Lungenkrebszellen im Labor züchten

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Medizin. Heimische Forscher konnten erstmals Zellen des kleinzelligen Lungenkrebses aus dem Blut im Labor kultivieren. Ein Grundstein, um die Besonderheiten des Krebses zu erforschen.

Aggressivität ist ein grundlegendes Merkmal von Krebs. Krebszellen wandern in umliegende Gewebe oder verbreiten sich als Metastasen im ganzen Körper. Doch der kleinzellige Lungenkrebs ist nicht nur durch seine Aggressivität geprägt. Er spricht auch schlecht auf Therapien an. „Eine Chemotherapie wirkt maximal ein Jahr. Der Tumor wird resistent gegen die Therapie und kann wieder weiterwachsen“, sagt Gerhard Hamilton vom Ludwig-Boltzmann-Cluster für Translationale Onkologie. Er hat sich auf den kleinzelligen Lungenkrebs spezialisiert.

Meist wird dieser erst spät entdeckt, eine Operation ist nicht mehr möglich. Die Forschung des Clusters, dem mehrere Krankenhäuser in Wien angehören, soll nicht nur helfen, früh zu erkennen, wenn Therapien nicht mehr wirken, sondern auch die Anwendung neuer Medikamente ermöglichen.

Der Krebs im Blut

„Ein Problem bei der Erforschung des Lungenkrebses ist der Mangel an verfügbaren Tumorproben“, erklärt Hamilton. Meist wird anfangs nur eine geringe Menge mittels einer Biopsie gewonnen. Zu wenig Material, um zu forschen. In Zusammenarbeit mit Robert Zeillinger von der Frauenklinik am AKH Wien untersuchte man daher zirkulierende Tumorzellen. Diese Zellen werden vom Krebs ins Blut abgegeben, wo ein geringer Teil auch Metastasen an anderen Stellen im Körper bildet. „Der kleinzellige Lungenkrebs hat im Gegensatz zu anderen Tumoren sehr viele zirkulierende Tumorzellen“, sagt Hamilton. Ein Vorteil ist, dass man dann keine Biopsie braucht, sondern eine einfache Blutabnahme ausreicht.

Der Krankheitsverlauf kann so einfach dokumentiert werden. Wenn die Anzahl der zirkulierenden Tumorzellen stark ansteigt, erkennt man frühzeitig, dass die Therapie nicht mehr greift. So kann die Anzahl der zirkulierenden Tumorzellen genutzt werden, um eine Prognose zu stellen oder die Therapie anzupassen.

Doch die Anzahl reicht nicht aus, um die Zellen ausführlich zu erforschen. Daher ging Hamilton einen Schritt weiter. Mit seinem Team gelang es ihm weltweit als Erstem, die Tumorzellen im Labor weiterzuzüchten. Dazu erhielten die Forscher in Kooperation mit dem Ludwig-Boltzmann-Institut für COPD und Pneumologische Epidemiologie 30 Blutproben von Patienten mit einem kleinzelligen Lungenkrebs. Nachdem die Zellen monatelang in einer Gewebekultur waren, gelang es bei drei Proben, diese zur Kultur auszuwachsen. „Damit kann man erstmals untersuchen, wie sich die Zellen verhalten oder warum sie resistent werden“, sagt Hamilton.

Entzündung fördert Tumor

Wie es dazu kommt, dass die Zellen aus dem Tumor überhaupt in die Blutgefäße einwandern, konnte das Team bereits herausfinden. Dabei geht von den Tumorzellen eine Entzündung aus, die besonders dem Tumor selbst nützt: Abwehrzellen wandern in den Tumor ein und unterdrücken das Immunsystem. Blutgefäße werden angelockt, das umliegende Gewebe aufgelöst, sodass einzelne Tumorzellen den Weg in den Blutkreislauf und damit in den ganzen Körper nehmen können. Der Mechanismus dürfte bei anderen Tumoren ähnlich sein.

„Wir konnten mit dem Enzym Chitinase auch den Faktor finden, der die zirkulierenden Tumorzellen sozusagen scharf macht“, so Hamilton. Da der Mensch kein Chitin besitzt, hat das Enzym seine eigentliche Funktion verloren und wirkt hier als Regulator.

Mit dem Grundlagenwissen kann man nun weiterforschen, welche Faktoren etwa bei Therapieversagen beteiligt sind. So können diese gezielt als Angriffspunkte für neue Medikamente genutzt werden und so dem Tumor die Aggressivität nehmen.

LEXIKON

An Lungenkrebs sterben jedes Jahr mehr Menschen als an Brust-, Dickdarm- und Prostatakrebs zusammen. Neun von zehn Fällen entstehen durch Tabakrauch. Generell wird der Krebs in zwei Formen eingeteilt: in den kleinzelligen Lungenkrebs und die Gruppe der nicht kleinzelligen Lungenkrebse, welche mit rund 80 Prozent die größte Gruppe darstellen. Besonders bei Frauen nimmt der Krebs in den letzten Jahren zu.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.05.2015)

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