Tour durch touristenfreie Zonen

JUEDISCHER BET-PAVILLON IM ALTEN AKH
JUEDISCHER BET-PAVILLON IM ALTEN AKHAPA
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Sie nehmen Touristen quasi an die Hand und zeigen ihnen Wien abseits von Innenstadt, Schönbrunn oder Naschmarkt: die Vienna Greeters, Freiwillige, die mit Touristen spazieren.

Jonathan Irons geht gern spazieren. Und er nimmt dazu auch Fremde mit, denen er die Stadt zeigt. Nicht das Schloss Schönbrunn, nicht den Dom, nicht die Ringstraße. „Das Haus hier, das kennen sogar viele Wiener nicht“, sagt er vor dem Beethoven-Haus in der Schwarzspanierstraße 15, jenem Ort, an dem bis 1904 das Haus stand, in dem Beethoven 1827 „erbaulich starb“, wie die Inschrift verrät – und an dem der gemeinsame Spaziergang startet. Weiter durch ein Durchhaus, „das ist so typisch wienerisch, dieses Durchhaus, oder diese Aufschrift“, sagt Jonathan Irons und zeigt auf die alten Lettern „Buchdruckerei“ über einer Tür im Hof, der gewöhnlich wohl touristenfreie Zone ist. Außer, wenn Jonathan Irons hier mit Gästen vorbeikommt.

Er ist ein Greeter, und als solcher Teil eines internationalen Netzwerks an Freiwilligen, die kostenlos Touristen durch ihre Städte führen. Seit Jahresbeginn gibt es die Greeters nun auch in Wien, Jonathan Irons ist einer der Gründer der Wiener Gruppe. „Es ist, als wenn man Freunde zu Besuch hätte. Und man sieht so selbst die Stadt wieder mit dem Blick eines Touristen.“


Von New York in 98 Städte. In Wien ist das Prinzip neu, gegründet wurde das Greeter-Netzwerk aber schon 1992 von der New Yorkerin Lynn Brooks, die mit den Big Apple Greeters dem damals schlechten Image der Metropole entgegenwirken wollte. Heute sind allein in New York 300 Freizeit-Fremdenführer unterwegs, das Greeter-Netzwerk ist auf 98 Städte angewachsen. „Ich kenne das aus New York, das war dort einfach so nett“, erklärt der Brite Jonathan, der lange in New York war und nun seit acht Jahren in Wien lebt, warum er mit Fremden unentgeltlich spazieren geht, während der Mehrheit der Wiener Touristen oft ein wenig lästig sind.

Jonathan Irons geht es da anders, ihm macht es Freude, Leute zu treffen. Auch, weil er es selten mit ahnungslosen Touristengruppen, die Sehenswürdigkeiten abfotografieren, zu tun hat. „Zuletzt hatte ich zum Beispiel einen Ex-Soldaten und eine Lehrerin aus Kanada. Wann würde ich denn sonst solche Leute kennenlernen?“ Klassische Wiener Touristentouren, die man bei jedem Fremdenführer buchen kann, machen die Greeters nicht. Wer von einem „Local“ durch die Stadt geführt werden möchte, kann sich über das Onlineportal melden und auch Wünsche deponieren – das kann ein Viertelrundgang sein, eine Lokaltour oder der Besuch eines Marktes.

Die Gründe, Fremden die Stadt zu zeigen, sind ganz unterschiedlich. Ulli, eine Deutschlehrerin, sieht ihre Spaziergänge mit Touristen vor allem als Sprachtraining. Sie ist über das Sprachcafé in Margareten zu den Greeters gestoßen und trifft sich am liebsten mit Leuten, mit denen sie Italienisch oder Französisch reden kann. Aber sie war zum Beispiel auch schon mit zwei jungen Wienerinnen unterwegs. „Die studieren im Ausland und wollten Gegenden von Wien, in denen sie noch nie waren, kennenlernen“, erzählt sie.

