Mazedonien taumelt in Bürgerkrieg

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Nach blutigen Gefechten in Kumanovo wächst die Sorge vor der Destabilisierung der gesamten Region. Wird der EU-Kandidat der neuen ethnischen Spannungen nicht Herr oder ist er intern zerrüttet?

Belgrad. Am Sonntag standen über der von Mazedoniens Sicherheitskräften hermetisch abgeriegelten Stadt Kumanovo schwarze Rauchwolken und knatterten unablässig die Helikopterrotoren. Aus dem am Vortag heftig umkämpften albanischen Stadtteil Diva war immer wieder das Rattern von MG-Salven zu hören. Am Nachmittag teilte das Innenministerium in Skopje dann mit: "Eine der gefährlichsten Terrorgruppen auf dem Balkan ist neutralisiert worden."

Doch es blieben vorerst viele Fragen offen. Mindestens acht Polizisten sollen bei den rätselhaften, am Samstagmorgen begonnenen Kämpfen gegen eine laut Regierungsangaben gut bewaffnete albanische „Terroristengruppe“ getötet worden sein. Die Kämpfer seien mit Maschinengewehren und Granaten ausgestattet und stammten sowohl aus Mazedonien als auch „aus einem der Nachbarstaaten“, behauptet Innenministerin Gordana Jankuloska. Behördenvertreter nannten später explizit den Kosovo.

Kosovo entsendet Polizei an die Grenze

Insgesamt sollen am Sonntag mindestens 14 Aufständische getötet worden sein. Rund 30 Bandenmitglieder sollen festgenommen worden sein. Darunter sollen sich auch einige frühere Bodyguards mazedonischer und kosovarischer Politiker befinden. Der Kosovo entsandte in der vergangenen Nacht eine Sonderpolizei-Einheit an die Grenze zu Mazedonien.

Am frühen Samstagmorgen hatten heftige Schusswechsel die rund 100.000 Bewohner der Stadt im Dreiländereck zu Serbien und Kosovo aus dem Schlaf gerissen. Stundenlang wüteten die Kämpfe zwischen mazedonischen Polizeitruppen und ihren unbekannten Gegnern. Hunderte Familien flüchteten vor den bürgerkriegsähnlichen Szenen in Panik über die nahe serbische Grenze. Viele fühlten sich an die Kämpfe von 2001 erinnert, als das ethnisch geteilte Land bei Scharmützeln zwischen albanischen Aufständischen und Regierungstruppen wochenlang am Rand eines Bürgerkriegs stand: Erst mit dem von der EU forcierten Abkommen von Ohrid konnte damals die Lage wieder befriedet werden.

Besorgt warnen die Nachbarstaaten Albanien, Kosovo und Serbien vor einer erneuten Destabilisierung der gesamten Region. Vor allem in Serbien geistert wieder die Schreckensvision eines Großalbaniens unter Einschluss aller albanischen Siedlungsgebiete durch die Medien. „Beginn des Kriegs für ein Großalbanien!“, titelte am Sonntag aufgeregt das Boulevardblatt „Alo!“. „Großalbanien klopft an die Tür“, vermeldete düster der „Blic“.

Doch wer hinter der mysteriösen Terrorgruppe steht, ist trotz eines angeblichen Bekennerschreibens einer bisher unbekannten Garde der Republik Illyrien weiter rätselhaft. Die Regierung des nationalpopulistischen Premiers, Nikola Gruevski, gibt zu verstehen, dass es sich bei den Kämpfern um frühere Mitglieder von Kosovos einstiger Untergrundarmee UÇK handele. Regierungskritische Analysten und die Opposition wittern in den rätselhaften Kämpfen hingegen ein mithilfe krimineller Söldner inszeniertes, aus dem Ruder gelaufenes Manöver der Regierung, um von den eigenen Problemen abzulenken.

Willkürherrschaft

Seit Monaten wird der Vielvölkerstaat durch einen Abhörskandal erschüttert, der die lang unangefochtene Position von Gruevski zunehmend untergräbt. Ob bei Manipulationen von Wahlen, der Bespitzelung und Ausschaltung von politischen Gegnern: Die von der Opposition veröffentlichten Aufzeichnungen offenbaren erschütternde Einblicke in die Abgründe von Willkürherrschaft und Machtmissbrauch. Nach der jüngsten Enthüllung über die Vertuschung eines von Polizisten begangenen Mordes hatten sich die Proteste gegen die Regierung in der letzten Woche erstmals auch auf Städte in der Provinz ausgedehnt.

LEXIKON

Mazedonien ist seit 1991 unabhängig. Zwei Jahre später kam es erstmals im Nordwesten des Landes zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen. Damals hatten albanische Guerillakämpfer einige Dörfer besetzt. Der Konflikt konnte aber mithilfe der EU befriedet werden. Mazedonien ist ein Vielvölkerstaat. Die größten Volksgruppen sind die Mazedonier mit 64 Prozent und die Albaner mit 25 Prozent.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.05.2015)

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