Geboren in Mauthausen

Eva Clarke, Mark Olsky und Hana Berger-Moran (von links) wurden 1945 in Mauthausen geboren. 2010 lernten sie einander kennen.
Eva Clarke, Mark Olsky und Hana Berger-Moran (von links) wurden 1945 in Mauthausen geboren. 2010 lernten sie einander kennen.(c) LPD OÖ/Michael Dietrich
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Wendy Holden erzählt in ihrem Buch von jenen Schicksalskindern, die in Mauthausen geboren wurden. Drei davon trafen gestern, Samstag, bei einer Gedenkfeier aufeinander.

„Sind Sie schwanger, fesche Frau?“, fragt Dr. Josef Mengele im Oktober 1944. Vor ihm steht die 28-jährige Priska Löwenbeinova, zitternd, nackt, verängstigt. „Nein“, presst die Slowakin hervor, und wieder überkommt sie die Übelkeit. Der SS-Mann mit den glänzenden Totenköpfen am Kragen gibt sich mit der Antwort zufrieden und geht in den Reihen der abgemagerten Neuankömmlinge im Lager Auschwitz-Birkenau weiter. Dass Josef Mengele, „Todesengel“ genannt, von den Nazis abgestellt wurde, um an jüdischen Babys genetische und andere Experimente durchzuführen, wusste Priska nicht. Dass sie ihm die Unwahrheit gesagt hatte, rettete ihrer Tochter Hana wohl das Leben. Priska war damals im zweiten Monat schwanger.

Heimlich schwanger

Ihr Kampf ums Überleben ist eine von drei Biografien, die Holden beschreibt. Die außergewöhnlichen Geschichten dieser jüdischen Frauen, die ihre Kinder im KZ unter widrigsten Bedingungen auf die Welt brachten, wurden gestern, am 9. Mai, in Anwesenheit von Innenministerin Johanna Mikl-Leitner sowie von den heute 70-jährigen Kindern, Hana Berger-Moran, Eva Clarke und Mark Olsky, in der Gedenkstätte Mauthausen vorgestellt.

„Guten Morgen hübsche Dame, sind Sie schwanger?“ Rachel Friedmann hörte diese Frage ebenfalls im Herbst 1944. Sie war eine der Letzten, die aus dem Ghetto in Lodz in das Lager Auschwitz-Birkenau deportiert wurden. Einst lebten hier 200.000 Menschen hinter Stacheldrähten unter Kontrolle der Nazis, nicht einmal hundert überlebten den Krieg. Rachel wusste nicht, was sie antworten sollte, las aber in den Augen der anderen Frauen die Angst. Als Mengele in Richtung ihrer Brüste griff, um diese mit seinen Lederhandschuhen grob zusammenzupressen, um zu überprüfen, ob Milch heraustritt, stammelte sie: „Nie. Nein.“ Er sah sie misstrauisch an, ging aber weiter. Auch die Tschechin Anka Nathanova wurde auf diesem Platz gemustert, auf den sie mit hunderten Frauen aus dem Zug über die Rampe getrieben worden war. Wie man eine Schwangerschaft verheimlicht, wusste Anka, denn schon einmal hatte sie heimlich im Ghetto einen Sohn zur Welt gebracht. Sie zog den Bauch ein und hielt ihre Hände schützend über die Brüste. Als man ihren Mann Bernd wenige Wochen zuvor Richtung Osten deportiert hatte, war sie ihm gefolgt. Zitternd und nackt fragte sie sich, welcher Teufel sie geritten hatte, zu glauben, ein glückliches Familienleben führen zu können.

Wie auch die beiden anderen Frauen sah sie ihren Mann nie wieder, umso mehr schworen sie sich, ihre Kinder durchzubringen. Sie waren das Letzte, was von ihren Ehen geblieben war. „Man brauchte nur ein wenig logisches Denken, um zu begreifen, dass die Überlebensrate in dieser Hölle sehr gering war“, erinnert sich Priska später. Sie tranken jede Flüssigkeit, die sie fanden, von Spülwasser bis zu Sumpfwasser. Sie aßen verfaultes Gemüse. Von Hunger und Durst gequält, mit schmerzenden Wunden und voller Ekel vor ihrem Geruch, überlebten die Frauen von Stunde zu Stunde, von Tag zu Tag – während sie selbst immer weniger und ihr Bauch immer größer wurde. Am 22. September wurden die Frauen wieder in Scharen in Züge getrieben. Die Fahrt dauerte drei Tage und zwei Nächte in geschlossenen Güterwaggons. Es wurden so viele Menschen hineingezwängt, dass sie kaum Luft bekamen. Viele starben an Erschöpfung, sie wurden unterwegs aus den Zügen geworfen. Ziel war das KZ Freiberg, wo die Frauen für die SS-Luftwaffe in Fabriken arbeiten sollten.

Priskas Schwangerschaft flog auf, weil sie eine Mitgefangene verpfiff. Sie gestand. „Eine Aufseherin kam und fragte mich, ob ich etwas brauchte. Ich bat um ein Fußbad.“ Priska hatte von Frost und Dreck ganz eitrige Füße und offenen Wunden bekommen. „Die Leute waren nett zu mir, weil sie nicht glaubten, dass mein Kind überleben oder normal werden würde.“ Einen Tag danach, am 12. April 1945 setzten die Wehen ein. Die nur noch 35 Kilogramm schwere Frau wurde auf die Krankenstation gebracht und brachte nach vielen Stunden Hana auf die Welt.

Nur wenige Stunden später wurden sie wieder auf einen Zug geladen. Das Lager Freiberg war von den Alliierten umstellt, die Deutschen flüchteten und nahmen ihre Sklaven mit. Auf der tagelangen Fahrt setzten bei Rachel die Wehen ein. Sie war in einem Kohlewaggon untergebracht, mit den Sterbenden, weil keiner glaubte, dass sie überleben würde. Mark kam auf die Welt. An einer Grenzstation bekam sie etwas zu essen. Das rettete ihr das Leben.

Anka hielt sich währenddessen in einem Waggon den Bauch und hoffte, dass sie nicht im Zug ihr Kind bekommen würde. Die Wehen setzten am 29.April vor den Toren von Mauthausen ein, als sie schockiert begriff, wo sie gelandet war. Eva wurde geboren.

Am 5. Mai befreiten die Amerikaner die Gefangenen aus dem Lager. Die drei unterernährten Mütter kamen mit ihren teilweise todkranken Säuglingen auf Krankenstationen – und überlebten. Obwohl Priska, Rachel und Anka zur selben Zeit an denselben Orten ein Schicksal teilten, wussten sie nicht voneinander. Erst 2010 trafen sich ihre Kinder bei der Gedenkfeier in Mauthausen. Dieses Jahr feierten Hana, Mark und Eva zusammen ihren 70. Geburtstag. „Unsere Mütter bekamen jeweils nur ein Kind“, sagten sie zur „Presse“. „90.000 Leben wurden in Mauthausen beendet, unseres begann hier. Unsere Geschichte macht uns zu viel mehr als Geschwistern.“

Buch

„Schicksalskinder.
Die KZ-Babys von Mauthausen“. Weltbild Premiere, 432 Seiten, 12,99 Euro

Original:
„Born Survivors. Three young mothers and their extraordinary story of courage, defiance
and survival“. Little Brown Book Group,
27,90 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.05.2015)

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