"Niemand will neuen Konflikt in Mazedonien"

(c) Stanislav Jenis
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Mazedoniens Außenminister Nikola Poposki weist Vergleiche zwischen dem Albaneraufstand 2001 und den jüngsten Gefechten in Kumanovo zurück. Von der EU verlangt er, den Beitrittsprozess des Landes wieder in Gang zu setzen.

Die Presse: Am Wochenende gab es in Kumanovo Gefechte zwischen mazedonischen Sicherheitskräften und einer bewaffneten albanischen Gruppe. Wie ist die Lage in der Stadt jetzt?

Nikola Poposki: Die Polizeioperation wurde mittlerweile beendet. Sie war gegen eine terroristische Gruppe gerichtet, die auch einen kriminellen Hintergrund hat. Wir haben große Mengen an Waffen beschlagnahmt. Bei dem Gefecht starben 14 Mitglieder dieser Gruppe, drei wurden festgenommen. Es war eine sehr riskante Operation. Acht Polizisten wurden erschossen und 37 wurden verletzt. Ein Dutzend Häuser wurde beschädigt. Die Gruppe war in der Grenzregion zwischen Mazedonien und dem Kosovo aktiv. Sie hatte bereits eine Grenzstation angegriffen. Jetzt wollte sie offenbar lokale Einrichtungen in Mazedonien attackieren.

Aber wer steckt dahinter?

Fünf der bisher identifizierten Anführer sind bekannte Kriminelle. Es gibt bereits Akten über sie, etwa wegen bewaffneter Überfälle. Die meisten von ihnen sind Bürger des Kosovo. Die Gruppe besteht aber auch aus mazedonischen und albanischen Staatsbürgern.

Was sind die politischen Hintergründe? Mitglieder der Gruppe sollen früher der Nationalen Befreiungsarmee UÇK angehört haben, die 2001 einen Aufstand durchgeführt und mehr Rechte für die albanische Volksgruppe Mazedoniens gefordert hatte.

Wir können bestätigen, dass Teile der Gruppe in der Vergangenheit in der UÇK in Mazedonien aktiv waren, aber auch innerhalb der UÇK im Kosovo. Offenbar versuchten sie, politische Unterstützung für ihre Aktivitäten zu bekommen. Aber diese haben sie von der lokalen Bevölkerung nicht erhalten.

Haben Sie bereits mit Ihrem albanischen Koalitionspartner Ali Ahmeti darüber gesprochen? Er war immerhin 2001 der Anführer der UÇK in Mazedonien.

Wir hatten ein Treffen des nationalen Sicherheitsrates, das vom Staatspräsidenten geleitet wurde. Daran nahmen alle politischen Parteien teil, auch die Partei von Ali Ahmeti. Der Zwischenfall in Kumanovo hat bei allen große Besorgnis hervorgerufen: Denn es scheint, dass die ausgehobene Gruppe auch eine politische Agenda hatte. Aber zum Glück ist auf diese Agenda niemand eingegangen – auch nicht die politischen Akteure der albanischsprachigen Gemeinschaft Mazedoniens.

Was bedeutet dieser Zwischenfall für die Stabilität Mazedoniens? Fürchten Sie nicht, dass Vorfälle wie in Kumanovo zu neuen Problemen zwischen Mazedoniern und Albanern führen könnten?

Man sollte nicht naiv sein und nicht Raum für diese extremistischen Gruppen lassen. Aber keiner der ernst zu nehmenden politischen Akteure des Landes will sich in Abenteuer hineinziehen lassen – niemand will einen neuen Konflikt entlang politischer, religiöser oder ethnischer Grenzen. Die Lage ist nicht vergleichbar mit der, in der wir Ende der 1990- und Anfang der 2000er-Jahre waren. Man kann keine Parallelen zum Konflikt 2001 ziehen. Es ist aber augenscheinlich, dass aus dieser Zeit einige Strukturen mit vorwiegend kriminellem Hintergrund versuchten, sich als politischer Faktor einzubringen. Wir dürfen keinen Schwebezustand in unserer euroatlantischen Integration erlauben. Denn genau das ist das Umfeld, das diese Gruppen ausnützen wollen.

Mazedoniens Opposition fordert wegen des Vorfalls in Kumanovo den Rücktritt der Regierung.

Es ist offenbar der Job der Opposition, einen Rücktritt der Regierung zu verlangen. Vorfälle wie in Kumanovo sollten aber nicht dazu benutzt werden, um daraus politisches Kapital zu schlagen. Das betrifft alle politischen Akteure – auch die Opposition.

Die Opposition wirft aber genau Ihrer Regierung vor, daraus politisches Kapital zu schlagen. Sie sagt, dass die Regierung den Vorfall in Kumanovo inszeniert habe, um damit vom innenpolitischen Skandal um abgehörte Gespräche abzulenken.

Es kursieren viele Spekulationen und die meisten werden benutzt, um in der Tagespolitik Punkte zu sammeln. Aber in der Sitzung des nationalen Sicherheitsrates haben alle Parteien klargemacht, dass wir nicht erlauben dürfen, dass Mazedonien destabilisiert wird.

Was erwarten Sie von der EU?

Mazedonien wurde zu lang auf dem Weg der euroatlantischen Integration behindert. Das hat extremistischen Gruppen möglich gemacht, ihre Agenda voranzutreiben. Und das hat die Unzufriedenheit in der Bevölkerung erhöht. Ich erwarte mir, dass alle Mitgliedsländer dazu beitragen, wieder Dynamik in unseren Beitrittsprozess hineinzubringen. Denn eine Mitgliedschaft Mazedoniens in EU und Nato wären wichtige Säulen für die regionale Stabilität.

AUF EINEN BLICK

Nikola Poposki ist seit 2011 Außenminister Mazedoniens. Er gehört der national orientierten mazedonischen Partei VMRO-DPMNE von Premier Nikola Gruevski an. Diese bildet derzeit eine Koalitionsregierung mit der Partei des albanischen Politikers Ali Ahmeti. 2001 führte Ahmeti den Aufstand der albanischen UÇK in Mazedonien an. Am Wochenende kam es in der mehrheitlich von Albanern bewohnten Stadt Kumanovo zu Schießereien zwischen Sicherheitskräften und einer bisher kaum bekannten albanischen Untergrundgruppe.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.05.2015)

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