Valentin Vodev: Täglich am Rad drehen

(c) Norbert Philipp
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Der Designer Valentin Vodev bringt Mobilitätsideen ins Rollen.
Die Zukunft des Rades in der Stadt ist faltbar – daran glaubt er fest.

Zwei Beine waren den Menschen irgendwann zu wenig. Vom Pferd borgten sie sich schließlich vier. Und ließen von ihnen später sogar diese kreisrunden Erfindungen hinter sich herziehen, um die sich heute noch alles dreht: die Räder. Irgendwann war es in Wien dann sogar so weit, dass aufgeregte Menschen mit Stäben und Geschrei durch die Straßen liefen. Sie scheuchten die Fußgänger auf die Seite, damit die Kutschen auch schön um die Ecke preschen konnten. Heute sind die zweibeinigen Menschen wieder drauf und dran, sich den Stadtraum zitzerlweise zurückzuholen. Zu Fuß oder auf zwei Rädern, die sie selbst antreiben. Inzwischen druchdringt die Fahrradkultur nicht nur die Oberfläche der Stadt und ihre vordefinierten Wege. Sondern sie schwappt sogar eine Etage tiefer: ins Souterrain. Aber auch in den Hinterhöfen und versteckten Werkstätten gewinnt das Fahrrad neues Gebiet. Dort, wo seit ungefähr 1818 – als die ersten Tüftler ihre Fahrradvorläufer auf die Straße schickten – Techniker, Ingenieure, Designer und Gestalter mit Herzblut an den Rädern drehen. So lang, bis sie schließlich so aussahen, wie sie heute aussehen, und das können, was Räder heute so können müssen.

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Im großzügigen Souterrain eines alten Gewerbehofs in der Wiener Hornbostelgasse bemüht sich der Designer Valentin Vodev, das Rad der Zeit noch ein wenig weiterzudrehen – in Richtung Zukunft Stadtverkehr. Schon vor Jahren hatte Vodev das Thema Mikromobilität beforscht, anhand von London versucht, jenes Vehikel zu identifizieren, mit dem sich Städte am effizientesten bewältigen lassen. „Die Untersuchung hätte auch anders ausgehen können. Herausgekommen ist aber: Das Fahrrad ist das beste Verkehrsmittel für die Stadt“, erzählt Vodev. Vor allem auch, wenn man beim individuellen Vorwärtskommen dem Planeten, auf dem man sich bewegt, womöglich nicht allzu sehr schaden will.

Platzfrage. Das Fahrrad zieht seine Kreise: Nicht nur wenn Art-Direktoren und andere Vertreter der Wiener Creative Class es am Abend noch auf die Bahn des Ferry-Dusika-Stadions schicken. Auch die Produktionskultur, so wie es sie in Wien schon einmal gab, keimt zaghaft wieder auf, wenn Zahnärzte in ihrer Freizeit Rahmen schweißen und Designer wie Vodev zum Tüfteln in den Keller gehen. Räder scheinen sich perfekt in den Lifestyle, Zeitgeist und in die Trendkurve zu schmiegen, nur in eines nicht hineinzupassen: in die Stadtinfrastruktur. Dafür sind die meisten Radmodelle einfach zu sperrig, zu unelastisch, zu starr. Nicht nur auf den Fahrradwegen Wiens wird es eng, auch in den Aufzügen, U-Bahnen und überall dort, wo Türen sind – unzählige Orte, an denen sich gute Mobilitätsvorsätze und Alltag spießen. Das Prinzip Faltrad ist spätestens in den 1960er-Jahren angetreten, um Mobilität irgendwie auch systematisch zu vernetzen und Fahrräder den Kofferraumformaten anzupassen.

Leider waren die meisten Konzepte und Umsetzungen nur halbherzig und unausgegoren, wie Designer Valentin Vodev meint. Die Konstrukteure hätten vor allem auf eines vergessen: dass vor dem tollen Faltmechanismus und dem Irsinnig-praktisch-Sein eines stehen muss, ein gutes, solides Fahrrad, mit dem man auch gut durch die Stadt flitzen kann. „Viele Konzepte waren einfach nicht zu Ende gedacht“, sagt Vodev. Für sein eigenes hat er sich vier Jahre Zeit genommen. Damit das Faltrad den Großstädter auch tatsächlich durch das Stadtleben begleiten kann, in die U-Bahn und bis ins Wohnzimmer – Vodev wollte nicht nur das Rad und die Stadt kompatibler machen, sondern auch das Rad und das Stadtleben. „Es geht um die Kombination von machbar und günstig sowie hochleistungsfähig konzipiert“, sagt der Designer.

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Reduktion. „Ich glaube, wenn man Mobilität auf die simpelste Lösung reduzieren will, kommt man zwangsläufig auf ein Hochleistungsfaltrad“, sagt Vodev. Sein Radabenteuer, das schließlich zum „Vello Bike“ führte, begann schon vor ein paar Jahren. Auf einer Kuba-Reise sollten ihn und Freunde auch Falträder begleiten. Dafür schweißte er einfach mal so zwei Modelle zusammen. Wie beim Tramperrucksack-Packen verordnete er sich dabei höchstmögliche Effizienz. Schließlich spulte er 500 Kilometer quer über die Karibikinsel auf der Eigenkonstruktion ab. Später gönnte er der Idee eines effizienten, soliden Faltrades zeitlich und konzeptiv noch mehr Auslauf. Vier Jahre lang grübelte er in Zusammenarbeit mit Jakob Illera und Paris Maderna am „Vello Bike“. Das Konzept wurde konsequent auf Effizienz getrimmt. Denn: „Beim Fahrrad spürst du sofort, was du fährst“, sagt Vodev. „Beim Auto hingegen ist das kein Thema. Die sind ja heute doppelt so schwer wie vor 20 Jahren.“ Die Räder des „Vello Bike“ wurden auf 20 Zoll verkleinert. Das Gewicht reduziert – das leichteste Modell, die Version „Speedster“, wiegt 10,5 Kilo. Trotz Stahlrahmens. „Wir verwenden einen extrem dünnwandigen Stahl von nur 0, 8 Millimeter“, erzählt Vodev.