Es sind aber nicht nur junge, onlineaffine Menschen, die mit Rucksack und nach dem Prinzip „Urlaub bei (neuen) Freunden“ reisen und ihren Schlafplatz über couchsurfing.com oder Airbnb suchen, die zu den Greeters kommen. In Wien haben sich bisher viele ältere Gäste, meist 50 plus, zu den Touren gemeldet. Sie kennen das klassische Wien und wollen Neues. Aber auch Geschäftsleute oder Familien waren schon dabei. „Der gemeinsame Nenner ist: Sie wollen etwas anderes sehen als den ersten Bezirk. Viele wollen auch einfach einen Local treffen und mit ihm plaudern“, sagt Daniel, Anlageberater und ebenfalls Greeter.

Derzeit bekommen die Wiener Greeter rund eine Anfrage pro Tag, Tendenz steigend. 21 Greeter gibt es in Wien mittlerweile – und es sollen noch viele mehr werden, wirbt Irons. Wie die Kollegen in anderen Städten sucht auch die Wiener Gruppe Freiwillige, die ihre Stadt und ihre Lieblingsviertel herzeigen wollen. Bei Jonathan ist eines dieser Viertel der neunte Bezirk. Von der Schwarzspanierstraße geht es weiter, durch Beethovengasse, Garnisongasse, vorbei an der Nationalbank und ins Alte AKH.

In den sechsten Hof, zum Marpe Lanefesch, früher ein Betpavillon für jüdische Patienten, heute ein begehbares Denkmal. Jonathan erzählt kurz die Geschichte, dann geht es weiter: Urban Gardening hinter dem Narrenturm, durch das Stadtwäldchen Sensengasse ins Studentencafé Coffee Pirates. Es sind Orte, die vielleicht mehr über das Leben in Wien erzählen als eine Tour entlang der klassischen, ausgetretenen Touristenpfade.

Solche Touren machen die Greeter kaum, schließlich gibt es dafür unzählige kommerzielle Anbieter in Wien. „Genauso wie in New York, da gibt es ja auch touristisches Angebot ohne Ende, aber die Leute wollen auch einmal etwas anderes“, sagt Jonathan Irons.


Themenspaziergänge als Trend. Mit diesem quasi alternativen Programm für Touristen sind die Greeters nicht allein. Auch der Verein Wiener Spaziergänge bietet, in diesem Fall entgeltlich und begleitet von professionellen Fremdenführern, Spaziergänge zu Themen wie Wiener Durchhäuser oder Österreichs Widerstand im Nationalsozialismus an. Auch von Freiwilligen gibt es Ähnliches, zuletzt haben Anfang Mai zum zweiten Mal in Wien – wie in mehr als 100 Städten weltweit – die Jane's Walks stattgefunden. Das sind kostenlose Spaziergänge, bei denen Interessierte die Stadt zu bestimmten Themen erkunden. „Dazu kommen Architekturspaziergänge, nun die Greeters, außerdem ist in Wien offiziell das Jahr des Gehens“, erinnert Jonathan daran, dass gemeinsam zu Spazieren in Wien fast schon zum Trend geworden ist.

Greeters

1992 entstand in New York die Idee der Greeters: Lynn Brooks wollte mit dem Verein Big Apple Greeter das damals schlechte Image der Metropole aufbessern, indem sie Touristen persönlich die Stadt zeigt.

Die Prinzipien sind simpel: Die Touren sind kostenlos und meist abseits der ganz bekannten Sehenswürdigkeiten. Ein Spaziergang dauert etwa zwei Stunden, die maximale Gruppengröße beläuft sich auf sechs Personen. Ein Spaziergang muss mindestens zwei Wochen im Voraus vereinbart werden.

Mittlerweile gibt es Greeters in 98 Städten (und teilweise Regionen) weltweit. Seit wenigen Monaten gibt es auch in Wien (mittlerweile 21) Greeters – und sie suchen noch nach Freiwilligen, die mindestens einmal alle zwei Monate Wien-Besuchern die Stadt zeigen wollen. Infos unter www.viennagreeters.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.05.2015)

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