Auch der Cartellverband arbeitet an einem neuen Papier. Mit jeder Entscheidung der „Django“-ÖVP ist man nicht zufrieden. Mit dem Programm schon.
Der Zeitpunkt ist „reiner Zufall“, wie Lorenz Stöckl erklärt. Mit der ÖVP habe das nichts zu tun. Aber es trifft sich gut: Während die Volkspartei Dienstag und Mittwoch in der Wiener Hofburg ihr Parteiprogramm verabschiedet, bastelt auch einer der wichtigsten Vereine in Sachen schwarzer Nachwuchspflege an einem neuen Grundsatzpapier: Im Österreichischen Cartellverband (ÖCV) werden gerade Arbeitsgruppen aufgestellt und Themenschwerpunkte verteilt, im Sommer 2016 soll das Programm stehen.
Denn das alte Papier stammt aus dem Jahr 1994, erklärt Stöckl, Präsident des katholischen Studentenverbandes mit dem Coleurnamen Tux („Wie der Pinguin des Betriebssystems Linux“). „In der Zwischenzeit hat sich im Hochschulbereich einiges geändert, es gab zum Beispiel den Bologna-Prozess.“ Und: „Bis zu einem gewissen Grad wollen wir auch auf die veränderte politische Landschaft eingehen.“ Soll heißen: Der größte Teil der politisch engagierten Kartellbrüder hat zwar ein schwarzes Parteibuch. Aber auch auf Grüne und Neos soll eingegangen werden, „da gibt es im CV einen gewissen Pluralismus“. Und der soll im Programm Abbildung finden.
"Entscheidung war Schock." Will der Cartellverband also, wie die ÖVP, bewusst moderner werden? „Unsere vier Prinzipien sind in Stein gemeißelt“, meint Stöckl dazu. Das Bekenntnis zum katholischen Glauben, zu Patriotismus, Wissenschaftspflege und Lebensfreundschaft bleibe erhalten. Überraschungen würden in wichtigen Bereichen ausbleiben: „Als katholischer Verband haben wir im Bereich Familienpolitik oder Lebensschutz klare rote Linien.“ Linien, die die ÖVP in der Regierung schon überschritten hat: Mit dem Ende des Adoptionsverbots für homosexuelle Paare und dem neuen Fortpflanzungsmedizingesetz sorgte die Partei für Verstimmung unter den Studenten. Nach der Steuerreform warnte man in der CV-Verbandszeitschrift „Academia“: „Die ÖVP gibt sich auf“.
Das neue Fortpflanzungsmedizingesetz war für Stöckl jedenfalls „ein Schock, das kann man schon so sagen“. Der CV distanziere sich klar von der Präimplantationsdiagnostik (der Untersuchung befruchteter Eizellen auf genetische Erkrankungen vor der Einpflanzung). Durch das neue Adoptionsrecht werde das Wohl des Kindes gefährdet, hieß es in einer Aussendung.
Ehe berücksichtigen. Für das neue ÖVP-Programm gibt es dafür aber Lob: „Wenn das in der bekannten Form am Parteitag durchgeht, sind wir sehr zufrieden“, sagt Lorenz Stöckl. „Denn Vater, Mutter, Kind als Leitbild für Familien wird positiv hervorgehoben.“ Außerdem werden gleichgeschlechtliche Paare als positiver Beitrag für die Gesellschaft genannt. „Wir haben gemeinsam mit anderen katholischen Verbänden darum gebeten, dass man auch Patchwork-Familien in die Formulierung mithineinnimmt.“
Nur einen Wunsch des Cartellverbands berücksichtigte die ÖVP nicht: „Wir wollten das Rechtsinstitut der Ehe stärker betont haben – das ist nicht drin.“ Und ist Stöckl mit seinem Cartellbruder Reinhold „Django“ Mitterlehner zufrieden? Eigentlich schon“, meint er. „Eine Verschlechterung ist es jedenfalls nicht.“
Fakten
Seit Juli 2014 ist Lorenz Stöckl von der Verbindung Rudolfina Wien der Präsident des Österreichischen Cartellverbands (ÖCV). Jedes Jahr wird ein neuer Vorsitzender gewählt.
Der ÖCV besteht aus 48 Verbindungen. Derzeit gibt es rund 12.500 Mitglieder.
Die katholischen Studenten bekennen sich zu den vier Prinzipien religio (Religion), patria (Heimat), scientia (Wissenschaft) und amicitia (Lebensfreundschaft).
("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.05.2015)