Rewe-Chef-Hensel: „Bio wird eine Nische bleiben“

Andrä Rupprechter und Rewe-Chef Frank Hensel
Andrä Rupprechter und Rewe-Chef Frank Hensel(c) Die Presse - Clemens Fabry
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Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter und Rewe-Chef Frank Hensel über Chlorhühner, Biobauern und die Realität der Werbung.

Die Presse: Herr Minister Rupprechter, ein Tier das zuletzt für große Aufregung gesorgt hat, war das Chlorhuhn. Würden Sie eigentlich ein Chlorhuhn essen?

Andrä Rupprechter: In Europa werde ich es nicht bekommen. Wenn man aber in den USA ein Huhn isst, wird man wahrscheinlich nicht darum herumkommen. Ich würde daher in den USA wohl eher kein Huhn essen.

Herr Hensel, würden Sie Chlorhühner ins Sortiment aufnehmen, wenn es erlaubt wäre?

Frank Hensel: Das kann ich ganz klar verneinen, weil es keine Nachfrage danach gibt. Wir machen das, was unsere Kunden von uns erwarten beziehungsweise von uns wollen. Und da sehe ich nach der Debatte um das Chlorhuhn überhaupt keine Chance, in Österreich auch nur ein einziges zu verkaufen. Wir haben dieselbe Situation ja schon seit Jahren bei gentechnisch veränderten Produkten. Die dürfen hier verkauft werden, sind aber ein riesengroßer Flop.

Ist dann die ganze Aufregung nicht völlig übertrieben, wenn der Handel ohnehin sagt: Wir verkaufen das nicht und die Kunden es nicht kaufen würden? Warum haben wir dann so viel Angst vor den Chlorhühnern?

Hensel: Das Chlorhuhn ist ja nur ein Synonym. Es geht bei der Diskussion um das Handelsabkommen TTIP zwischen der EU und den USA um andere Sichtweisen zum Thema Produktsicherheit in den Vereinigten Staaten und Europa. Das hängt auch mit den Rahmenbedingungen zusammen, etwa dem unterschiedlichen Zugang bei der Produkthaftung. Unter dem Strich gibt es hier einfach verschiedene Kulturen.

Rupprechter: Es geht in diesem konkreten Fall um eine Behandlungsmethode, deren Risikobewertung in den USA anders ist als in Europa. Das gilt aber auch für viele andere Themen. Unserer Ansicht nach soll jede Seite auch in Zukunft die Standards setzen dürfen, die für die Produkte gelten, die in ihrer Region in den Handel kommen. Und Kommissarin Malmström hat uns versichert, dass dies ein Prinzip ist, das in dem Abkommen definitiv festgeschrieben werden wird.

Herr Hensel, Sie haben im Vorjahr einen sehr kritischen offenen Brief zu TTIP veröffentlicht und wurden so quasi zur neuen Galionsfigur der Gegnerschaft. Etwas ungewöhnlich für einen Konzernchef und Händler, oder?

Hensel: Ich finde das nicht ganz so ungewöhnlich, weil TTIP ja auch unsere Interessen und die unserer Kunden betrifft. Und für die werden wir uns einsetzen. Grundsätzlich sind Handelsabkommen natürlich immer positiv. Es wäre ja auch komisch, wenn ich als Händler etwas anderes sagen würde. Zu dem Zeitpunkt, zu dem ich diesen Brief geschrieben habe, gab es jedoch in der Tat ein Riesenproblem, und zwar, dass die Verhandlungen hinter verschlossenen Türen geführt wurden und es keine Informationen über die Inhalte gegeben hat. Das hielt ich für grundsätzlich falsch. Hier hat die EU-Kommission inzwischen aber auch gelernt. Ebenfalls wichtig für uns ist, dass europäische Standards nicht unterlaufen werden. Und Schiedsgerichte können wir uns nur dort vorstellen, wo es keinen klaren Rechtsrahmen gibt. Den haben wir aber in Europa.

Rupprechter: Von der früheren Kommission sind diese Verhandlungen wirklich etwas problematisch geführt worden, in Bezug auf die Geheimhaltung etwa. Und die privaten Schiedsgerichte würden so, wie sie ursprünglich konzipiert waren, das Rechtssystem in Europa und den USA aushebeln. Auch hier hat die neue Kommission gelernt. Die Verhandlungen zu diesem Thema sind ausgesetzt und bis Juni sollen in Europa neue Vorschläge entwickelt werden, die in Richtung internationale Gerichtsbarkeit gehen. Hier hat Kommissarin Malmström mit einem neuen Konzept einen Schritt in die richtige Richtung gesetzt. Denn natürlich haben die Investoren auch ein Recht auf Schutz vor willkürlicher Gesetzgebung.

Ist TTIP nun grundsätzlich gut oder schlecht?

