"Figl stand auf und sagte: 'Österreich wird frei sein'"

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Der damalige Botschaftssekretär Grubmayr über die entscheidenden Verhandlungen in Moskau.

Herbert Grubmayr (85) war später als Botschafter dort, wo die Weltpolitik ihre Wendungen genommen hat – ob in der zerfallenden Sowjetunion oder im wiedervereinigten Deutschland. Österreichs geschichtsträchtigsten Augenblick erlebte der Scheibbser aber zu Beginn seiner Karriere, als 25-jähriger Botschaftssekretär in Moskau. Vom 12. bis 15. April 1955 wurde dort mit der sowjetischen Besatzungsmacht über das Moskauer Memorandum verhandelt, das Österreichs Unabhängigkeit ermöglichen sollte.

Die Presse: Was trug Österreichs Führung dazu bei, dass im April 1955 Memorandum und Staatsvertrag greifbar waren?

Herbert Grubmayr: Ein Durchbruch war, dass Kanzler Julius Raab verstand, dass man direkt an die Russen herantreten musste. Norbert Bischoff, Botschafter in Moskau, hatte ihm schon 1953 geschrieben, dass es (mit der Unabhängigkeit) nichts würde, wenn man sich hinter den Amerikanern versteckte. Direktgespräche wurden aber von vielen Sozialisten und Teilen von Raabs ÖVP abgelehnt. Man hatte Angst, dass uns die Amerikaner nicht mehr unterstützten und Österreich zwischen allen Stühlen sitzen würde. Es war also ein Wagnis, nach Moskau zu fliegen.

Was ist an dem Mythos dran, dass die Österreicher die Sowjets dort mit Schmäh und Gemütlichkeit eingekocht haben?

Sie spielen auf die Karikatur „D'Reblaus“ in der deutschen Zeitschrift „Simplicissimus“ an, mit dem eine Zither spielenden Raab und dem Figl, der sagt: „Jetz' noch d'Reblaus, und dann saan s' wach.“ Also die Verhandlungen waren hart und schwierig. Zither wurde nicht gespielt. Unsere Politiker sind schon erschöpft in Moskau angekommen, weil sie in Österreich pausenlos Gespräche hatten, auch mit den westlichen Alliierten.

Wie war denn die Stimmung, als Österreichs Delegation in Moskau ankam?

Mir fiel auf, dass ÖVP und Sozialisten sich auf kein einheitliches Konzept geeinigt hatten, was sie den Sowjets anbieten wollten. Es ergab sich aber schon beim Empfang auf dem Flughafen der Eindruck, die Russen wollten sich in der Unabhängigkeitsfrage bewegen. Aber nicht so sehr aus Liebe zu Österreich.

Was trieb Moskau an?

Die Russen hielten den Rüstungswettlauf mit den USA wirtschaftlich nicht mehr aus. Vor den Geschäften bildeten sich Schlangen. Nikita Chruschtschow wollte ein Entspannungszeichen setzen. Die Neutralität nach Schweizer Vorbild verlangten die Russen aber, da es in Österreich Stimmen gab, dass man, sobald der letzte Russen draußen war, zur Nato gehen sollte. Die Neutralitätsfrage löste dann Streit in der Delegation aus.

War die SPÖ gegen die Neutralität?

Sie war nicht gegen eine Bündnisfreiheit. Aber gegen das Wort Neutralität, weil auch die Kommunisten in Österreich von Neutralität sprachen, damit aber nicht nur eine militärische, sondern auch eine ideologische Indifferenz meinten: Kapitalismus und Sozialismus russischer Prägung seien gleichwertig. Die SPÖ hatte Angst, dass ihnen die Kommunisten so Wähler abspenstig machten.

Hatte ÖVP-Kanzler Raab keine Bedenken?

Seine Wählerschicht war ja kaum betroffen. Als Baumeister wusste Raab, wenn man den Auftrag für den Bau einer Straße erhalten wollte, dann musste man eben ein Schäuferl nachlegen, damit der Käufer zuschlägt. Für ihn war die Neutralität so ein zusätzliches Offert. Also hat er sie angeboten. Und SPÖ-Vizekanzler Adolf Schärf hat gleich gesagt: „Na dann fahre ich nach Hause.“ Woraufhin Raab erwiderte: „Na dann fahren S' nach Hause.“ Schärf ist natürlich nicht gefahren. Kreisky hat da sicher positiv auf ihn eingewirkt.

Waren die Verhandlungen um den wirtschaftlichen Teil ähnlich hart?

Ja, es ging um die Vergütungen für sowjetische Fabriken, Öl, Raffinerien und so weiter. Raab sagte dann in der Botschaft, er lasse sich nicht erpressen, dass die Russen endlos viel für das Glumpert, wie er es wörtlich formulierte, verlangen. Er sprach für die Mikrofone in der Wand. Die Russen hörten uns ja ab.

Gab es in Moskau einen Moment, in dem Sie dachten, das könnte noch scheitern?

Figl hat Außenminister Molotow herausgefordert, als er ihm erklärte, er sei verwundert gewesen, dass er Molotows Stimme auf dem Appellplatz im KZ Dachau gehört habe. Aber Molotow sagte nur: „Ja, ja.“

Bei dem Bankett im Kreml machten Sie danach mit Chruschtschow Bekanntschaft.

Ja, er sagte zu mir: „Wissen Sie, ich bin ein alter Mann, aber bevor ich in die Hölle gehe, da fahren noch viele andere hinunter.“ Ich war erschrocken. Ein Protokollbeamter des Außenministeriums in Moskau bedeutete mir, ich solle das nicht so ernst nehmen, Chruschtschow sei schon angetrunken. Es gab ja bis zu 30 Trinksprüche, und zu jedem musste ein Wodka oder Cognac ex getrunken werden. Nach dem Bankett kamen wir Österreicher im Gästehaus zusammen, um auf Wunsch unseres Völkerrechtsexperten und unter Figls Führung den russischen und den deutschen Text des Moskauer Memorandums nochmals zu vergleichen, ob ja keine Fehler darin waren, die Schwierigkeiten bereiten könnten.

Das fiel wohl nicht mehr so leicht.

Wir waren müde und vom Wodka und Cognac schon weggetreten. Zum Ende, gegen ein Uhr früh, stand Figl auf und sagte zum ersten Mal: „Österreich wird frei sein.“ Und er hat auch gesagt: „Kinder seid's doch nicht so kleinlich, lasst das endlich.“ Der Völkerrechtsexperte hatte angefangen, auch die deutsche Grammatik zu verbessern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.05.2015)

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