Pilz hat fünf Geheimdienstmitarbeiter angezeigt. Daten aus mehreren Ländern sollen von Frankfurt aus an die NSA weitergegeben worden sein.
Berlin. „Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht.“ Der Satz konnte am Dienstagvormittag im Berliner Haus der Bundespressekonferenz gar nicht oft genug gesagt werden, immer wieder wurde er von den Grün-Politikern Peter Pilz und Christian Kmiotek den vielen anwesenden Journalisten mahnend zugeworfen. Gemeinsam mit dem deutschen Bundesvorsitzenden der Grünen, Cem Özdemir, haben der österreichische Politiker sowie der Vorsitzende der luxemburgischen Grünen die Länderfreundschaft auf dünnem Eis gewähnt. Denn der ohnehin unter Zugzwang geratene Bundesnachrichtendienst (BND) soll auch in Österreich und Luxemburg für den US-Geheimdienst NSA Daten abgesaugt haben. Und das mache aus der Bundeskanzlerin Angela Merkel – selbst Opfer von NSA-Spähattacken – nunmehr die „Chefin der Tatverdächtigen“, so Pilz. Da passte es gut, dass der eingangs erwähnte Satz just von ihr stammte.
Pilz sei jedenfalls „in vollkommen freundlicher Absicht“ nach Berlin gekommen. Die Auswertung seiner Unterlagen waren weniger freundlich: Konkret steht das E-Mail eines Mitarbeiters der Deutschen Telekom an den BND im Mittelpunkt (Februar 2005), in dem von einer „großen Umschaltaktion“ die Rede ist. Demnach finde kein „nationaler Verkehr“ mehr statt, die sogenannte Prioritätenliste sei auf die Transitglasfaserkanäle Luxemburg–Wien, Luxemburg–Moskau, Ankara–Luxemburg, Luxemburg–Prag umgestellt worden. Laut Pilz heißt dies, dass der BND mit der Einstellung des nationalen Verkehrs das Ausspionieren von deutschen Zielen für die Amerikaner blockiert habe. Stattdessen wurden Transitleitungen und somit Datenströme anderer Länder angezapft, die durch Deutschland flossen. Für das Absaugen soll die Telekom 6500 Euro pro Monat erhalten haben. Das E-Mail selbst stammt aus Frankfurt – einem Datenknotenpunkt, nicht nur für die Telekom. Das Unternehmen hat die Vorwürfe zurückgewiesen, aber Pilz hat eine Strafanzeige in Wien gegen fünf Deutsche angekündigt, die involviert seien.
Fragenkatalog für Berlin
Es bestehe also der Verdacht, so Pilz weiter, dass die NSA die Listen von hunderten Transitleitungen erhalten, aussortiert und anschließend an den BND geschickt hat, damit in Frankfurt die Daten zugänglich gemacht werden konnten. Letztlich kamen über zehn Leitungen auf die Prioritätenliste, wobei neben Luxemburg, Österreich und der Türkei auch die Niederlande, Indonesien oder die Philippinen betroffen seien. Auch, wenn viele Details noch ausstehen: Die Liste sei jedenfalls noch unvollständig.
Nun ist der Vorwurf von Wirtschafts- und Industriespionage an BND bzw. NSA nicht neu, fast wöchentlich tauchen neue Details auf, die ihrerseits mehr Fragen aufwerfen, als sie beantworten. Der NSA-Untersuchungsausschuss des deutschen Bundestags kommt mit der Aufarbeitung gar nicht mehr nach, und auch die Stimmung in der Berliner Koalition steht seit Wochen auf der Kippe. Wenn man Peter Pilz zuhört, könnte man meinen, dass nun Österreich in der internationalen Spähaffäre den Vorwärtsgang einschaltet. Zum einen hat Pilz einen Fragenkatalog nach Berlin mitgebracht, dem sich der Bundestag widmen soll: etwa, ob Personen aus Österreich betroffen sind, welche NSA-Selektoren verwendet wurden, oder, ob das Bundeskanzleramt von der Transitaktion wusste. Und: „Wird die deutsche Bundeskanzlerin ihr Bedauern über das Ausspähen ihrer Freunde zum Ausdruck bringen?“ Aber was passiert, wenn nicht?
Pilz gehe stark davon aus, erinnerte aber an den einstimmigen (und weltweit ersten) Beschluss im österreichischen Parlament, dass alle NSA-Aktivitäten zu verfolgen seien. Das könnte sich bis auf die diplomatische Ebene auswirken. Zudem werde man in Wien um einen Untersuchungsausschuss nicht herumkommen. Und dieser werde den Namen BND-Untersuchungsausschuss tragen.
Verfechter des Bankengeheimnisses
Unterdessen kritisierte Cem Özdemir die Bundesregierung, dass sie den Skandal aussitzen und wie bisher weitermachen wolle. Die bisherigen Informationen würden nicht den Rückschluss zulassen, dass hier gezielt wegen Terrorismus spioniert wurde: „Die Bewahrung von Sicherheitsinteressen darf kein Freifahrtschein sein, dass die Überwachung aus dem Ruder läuft.“ Einmal mehr wurde von der Bundesregierung die Veröffentlichung der bisher bekannten Informationen zur Spähaffäre verlangt. Und in dieselbe Kerbe schlug auch Christian Kmiotek: Er sei „schockiert, empört und enttäuscht“ nach Berlin gekommen; es handle sich schließlich um Wirtschafts- und Politspionage. Aber auch die Zielländer Österreich und Luxemburg kämen nicht von ungefähr – beide Länder seien schließlich als Verfechter des Bankengeheimnisses bekannt.
AUF EINEN BLICK
Transitleitungen. Aus einem E-Mail von einem Mitarbeiter der Deutschen Telekom an den BND gehe hervor, dass der deutsche Nachrichtendienst für die NSA Daten mehrerer Länder, die durch Deutschland flossen, zur Verfügung gestellt habe. Das gab der Grün-Politiker Peter Pilz am Dienstag in Berlin bekannt. Demnach sollen über zehn Leitungen angezapft worden sein, betroffen seien Länder wie Österreich, Luxemburg, die Niederlande und die Türkei. Für die Aufklärung hat Pilz einen Fragenkatalog nach Berlin gebracht, der der Bundesregierung vorgelegt werden soll. Auch die Grün-Politiker Cem Özdemir (Deutschland) und Christian Kmiotek (Luxemburg) urgierten eine Aufklärung.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.05.2015)