Die ÖVP genießt ihr Unterhaltungsprogramm

An und in der ÖVP gibt es derzeit offenbar wenig zu kritisieren. Außer vielleicht das Wichtigste: Sie kommt ihrer wirtschaftspolitischen Verantwortung für das Land nicht energisch genug nach.

Der Volkspartei wird mitunter unrecht getan. Die Bezeichnung „alte Tante“ etwa hat sie sich nicht verdient. Gut, sie ist schon sehr lang in der Regierung. Eine 19-Jährige kennt nichts anderes als ÖVP-Reformforderungen von der Regierungsbank aus. Aber die ÖVP agiert eher wie ein Teenager. Keine andere Partei kann innerhalb kürzester Zeit so himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt sein wie die Schwarzen.

Noch vor nicht einmal einem Jahr diskutierte die Partei ihr baldiges Ende, ihr damaliger Parteichef wurde zum idealen Testimonial für Mobbing-Therapien und Aufhellungstees. Sein Nachfolger, Reinhold Mitterlehner, drehte die Stimmung über Nacht. Seither fühlen sich auch nicht ganz so bekannte Funktionäre und Gemeinderäte wie Westernhelden und proben schon die Party für die Übernahme des Kanzleramts. Okay, mit dem Wirtschaftsbund, den Klein- und Mittelbetrieben und den Tourismusabhängigen gibt es noch Probleme, aber irgendjemand regt sich in der Partei immer auf.

Nächste Woche werden nun ein neues Programm beschlossen und ein paar Anträge diskutiert. Schon im Vorfeld wird darüber viel gesprochen. Wird die Partei tatsächlich die smart klingende „Sunset Legislation“ beschließen, wie von Hipster-Staatssekretär Harald Mahrer eingebracht? Dass also jedes Gesetz ein Ablaufdatum erhält – beziehungsweise regelmäßig auf Sinnhaftigkeit abgeklopft und nur dann wieder beschlossen wird. Nicht nur in der Steuerpolitik wäre das gut.

Aber wird sich die Partei womöglich auch sanft auf „Krone“-Linie begeben und dem TTIP-Handelsabkommen die kalte Schulter zeigen? Dann kann die Partei gleich Organisation, Rückgrat und jedwedes Programm abschaffen und auf Zuruf von Werner Faymann und dem Boulevard arbeiten. Und natürlich das Wichtigste für die Wiener Journalisten-Blase: Wird die Mitterlehner-Partei nun (gesellschaftspolitisch) liberaler als bisher? Neos für Erwachsene? Zweifel sind da angebracht, die sensiblen Orchideenthemen werden im Programm elegant umschifft. Mitterlehner wird liberal reden, die Partei weiter konservativ denken.

Aber genau das ist das Problem der ÖVP. Statt sich mit Lifestylethemen und Details (Anrede für homosexuelle Paare, verpflichtende Fußgängerzonen für Kleinstädte und Abhängen von Kreuzen in den zahlreichen privaten Lehrerzimmern, in denen die Überstunden getätigt werden) zu beschäftigen, wäre die ÖVP inhaltlich verpflichtet, ein paar zukunftsentscheidende Punkte anzugehen.

Österreich verliert in Europa gerade massiv als Wirtschaftsstandort, bei der Beschäftigung, beim Wachstum und wenn es um die Staatsfinanzen geht. Fast jedes Ranking zeigt: Auf einem Kontinent, der im internationalen Wettbewerb ohnehin nach hinten rutscht, verliert Österreich noch einmal Terrain.


Strategisch dumm. Das müsste die ÖVP mit einem Sofortnotprogramm (die Wirtschaft steuerlich umgehend entlasten, die Schulden abbauen, das Pensionssystem reformieren, Privatisierungen angehen usw.) angehen, den Koalitionspartner massiv unter Druck setzen und notfalls eine Entscheidung an der Wahlurne herbeiführen. Mitterlehners Aufruf, die Kriechspur zu verlassen, kann nur ein Anfang sein. Taten müssen folgen.

Schönes Detail: Als Werner Faymann intern angeschlagen war, gab die ÖVP-Spitze die Parole aus, Faymann zu schonen. Gegen ihn habe man bei der nächsten Wahl bessere Chancen als gegen einen frischen Kandidaten. Dass der vielleicht zu Reformen bereit wäre, denen sich Faymann verschließt, spielte in dieser Rechnung keine Rolle. Das war zynisch, verantwortungslos und strategisch dumm. Denn auch wenn noch jeder ÖVP-Politiker glaubte, die „Krone“ würde ihn unterstützen, weiß jeder Beobachter: Das ist von kurzer Dauer. Und: Werner Faymann ist schon oft wieder aufgestanden und in der koalitionsinternen Intrige besser als jeder andere. Der ÖVP wird ihr Zögern und Zaudern noch auf den Kopf fallen. Mitterlehner-Partystimmung hin oder her.

chefredaktion@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.05.2015)

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