1945: Die Alliierten richten sich in Wien ein

Oesterreich II
Oesterreich II(c) ORF
  • Drucken

Quartiersuche. Die vier Besatzungsmächte beschlagnahmten allein in Wien 5000 Wohnungen, dazu Hotels, Villen, Palais. Sie hatten eigene Klubs, Spitäler, Kasernen. Und Liebschaften.

Der amerikanische Oberst Georg von Halban hatte im Frühsommer 1945 im zerstörten Wien eine heikle Aufgabe: Er sollte ein möglichst großes, unzerstörtes, repräsentatives Gebäude als künftige Zentrale für die US-Besatzungsmacht beschlagnahmen. Die Nationalbank erschien ihm ideal, die Vorgesetzten gaben ihr „o. k.“, das mächtige Gebäude wurde feierlich beschlagnahmt. Nur ein Direktor, der im obersten Stock eine Dienstwohnung hatte, weigerte sich, auszuziehen. Halban kam mit vier Wiener Polizisten zurück und forderte ihn nochmals auf, die Wohnung zu räumen. Als sich der Bankmensch abwandte, gab Halban zwei Polizisten einen Wink. Die schoben das Klavier zum Fenster. Fassungslos sah der Banker zu, was da geschah. Als die beiden anderen Wachmänner auch ein Sofa zum Fenster schoben, begriff er den Ernst der Lage. Da war es schon zu spät. Ohne weitere Worte wurde das Klavier beim Fenster hinausgestoßen und lag fünf Stockwerke tiefer zertrümmert auf dem Boden. „Ich habe begriffen“, sagte der Herr Direktor, „zuerst die Russen, jetzt Sie.“ Und er packte seine Sachen. Die Amerikaner halfen ihm dabei und entschädigten ihn später großzügig für den musikalischen Verlust.

Der Brigadier Rolf Urrisk-Obertyński erzählt in seinem neuesten Buch gern derlei Anekdoten aus den zehn Jahren Besatzungszeit von 1945 bis 1955. Drei Fachleute aus verschiedenen Disziplinen hat er für ein Werk zurate gezogen, das an dichter Information und zeitgenössischen Fotos seinesgleichen sucht. Matthias Markl, Hubert Prigl und Paul Vaszarics schufen ein Nachschlagwerk, das auch kleinste Details im Leben der vier alliierten Besatzungsmächte darstellt. Von der Zonenaufteilung Wiens über die Residenzen der Hochkommissare, von den Offiziersklubs bis zu den eigenen Spitälern und Sportplätzen, über die Garnisonskirchen bis zu den vielen Happy Ends, die es zwischen heimischen Frauen und Besatzungssoldaten gab – keine Fragen bleiben offen.

Selbst eine Umrechnungstabelle vom Schwarzmarkt im Resselpark wird mitgeliefert. Die Schleichhandelspreise passten sich natürlich dem Bedarf an. Ein Paar Herrenschuhe wurde hier um das Zwanzigfache des Ladenpreises gehandelt, Schokolade hätte acht Schilling gekostet, wenn es sie gegeben hätte, „im Schleich“ zahlte man bis zu 480 Schilling. Für Speck (1,70 Schilling) bot man 200 Schilling. Wenn man konnte. Wer nicht konnte, musste auf Hilfe durch die Alliierten hoffen – oder verhungern. Erst 1950 löste sich der Schleichhandel langsam auf.

Dazwischen aber immer wieder die G'schichten drumherum. Dass etwa der heute noch existierende Paternoster-Aufzug im Haus der Industrie gesperrt werden musste, weil russische Soldaten dieses Wunderding tagelang okkupiert hatten.

Apropos: Dieses Ringstraßenpalais am Schwarzenbergplatz diente dem Alliierten Rat als dessen Hauptquartier. Jede Besatzungsmacht nahm sich vier Räume im ersten Stock. Die Russen blickten in Richtung des Platzes, die Briten in die Richtung des Hochstrahlbrunnens. Doch bald gab es dort verdächtige Aktivität: Ein sowjetisches Ehrenmal wurde vorbereitet. Vor den Fenstern der Briten! Also baten diese die russischen Kollegen, mit ihnen doch die Büros zu tauschen. Die schadenfrohen Sowjets sagten nur „Njet“. Und die Vertreter Ihrer britischen Majestät mussten zehn Jahre lang auf den bronzenen Sowjetsoldaten blicken.

Auch diese zwölf Meter hohe Statue, die sich auf einem zwanzig Meter hohen Sockel erhebt, hat eine skurrile Geschichte. Der Auftrag aus Moskau lautete, zur Ehre der 18.000 Rotarmisten, die im Kampf um Wien gefallen waren, habe das Denkmal am 19. August 1945 fertig zu sein. Also in drei Monaten! Die 15 Tonnen schwere Figur wurde von vierzig Arbeitern der Wiener Vereinigten Metallwerke im zerbombten Werk in Erdberg – auch aus Hitler-Büsten – gegossen. Aber der Guss verlief nicht glatt: Ein Fuß hatte ein Loch. Die Reparaturmethode hieß Auftragsschweißung. Der Einzige, der das beherrschte, saß in sowjetischem Gewahrsam. Ernst Hawlik wurde freigelassen und begann am 5. Juni mit der Reparatur. Und weil kein Kupferblech aufzutreiben war, goss man die Fahne aus Bronze. Das Übergewicht musste man ausgleichen, indem man den Wappenschild innen beschwerte. Seitdem stützt sich die Fahne so seltsam auf der rechten Schulter der Figur ab.

Für die vier alliierten Hochkommissare mussten auch repräsentative Privatvillen als Residenzen gefunden werden. Der Brite domizilierte im 13. Bezirk (Villa Auersperg), der Franzose in der Windisch-Graetz-Villa in der Linzer Straße, der Russe in Baden und im Hotel Imperial. Der Amerikaner erkor sich die Villa der Familie Partik in Gersthof aus. Vor dem Gartentor bewachten zwei baumlange Ami-Soldaten die Straße, und man sah zum ersten Mal in seinem Kinderleben einen „Neger“, was für uns damals kein Schimpfwort war. Vor allem dann nicht, als sie das erste Rennen mit Seifenkisten organisierten, mit denen wir die Hasenauerstraße zu Tal rasten.

Literaturtipp:
Rolf M. Urrisk-Obertyński (Hg.)
„Wien – 2000 Jahre Garnisonsstadt
Die vier Alliierten 1945–1955“
Weishaupt-Verlag, 376 Seiten Großformat, 58 Euro.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.05.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.