Rupprechter: Wenn es gut ausverhandelt wird und die roten Linien bei der Lebensmittelsicherheit oder dem Schutz der Ursprungsbezeichnungen nicht überschritten werden, dann kann das für uns auch Chancen bieten.

Hensel: Klare Antwort: Ja, wenn es Chancengleichheit gibt und unsere Standards nicht verletzt werden.

Stichwort Ursprungsbezeichnungen. Herr Rupprechter, Sie sagten jüngst, Tiroler Speck aus den USA darf es nicht geben. Nun gibt es aber sehr wohl Tiroler Speck aus Dänemark, der nämlich aus dänischen Schweinen hergestellt wird. Werden Konsumenten nicht heute schon verwirrt?

Rupprechter: Für Produkte mit dem AMA-Gütesiegel werden ausschließlich heimische Schweine verarbeitet. Das ist für die Konsumenten die beste Identifizierung, wenn sie nur heimische Produkte wollen. Wenn Tiroler Speck auch aus dänischen Rohprodukten hergestellt wird, ist das nicht anders als beim Serrano- oder Parmaschinken. Entscheidend ist die Veredelung. Und die findet in Tirol oder Parma statt.

Ist es dem Kunden etwas wert, dass die Produkte aus Österreich kommen?

Hensel: Ja. Es gibt auch viele Produkte, bei denen sowohl die Herstellung der Grundstoffe als auch die Veredelung in der Region erfolgen. Etwa das Tullner Schwein – ein Projekt, das wir sehr erfolgreich mit Lieferanten aus der Region machen. Worum es geht, ist, dass die Wertschöpfung in Österreich ist und die Kommunikation gegenüber dem Kunden transparent ist.

Weil Sie gerade von transparenter Kommunikation sprachen: Ihre Gruppe wirbt seit geraumer Zeit mit dem süßen kleinen Schweinchen auf dem gemütlichen Bauernhof für Bio-Produkte. Ist das die Realität?

Hensel: Ich glaube, ich muss Ihnen nicht sagen, dass Werbung immer überzeichnet. Es gibt keine Werbung, die die Realität wirklich abbildet. Das Schwein erfüllt also diese Rolle der Werbung. Diese Werbelinie hat jedoch dazu geführt, dass wir viele Themen – etwa Pestizide – kommunizieren konnten, die man sonst nicht so leicht rüberbringt.

Apropos leicht rüberkommen: Laut Verein für Konsumenteninformation gibt es 105 verschiedene Gütesiegel im Handel, die Konsumenten würden gar nicht mehr durchblicken. Sollte man da nicht etwas tun?

Rupprechter: Laut Umfragen haben sowohl das AMA-Gütesiegel als auch das Biokontrollzeichen der AMA sehr hohe Anerkennungsraten. Diese Zeichen stehen für Qualität, das wissen die Kunden.

Hensel: Das Thema mit den vielen verschiedenen Siegeln wird immer wieder hochgepusht. Man kann auf jeden Fall auf das AMA-Gütesiegel vertrauen. Wir haben im Unternehmen nur ein einziges Gütesiegel, das ist Pro Planet. Das hat aber einen anderen Hintergrund, das sind Produkte, die die Umwelt und Gesellschaft während ihrer Herstellung deutlich weniger belasten. Hinter dem Gütesiegel muss aber auch eine Marke stehen, bei uns ist das im Biobereich Ja! Natürlich.

Wie hoch ist der Anteil an Bioprodukten bei Merkur und Billa?

Hensel: Er liegt bei sieben bis acht Prozent am Gesamtsortiment. Es ist aber sehr abhängig von den verschiedenen Produktgruppen. Wir haben in manchen Bereichen keine Bioprodukte, oder es werden einfach keine hergestellt. Bei anderen Warengruppen ist der Bioanteil bei 50 bis 80 Prozent, etwa bei Getreide oder Gemüse.

Angenehmer Nebeneffekt ist für den Handel doch auch, dass man Bioprodukte teurer verkaufen und damit mehr verdienen kann.

Hensel: Das ist nicht zwangsläufig der Fall. Es gibt durchaus konventionelle Produkte, bei denen die Margen höher sind als bei Bioprodukten. Wir bieten teilweise auch deshalb Bioprodukte an, weil sie ins Gesamtangebot passen oder den Angebotsbereich besser abdecken. Da geht es nicht nur um Margen. Letztlich müssen wir am Ende aber etwas verdienen, bei dieser Anforderung unterscheiden sich Bioprodukte wenig von konventionellen Produkten.

In der letzten Zeit sieht man einen Trend, dass viele Biobauern wieder zur konventionellen Landwirtschaft wechseln. Sie begründen das damit, dass die Auflagen zu streng sind und sie in Relation zu wenig verdienen. In der konventionellen Landwirtschaft hätten sie es einfacher.

