Die Außen- und Verteidigungsminister der EU gaben grünes Licht für eine Marineaktion gegen Schlepper, die Zerstörung von Booten aber ist umstritten. Ein EU-weites Quotensystem dürfte scheitern.
Wien/Brüssel. Es klang verheißungsvoll, was Dimitris Avramopoulos vor wenigen Tagen über die Zukunft der europäischen Flüchtlingspolitik sagte: „Heute beginnt eine neue Phase“, analysierte der Innenkommissar bei der Präsentation der EU-Migrationsagenda am letzten Mittwoch. Doch der Grieche könnte den Willen der EU-Staats- und Regierungschefs, gemeinsam Taten gegen das Flüchtlingselend im Mittelmeer zu setzen, überschätzt haben. Die Umsetzung zweier wesentlicher Eckpfeiler im Kommissionsvorschlag – der Zerstörung von Schlepperbooten vor Libyens Küste und einer nach Quoten festgelegten Aufteilung von Flüchtlingen auf alle EU-Staaten – droht zu scheitern.
So herrscht unter den 28 Mitgliedstaaten zwar Einigkeit darüber, dass der Kampf gegen Menschenschmuggler intensiviert werden muss: Beim gestrigen Treffen der EU-Außen- und Verteidigungsminister, an dem auch Sebastian Kurz (ÖVP) und Gerald Klug (SPÖ) teilnahmen, wurde die Vorbereitung der dreiphasigen Marineaktion „Eunafor“ beschlossen. Die ersten beiden Phasen, die Aufklärung, die Rettung von Flüchtlingen auf hoher See, das Erforschen der Schlepperrouten sowie ein Aufgreifen von Booten im Mittelmeer umfassen, sind laut Klug unbestritten. Einigen Ländern wie Deutschland und Schweden aber gehen die Pläne der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini zu weit. Diese sehen in einer dritten Phase nämlich die gezielte Zerstörung von Schlepperbooten durch Einheiten der EU-Mitgliedstaaten vor Libyens Küste vor, von wo die meisten Flüchtlinge ihre Reise nach Europa antreten. Auch ein Bodeneinsatz wird in Betracht gezogen.
UN-Mandat noch ausständig
Während Klug im Gespräch mit der „Presse“ darauf verweist, dass Österreichs aktive Beteiligung von einer für den Einsatz nötigen Resolution im UN-Sicherheitsrat und der konkreten Ausgestaltung abhängt, zeigte sich seine deutsche Amtskollegin Ursula von der Leyen noch skeptischer: „Da sind viele schwierige Fragen zu beantworten, rechtliche Probleme zu lösen“, sagte sie vor Beginn des Treffens. Außenminister Frank-Walter Steinmeier will zudem „hinreichend verlässliche Absprachen mit Libyen“ abwarten, würden die EU-Einheiten doch in den Hoheitsgewässern des Landes operieren. Eine schwierige Aufgabe: Die international anerkannte Regierung in Tobruk steht den Kommissionsplänen bisher kritisch gegenüber. Unter den EU-Ländern hat auch Schweden Bedenken angemeldet. „Wir reden derweil nur über eine Aufklärungsaktion“, stellte Verteidigungsminister Peter Hultqvist gestern klar. Die Vertreter aus London, Paris und Rom dagegen sähen eine Militärmission lieber heute als morgen.
Doch Unstimmigkeiten zwischen den EU-Staaten sind nicht die einzige Hürde für Mogherinis Pläne: Das für eine militärische Intervention nötige Mandat durch den UN-Sicherheitsrat könnte an der Vetomacht Russland scheitern. Moskaus UN-Botschafter, Witali Tschurkin, meldete bereits Widerstand an, als Mogherini vergangene Woche in New York für den Einsatz warb. Die Mission soll sich laut den Plänen auf Kapitel 7 der UN-Charta berufen: Dieses sieht die Möglichkeit einer militärischen Intervention vor, wenn andere Maßnahmen zur Wiederherstellung des Friedens erfolglos verlaufen sind.
Frankreich, Osteuropäer gegen Quote
Zunehmend gespalten zeigen sich die EU-Mitgliedstaaten aber auch angesichts der zweiten großen Streitfrage in der europäischen Flüchtlingspolitik: einer von der Kommission anvisierten Verteilung der Flüchtlinge nach einem gerechten Verteilungsschlüssel; gestützt auf einen Notfallmechanismus bei Massenzuwanderung im EU-Vertrag.
Der neue Vorschlag basiert auf der Grundannahme, dass das derzeit gültige Dublin-II-System versagt hat. Demnach muss ein Flüchtling in jenem Mitgliedstaat, in dem er zum ersten Mal europäischen Boden betreten hat, um Asyl ansuchen. Die Hauptlast tragen derzeit Deutschland, Schweden, Frankreich und Italien. Künftig sollen die Migranten nach einem gerechten Quotensystem auf die Mitgliedstaaten verteilt werden, das sich gemäß Bevölkerungszahl, Bruttoinlandsprodukt (Gewichtung je 40 %), der durchschnittlichen Zahl an Asylanträgen und freiwillig aufgenommener Flüchtlinge sowie der Arbeitslosenrate (Gewichtung je 10 %) zusammensetzt. Irland, Großbritannien und Dänemark müssen bei dem Verteilungssystem nicht mitmachen, weil sie in den Bereichen Justiz und Inneres Ausnahmeregelungen vereinbart haben.
Tusk will Flüchtlinge zurückschicken
Andere Staaten wie Ungarn, Tschechien, die Slowakei und die baltischen Staaten sind gegen ein Quotensystem. Auch der französische Premierminister, Manuel Valls, will die Pläne der Kommission nicht unterstützen: „Ich bin gegen Quoten, das entsprach noch nie der Position Frankreichs“, sagte er am Wochenende. Und Polens Außenminister, Grzegorz Schetyna, gab gestern zu bedenken, dass die Kommissionspläne im Rat „nicht mit Enthusiasmus“ aufgenommen worden seien. Der Konservative glaubt nicht, dass ein Quotensystem Chancen auf Umsetzung hat. Eine neue Forderung von Ratspräsident Donald Tusk könnte bei den Mitgliedstaaten mehr Gehör finden: Der Pole will ein konkretes Konzept, das die Rücksendung von Migranten vorsieht. „Jene, die sagen: ,Lasst uns die Türen öffnen‘, sind zynisch. Sie wissen, dass das nicht möglich ist“, sagte er.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.05.2015)