Mazedonien: "Die Herrschaft des Premiers nähert sich dem Ende"

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Die sozialdemokratische Oppositionspolitikerin Radmila Šekerinska wirft der Regierung "Machtmissbrauch" vor und fordert den Rücktritt von Premier Nikola Gruevski. Den Boykott des Parlaments durch ihre Partei will sie fortsetzen.

Die Presse: Nach den blutigen Gefechten von Kumanovo zwischen mazedonischen Sicherheitskräften und Albanern fordert die EU Ihre Partei auf, in das von Ihnen boykottierte mazedonische Parlament zurückzukehren. Warum halten Sie das nicht für sinnvoll?

Radmila Šekerinska: Wie jede Partei wären wir gern im Parlament. Aber unsere Abwesenheit ist das Ergebnis der verfälschten Wahlen und der schlechten Erfahrung: Es ist ein Signal, dass etwas im Land nicht stimmt.

Was stimmt denn Ihrer Meinung nach in Mazedonien nicht?

Das große Problem Mazedoniens ist das komplette Fehlen einer Gewaltenteilung und rechtsstaatlicher Prinzipien, die Kontrolle der Exekutive über jeden Sektor – einschließlich der Justiz – die wir mit unseren Enthüllungen (der Veröffentlichung geheimer Telefonmitschnitte von Regierungsmitgliedern, Anm.) klar belegt haben.

Die EU empfiehlt aber die Überprüfung Ihrer Vorwürfe durch die zuständigen Institutionen. Wäre das keine Lösung?

Das ist zweifellos gut gemeint. Aber vielleicht kann die EU auch die Art und den Umfang des systematischen und absoluten Machtmissbrauchs nicht verstehen. Die Institutionen sind hier nicht politisiert, sondern privatisiert: So wie sie jetzt beschaffen sind, ist von ihnen keine Heilung des Systems zu erwarten. Im Gegenteil: Sie sind ein Teil davon.

Was ist dann Ihr Lösungsvorschlag?

Eine technische Interimsregierung mit dem Mandat der Vorbereitung freier und fairer Wahlen und einer Art von Erneuerung der Institutionen: Denn deren Stärke ist in den vergangenen sechs Jahren dramatisch abgebaut worden.

Die Opposition schien zuletzt merklich an Schwung zu gewinnen. Dann kam es zu den Gefechten von Kumanovo. Wie bewerten Sie das von der Regierung als Terroristenattacke früherer UÇK-Kämpfer bezeichnete Blutvergießen?

Es war ein sehr gefährlicher Zwischenfall für die Stabilität unseres Landes. Es ist schwer, angesichts der verlorenen Menschenleben, über die Hintergründe zu spekulieren. Aber dieses Problem fiel nicht vom Himmel. Es gab Informationen über kriminelle Gruppen, die über die Grenze (vom Kosovo, Anm.) eingeschleust wurden. Die Regierung hat keine unserer Fragen beantwortet. Und das weckt in uns die Sorge, dass hinter der Aktion auch politische Ziele gestanden sind.

Was sind denn Ihre Fragen?

Warum wurde nicht früher eingegriffen, wenn die Gruppe schon seit Monaten observiert wurde? Warum erfolgte die Polizeiaktion ausgerechnet in einem dicht bevölkerten Wohngebiet? Das Timing war politisch nur für die Regierung von Nutzen, denn sie war zuvor zunehmend unter Druck geraten.

In Serbien werden Befürchtungen vor dem Wiederaufleben großalbanischer Tendenzen laut. Halten Sie die Kämpfe von Kumanovo mit denen von 2001 vergleichbar?

Nein. Es gibt einen großen Unterschied. 2001 genossen die bewaffneten Gruppen nach den ersten Zwischenfällen eine gewisse Unterstützung in der Bevölkerung. Die ethnischen Albaner in Mazedonien betrachteten die Aufständischen als ihre Leute, gerade wegen der politischen Dimension ihres Kampfs. Nun gibt es keinerlei politische Dimension. Alle Albaner, die sich zu den Vorfällen von Kumanovo äußern, beteuern, dass dies nicht in ihrem Interesse ist.

Die Regierung wirft Ihnen vor, mit Ihren Protesten das Land zu destabilisieren.

Nein. Unsere Proteste verstärken den Zusammenhalt zwischen den Bevölkerungsgruppen. Die Albaner demonstrieren mit uns. Denn sie sehen, dass die Regierung nicht nur sie wegen ihrer ethnischen Abstammung diskriminiert, sondern jeden, der gegen die Regierung ist.

Zwei Minister und der Geheimdienstchef sind abgetreten. Wie bewerten Sie den Schritt?

Premier Nikola Gruevski will damit den wachsenden Druck gegen seine eigene Position verringern. Und darum hat er nun einige seiner engsten Vertrauten als Sündenböcke geopfert.

Wird der Regierungschef sich damit im Sattel halten können?

Ich habe keine Zweifel, dass sich die Herrschaft Gruevskis ihrem Ende nähert. Dieser Prozess wird allerdings sehr schwierig sein und birgt auch Risken. Wie lang das dauern wird und welchen Preis wir dafür bezahlen müssen, ist eine Frage, die vom Premier abhängt. Ich hoffe, er wird dieses Mal die richtige Entscheidung treffen.

ZUR PERSON

Radmila Šekerinskazählt zur Führungsmannschaft der Oppositionspartei Sozialdemokratische Liga Mazedoniens (SDSM). Anfang der 2000er-Jahre war sie Mazedoniens Vizepremierministerin und von 2006 bis 2008 Chefin der SDSM. [ Roser ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.05.2015)

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