Vergrößert haben die Entwickler dafür den Zahnkranz, so hat man die physikalischen Kraft-Weg-Gesetze aus der Welt der großen Räder einfach auf das Faltrad übertragen. Auch die anderen Dimensionen sind ähnlich wie bei den Großen: „Die Geometrie, also der Abstand von Vorder- und Hinterachse, von Sattel zum Lenker, entspricht der eines Rennrades“, erzählt Vodev. Schon seit seinem Studium hat sich Valentin Vodev mit Fortbewegungsmitteln beschäftigt. Als Diplomprojekt entwarf er einen „Rollerbuggy“, einen Kinderwagen, der gleichzeitig Tretroller ist. „Noch heute bekomme ich mindestens einen Anruf pro Tag wegen dieses Projekts“, sagt Vodev. Um den Kinderwagen selbst zu produzieren erschienen ihm damals die Investitionen zu hoch. Inzwischen hat sich auch ein Kinderwagen-Hersteller die Grundidee abgeschaut. Jetzt, mit dem „Vello Bike“, liegen die Verhältnisse anders.

Rund um die Kuba-Reise hat Vodev nicht nur gelernt, effizient zu packen, sondern auch, dass sich Lebensfreude richtig im öffentlichen Raum austoben kann. Die Straßen vor der eigenen Haustür in Wien verändern sich auch gerade zumindest ansatzweise in diese Richtung, sie werden zu Begegnungszonen. „Plötzlich sieht man die schönen alten Hausfassaden, wenn die Autos weg sind“, sagt Vodev. „Man muss sich vorstellen, wie viel Platz wir gewinnen würden ohne Autos.“ Der Designer hat selbst keines, er plädiert für kombinatorische Mobilitätskonzepte: „Ich mache Carsharing, habe eine Jahreskarte, fahre Rad, und meine Schwiegermutter hat ein Auto.“

Tipp

Das „Vello Bike“ hat drei Versionen: „Urbano“, „Rocky“ und „Speedster“. Sie werden handgefertigt und sind über das Internet www.vello.bike oder beim Radlager, Operngasse 28, in Wien, erhältlich.

Fahrrad-Produktionskultur

„Ich gehe gern spazieren. Aber das ist mir zu langsam“, sagt Richard Hollinek junior. Er ist Verleger und liebt es, wenn sich Räder drehen. Egal, ob sie jene von Oldtimern sind oder von Radmodellen, die längst nicht mehr produziert werden. „Es gibt den Trend zum Zweit- und Drittrad, zum Pimpen und Nach-Maß-bauen-Lassen“, hat Hollinek festgestellt. Und auch die handwerklichen Fähigkeiten des Rad- und Rahmenbaus sprießen in Wien, wenn zunächst noch zaghaft. Irgendwann ist Hollinek in einen Freundeskreis gestolpert, der die Liebe zum Rad teilt: Sie sammeln Räder, sie schätzen ihre Technik, die Löt- und Schweißnähte sowie mechanischen Gesetze, die sie zusammenhalten. Auch in Wien haben sich in etlichen Hinterhöfen und Werkstätten über die Jahre bemerkenswerte Radmodelle durch Mechanikerhand zusammengefügt. „Was heute fast nicht mehr existiert, war einst bunt und vielfältig und in Wien weltberühmt“, schreibt die Wiener Fahrrad-Sammlerrunde im Prolog zum Buch „Wiener Mechanikerräder. 1930 und 1980“.

Eine Rundfahrt durch mehr als 100 Fahrradmarken verspricht der Untertitel, quer durch eine Produktionskultur, die Wien abhandengekommen ist. Alte Branchenverzeichnisse wurden durchforstet, alte Eigentümerfamilien ausgeforscht und besucht. Es waren vor allem kleinere Manufakturen, die Klassiker von A wie „Alpenrad“ bis Z wie die Marke „Ziel“ gebaut haben. Darunter bemerkenswerte Konstruktionen wie etwa das Select-Bergrennrad aus dem Jahr 1980 (siehe Foto): „Das geteilte Sattelrohr macht dem Hinterrad Platz und ermöglicht somit einen extrem kurzen Radstand“, erläutert Hollinek. Nur eines von Dutzenden Modellen, die er und die Sammler zu Philipp Horak ins Fotostudio transportiert haben, um ihren alten Glanz ins Blitzlicht zu rücken. Über 1000 Fotos haben auf 350 Seiten im Band „Wiener Mechanikerräder“ Platz gefunden. Michael Zappe, Walter Schmidl, Martin Strubreiter und Werner Schuster sind die Autoren. Weitere Bücher zum Thema Fahrradkultur sind in Planung.

„Wiener Mechanikerräder 1930–1980. Eine Rundfahrt durch mehr als 100 Wiener Fahrradmarken“, Verlag Brüder Hollinek, 59 Euro, erhältlich im Radlager, Operngasse 28 in Wien sowie im Buchhandel bestellbar.
www.hollinek.at

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