Fragen Sie Ihren Arzt, Apotheker – oder Ihre App

Personalisierte Medizin. Eine Branche braucht Daten. So manches Start-up wittert hier seine Chance – mit unterschiedlichem Feedback.

In China tobt ein Kampf. Bislang waren Medikamentenverschreibungen für die chronisch unterbezahlten Ärzte und das Krankenhauspersonal ein feiner Zuverdienst. Auf dem intransparenten Markt wusste kein Patient, was wogegen half, wo er es bekam und was es kostete. Er zahlte, was sein Arzt verlangte– und dieser hielt bei der Pharmafirma noch einmal die Hand auf.

Dann kam Ali Baba – oder besser gesagt dessen Gesundheitstochter Ali Health – mit einer App, in die der Patient nur noch den Namen des Medikaments eingeben muss. Sofort bekommt er Angebote von Apotheken aus der Umgebung. Er kauft, wo es am billigsten ist – ohne Provision. Kein Wunder, dass Ärzte gegen Ali Health Sturm laufen. 100.000 Apps mit Gesundheitskontext soll es bereits geben. Sie sind das neue Dorado für medizinaffine Start-ups (siehe Webhinweis), die in der Pharmabranche kräftig umrühren.

Novartis etwa launchte pünktlich zum Welthypertonietag am 17. Mai eine Bluthochdruck-App namens eDiary. Höchst bedienerfreundlich trägt der Patient seine Messdaten ein, bekommt Statistiken und kann gemeinsam mit seinem Arzt die Therapie optimieren.

Diese App fällt aus dem Rahmen: Mehr noch als die technischen Features betont Novartis, dass die App von A bis Z in der Schweiz entwickelt wurde und alle Vorgaben in Bezug auf Datenschutz und EU-Konformität erfüllt. Alle Daten sind passwortgeschützt und werden nirgends außerhalb des Smartphones gespeichert – es sei denn, der Patient stimmt zu.

Das ist ungewöhnlich. Denn keine andere Branche hat so großen Datendurst wie die Pharmaindustrie. Der Grund dafür: Früher sollte ein Medikament möglichst vielen Menschen und bei möglichst vielen Beschwerden helfen.

Pille für mich, Pille für dich

Heute sind sie individuell konzipiert. Eine Pille für mich, eine andere für dich – obwohl wir dieselbe Krankheit haben. Personalisierte Medikamente sind die Zukunft, ist Robin Rumler, Präsident der Pharmavereinigung Pharmig und Österreich-Chef von Pfizer, überzeugt. Was heute akzeptabel behandelbar ist – allen voran die Spitzenreiter Krebs, Herz-Kreislauf-Leiden, Diabetes und neuropsychiatrische Erkrankungen – soll künftig noch genauer und individueller therapiert werden können. Der Haken dabei: Die Entwicklung personalisierter Heilmittel dauert zehn bis zwölf Jahre, das ist länger und teurer als je zuvor. 14,4 Prozent der Branchenumsätze gingen in die Forschung, sagt Rumler, und es sei immer noch zu wenig.

Kein Wunder, dass die Branche alle Daten aufsaugt, die ihr weiterhelfen. Doch der Zugang zu vielen Informationen ist ihr verwehrt. „Würden die Institutionen Daten, die sie längst haben, öffentlich machen, könnten wir besser arbeiten“, referenziert Rumler auf die umstrittene elektronische Gesundheitsakte ELGA. „Wir könnten dann vieles schneller erkennen und den Patienten lästige Doppeluntersuchungen ersparen.“

In diesem Spannungsfeld wittert so manches Start-up ein Geschäftsmodell, wenn es Apps mit bestechendem Anwendernutzen programmiert. Im Hintergrund aber werden mehr oder weniger heimlich Daten gesammelt und verkauft. Andere Start-ups steigen den Pharmariesen unbeabsichtigt auf die Zehen. Auf ihrer Plattform Diagnostica listen drei junge Österreicher Wechselwirkungen zwischen Arzneimitteln auf: Dass der Schmerzstiller Novalgin mit anderen Medikamenten interagieren soll, gefiel Hersteller Sanofi-Avensis gar nicht. Jetzt muss sich das Start-up mit einer Klage wegen Ruf- und Kreditschädigung herumschlagen.

Am Pioneers Festival für Start-ups von 27. bis 29. Mai in der Wiener Hofburg wird den Themen Health und Bio-Tech in mehreren Diskussionen Raum gegeben. www.pioneers.io

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.05.2015)

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