EU: Musterschüler Österreich fällt hinter Durchschnitt zurück

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Österreich habe im Bereich der Wettbewerbsfähigkeit an Terrain verloren, sagt der Vertreter der Wiener Niederlassung der EU-Kommission. Auch Reformen im Pensionssystem werden eingemahnt.

Die EU-Kommission sieht Österreich nicht mehr als Musterschüler in der Union. Das sagte der Leiter der Kommissionsniederlassung in Wien, Johann Sollgruber, am Freitag vor Journalisten. "Die öffentliche Verschuldung beträgt 2015 86,8 Prozent. Das ist nur knapp unter dem Schnitt der Eurozone", so einer der Kritikpunkte der Kommission im Rahmen der länderspezifischen Empfehlungen.

Mit der Wachstumsprognose von 0,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für heuer habe sich Österreich gar "vom Durchschnitt abgekoppelt". Österreich liegt weit hinter dem Durchschnitt: Für ganz Europa wird 1,8 Prozent, für die Eurozone 1,5 Prozent erwartet. Ingesamt ist es der sechstschlechteste Platz hinter Griechenland, Finnland, Kroatien, Italien und Zypern.

Gegenfinanzierungen offen

Es sei "klar, dass Österreich im Bereich der Wettbewerbsfähigkeit an Terrain verloren hat", sagte Sollgruber. Reformen seien rasch umzusetzen. Bei der Steuerreform vermisse man aber Gegenfinanzierungen. Auch bei der Arbeitslosigkeit fällt Österreich immer mehr zurück. Nicht nur Deutschland, auch Großbritannien und Tschechien laufen Österreich heuer den Rang ab.

Selbst bei Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner läuten die Alarmglocken. Der VP-Vizekanzler widmete große Teile seiner Rede seiner Rede am Parteitag der ÖVP der schlechten Wirtschaftslage. Er machte darauf aufmerksam, dass "Österreich auf die Kriechspur" gerate und beim Wachstum und der Arbeitslosigkeit zurückfalle.

Finanzielle Folgen der Heta unklar

Auch wenn die EU-Kommission zwar die Schaffung der Abbaueinheit Heta für die frühere Skandalbank Hypo Alpe Adria begrüßt und auch Fortschritte bei der ÖVAG sieht, habe sie bei der Heta noch keine hinreichende Klarheit, wie stark der Staatshaushalt belastet werde, so der wirtschaftspolitische Koordinator der EU-Kommissionsvertretung in Wien, Marc Fähndrich.

Eine rechtliche Einschätzung wollte Fähndrich nicht abgeben, verwies auch darauf, dass dies in den länderspezifischen Empfehlungen, die heute in Wien für Österreich präsentiert wurden, nicht der Fall ist. Es geht ja in der Hypo-Abwicklung auch darum, wie die EU-Kommission in ihrer Prüfung entscheiden wird, ob die neue EU-Richtlinie zur Bankenabwicklung durch Österreich überhaupt angewendet werden kann.  "Es gibt sehr viele rechtliche Unklarheiten", so der EU-Kommissionsvertreter. Auch Gerichte müssten die Vorgänge klären. "Primär ist es aber gut, dass das Abwicklungsvehikel geschaffen wurde, auch wenn das zu lange verschlafen wurde. Den jetzt angegangenen Weg sollte man weitergehen, dann ist irgendwann ein Ende in Sicht", so Fähndrich.

Der Chef der EU-Kommissionsvertretung in Österreich, Johann Sollgruber, strich hervor, dass das "Zahlungsmoratorium, das der Finanzminister verhängt hat, bei einer ersten Überprüfung in Einklang mit neuer EU-Gesetzgebung" stand.

Pensionen: "Österreich eher südländisch"

Indes mahnt die EU-Kommission von Österreich Reformen im Pensionssystem ein. Es geht um eine "Verbesserung der langfristigen Tragfähigkeit des Pensionssystems". Das Antrittsalter von Frauen und Männern gehöre früher als geplant harmonisiert. Auch brauche es eine automatische Kopplung des Antrittsalters an die Lebenserwartung. "Österreich ist eher südeuropäisch angehaucht, was das Pensionsantrittsalter betrifft", sagte Fähndrich. Einmal mehr wurde Schweden als Vorbild genannt. Wie dort sei auch in Österreich ein Automatismus wegen der steigenden Lebenserwartung gefordert - auch im Sinne der Menschen, die so besser planen könnten, so der EU-Fachmann. "Für junge Leute ist hier die künftige Pension unkalkulierbar", lautet eine Kritik. Frauen erhielten durch eine Anpassung auch bessere Karrierechancen. Es gebe aber derzeit nicht nur eine Gehaltsschere zwischen Frauen und Männern sondern auch eine Schere bei der Pensionshöhe der Frauen.

Die Karrierechancen für die hierzulande im EU-Vergleich sehr gut ausgebildeten Frauen - die zu einem immensen Anteil nur teilzeitbeschäftigt seien, aber anteilig häufiger Hochschulabschlüsse als Männer haben -, müssten auch durch eine bessere Betreuungsquote für Kinder gesteigert werden, so die EU-Kommission. Denn Österreich liege hier weit unter den sogenannten Barcelona-Zielen. Beispielsweise würden hierzulande nur 23 Prozent der Kinder unter zwei Jahre außerhalb der Familie betreut, gefordert sei aber ein Quote von 33 Prozent.

(APA)

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