Rupprechter: Wir haben hier eine gewisse Entwicklung, die ich auch mit Sorge sehe. Der Kontrollaufwand im Biobereich ist extrem hoch, die Hersteller werden sehr streng und genau überprüft. Jetzt kommt noch dazu, dass die EU-Kommission eine Revision der Bioverordnung vorschlägt, mit der die ohnehin schon hohen Kontrollanforderungen noch einmal zusätzlich verschärft werden. Für die Bauern bedeutet das sehr viel zusätzliche Bürokratie. Was die Kommission da derzeit auf dem Verhandlungstisch hat, ist eine Biovertreibungsverordnung. Wir sind dagegen. Kontrolle muss durchaus sein, aber man darf kleine Betriebe nicht mit solchen Mehraufwendungen geradezu dazu zwingen, von der Biolandwirtschaft wegzugehen.

Ein Problem für die Bauern sind die geplanten strikteren Pestizidvorschriften für Bioprodukte.

Rupprechter: Es geht um die Grenzwerte. Wenn es jetzt zu Verfrachtungen von Pestiziden durch einen benachbarten Betrieb, der konventionell arbeitet, kommt, muss der Biobauer die entsprechende Parzelle sperren. Die neue Grenzwertdiskussion würde bedeuten, dass in so einem Fall der ganze Betrieb gesperrt werden muss. Das geht eindeutig zu weit.

Hensel: In dieser Diskussion wird ein wenig übertrieben. Österreich ist in Bezug auf Pestizidrückstände ein Musterland in der EU. Solche Grenzwertdiskussion werden auch deshalb geführt, weil die Möglichkeiten, Pestizide nachzuweisen, immer besser werden. Das muss man sich wissenschaftlich wirklich genau anschauen. Wir haben unsere eigenen Grenzwerte, die weit unter den gesetzlichen Grenzwerten liegen. Wir arbeiten mit Global 2000 zusammen, die zu den Bauern fahren und sie beraten. Da geht es teilweise um ganz banale Probleme, die man beim Bauern lösen muss und die Global 2000 kennt. Man sollte mehr mit den Landwirten kooperieren und ihnen nicht durch übermäßige bürokratische Vorschriften das Leben schwer machen. Aktuell haben wir 7000 Biobauern in Österreich als Lieferanten. Dass mehr aufhören, können wir nicht feststellen. Es gibt eine stetig steigende Nachfrage nach Bioprodukten, vor allem auch in Deutschland.

Die Biolandwirtschaft hat in Österreich einen Anteil von etwa 20 Prozent an der Gesamtlandwirtschaft. Gibt es ein politisches Ziel, will man auf 30, 40 oder gar 50 Prozent kommen?

Rupprechter: Ich nenne bewusst kein Ziel. In Österreich hat Salzburg derzeit den höchsten Anteil mit fast 50 Prozent der Flächen und der Betriebe. Insgesamt müssen wir es den Bauern leichter machen, ihre Betriebe auf Bio umzustellen. Die große Unsicherheit, die wir derzeit haben, ist eben die Bioverordnung der EU-Kommission. Da halten sich die Landwirte zurück, weil sie nicht wissen, was auf sie zukommt. Wenn die Rahmenbedingungen stimmen, dann werden auch mehr Betriebe auf eine biologische Landwirtschaft umstellen. In Bayern sind es derzeit etwa zehn Prozent, die haben sich als Ziel einen Anteil wie Österreich gesetzt.

Hensel: Eine solche Entwicklung muss immer im Einklang mit dem Kunden gehen. Es nützt nichts, wenn man ein großes Angebot hat und nicht die entsprechende Nachfrage. Uns muss klar sein, dass ein Anteil von mehr als 50 Prozent nicht realistisch ist. Bio wird eine Nische bleiben, aber sie wird größer werden.

DER MINISTER UND DER KONZERNCHEF

Andrä Rupprechter ist seit Dezember 2013 österreichischer Landwirtschaftsminister. Der 53-jährige Tiroler startete nach dem Boku-Studium seine Karriere im Jahr 1988 beim Bauernbund. Danach war er in den Kabinetten der Landwirtschaftsminister Franz Fischler und Wilhelm Molterer tätig, bevor er zuerst im Ministerium und später in Brüssel Führungspositionen im Landwirtschaftsbereich übernahm.

Frank Hensel ist seit 2005 im Vorstand von Rewe International, seit 2008 leitet er das Unternehmen. Der 1958 geborene Deutsche startete seine Karriere nach dem BWL-Studium bei Nestlé Deutschland. Danach arbeitete er bis 1999 bei Spar Deutschland, wo er zuletzt Direktor war, bevor er zum Konkurrenten Rewe wechselte.

Ministerium und Handelsunternehmen wie Rewe arbeiten beim Thema Biolandwirtschaft immer wieder zusammen. So zurzeit bei der Aktion „Blühendes Österreich“, bei der besonders wertvolle Lebensräume zur Erhaltung der Biodiversität über ein Prämienmodell finanziert werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.05.2015)

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