Charlie Hebdo: Vom „Gift der Millionen“, vom Gift des Terrors

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FRANCE CHARLIE HEBDO RELEASE(c) APA/EPA/IAN LANGSDON (IAN LANGSDON)
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Zeichner Luz geht, eine Redakteurin wird gemaßregelt – im Satiremagazin streitet man um Geld und Kurs: Wie islamkritisch darf er noch sein?

Was dieser Tage aus dem Innenleben des Magazins „Charlie Hebdo“ nach außen dringt, klingt nach anhaltender innerer Verwüstung. Der Zeichner Luz geht im September, die Redakteurin Zineb El Rhazoui wird zur Ordnung gerufen. Schon länger gibt es einen Richtungsstreit (wie islamkritisch soll das Magazin künftig sein?) und Verteilungskämpfe innerhalb der Truppe.

Die Terroristen haben am 7.Jänner eben nicht nur zwölf Redaktionsmitglieder umgebracht, sondern auch die Überlebenden schwer beschädigt. Renald Luzier alias Luz hatte an dem Tag Geburtstag und deshalb Verspätung, was ihm das Leben rettete; er hat das Titelbild der ersten Ausgabe nach dem Anschlag gezeichnet, mit weinendem Mohammed; es machte ihn weltberühmt, doch Luz bringt, wie er sagt, das nötige Interesse an der Tagesaktualität nicht mehr auf. Und „jeder Redaktionsschluss ist eine Folter, weil die anderen nicht mehr da sind“. Ein Trauerbewältigungsversuch ist sein Band „Catharsis“ über die Zeit nach dem Anschlag, der morgen, Donnerstag, in Frankreich erscheint.

Die Redakteurin Zineb El Rhazoui wiederum wurde von der Chefredaktion des Blatts vergangene Woche zum Gespräch geladen, sie komme ihren Redaktionspflichten nicht nach. Die französisch-marokkanische Soziologin gehört zu den islamkritischsten Stimmen des Blatts, sie schrieb seinerzeit den Text zum Comic „La vie de Mohamed“ („Das Leben des Mohammed“), das der ermordete Zeichner Charb illustriert hat. Zineb El Rhazoui wurde zwar nicht gekündigt wie befürchtet, doch ihre Maßregelung wird auch als Zeichen des Streits über den künftigen Kurs der Zeitung gewertet: Wie islamkritisch darf er sein? „Mein Mann hat seine Arbeit verloren, weil Jihadisten seinen Arbeitsplatz enthüllt haben“, entrüstete sich El Rhazoui über die interne Kritik. „Er musste Marokko verlassen, ich werde bedroht, lebe bei Freunden im Hotel.“ Außerdem könne man unter diesen Umständen kein reibungsfreies Funktionieren erwarten.

Zineb El Rhazoui hat auch die in der Zeitung „Le Monde“ veröffentlichte Petition mitunterzeichnet, in der das Gros der Mitarbeiter mehr Transparenz und eine genossenschaftliche Struktur fordert. „Vom Gift der Millionen“ war da die Rede; derzeit verwalten vier Männer die Einnahmen aus den seit den Anschlägen enorm gestiegenen Auflagen und die Millionen Spendengelder.

Längst vorbei ist der erste Schulterschluss nach den Anschlägen, die Terroristen haben noch einmal gewonnen. Die Einsamkeit des Überlebenden kommt in einer Szene aus „Catharsis“ zum Ausdruck, wo Luz von einem Vampir umarmt wird, der beteuert, wie schlimm alles sei, wie sehr er Anteil nehme, wie wunderbar es sei, dass Charlie Hebdo weitermache ... Immer mehr schwillt er an, zu einer Art riesigem Tränensack, um zum Schluss gestärkt und guter Dinge davonzugehen; Luz bleibt zurück, ein mageres Etwas, ein Schatten seiner selbst.

anne-catherine.simon@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.05.2015)

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