wenn die Migranten schon hier sind. Sie sollten sich aber schon im Vorfeld entscheiden können, ob sie Asyl beantragen oder in die Arbeitsmigrationsphase eintreten wollen. Da es diese Möglichkeit derzeit nicht gibt, müssen sich viele Menschen zwangsläufig an die Asylstellen wenden und hoffen, dass sie da irgendwie durchrutschen. Das ist absurd.

Deshalb gibt es ja – auch vonseiten Österreichs – den Vorschlag, UNHCR-Anlaufstellen in Nordafrika aufzubauen. Was halten Sie davon?

Für uns ist wichtig, dass der Asylantrag selbst in Europa gestellt und bearbeitet wird, weil wir außerhalb der EU keine Rechtsstaatlichkeit garantieren können. Wir müssten dann mit Regimen wie Ägypten zusammenarbeiten, wo die Menschenrechte nicht geachtet werden. Darüber hinaus sollte man natürlich auch festhalten, dass es ja bereits UNHCR-Lager gibt. Die Mitarbeiter vor Ort informieren, geben Flüchtlingsausweise aus und suchen für Kranke, Alleinerziehende und andere besonders schutzbedürftige Flüchtlinge nach Resettlement-Plätzen, die leider kaum jemand bereitstellen will. 13 von insgesamt 28Mitgliedstaaten der Union haben noch keinen einzigen Syrer aus einem UNHCR-Lager aufgenommen. Aber es ist eben bestimmt nicht so, dass die Flüchtlinge irgendwo herumspringen und keiner weiß, wo sie sind.

ZUR PERSON

Ska Keller sitzt seit 2009 für die grüne Fraktion im Europäischen Parlament. Die 33-jährige gebürtige Brandenburgerin ist Mitglied im Handels- und Innenausschuss und migrationspolitische Sprecherin der Grünen. [ EPA ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.05.2015)


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