Schüler: „Schmied ist unser Feriendieb“

(c) APA (Hans Klaus Techt)
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Rund 25.000 Schüler demonstrierten in Wien gegen die Beseitigung der schulautonomen Tage: Eine Kreuzung aus Britney-Spears-Konzert und Fußballländermatch. Das Gros stammt eindeutig aus den Oberstufen.

WIEN. Der Proporz macht auch vor einem Schülerstreik nicht halt: Die Schwarzen belagern Freitagmorgen den Platz vor dem Parlament, sie werden von der Schülerunion und ihrem Bundesschulsprecher angeführt. Mehrere hundert Jugendliche haben sich hier eingefunden, es könnten auch knapp tausend sein. Einige harren auf den Mauern vor dem Hohen Haus den Dingen, die noch kommen werden. Andere wiederum schlängeln sich hurtig durch die Reihen und stemmen Transparente mit Sprüchen wie: „Schmied ist unser Feriendieb“, „Rettet die Schüler“ oder auch: „Fuck the System“.

Die großen Schülermassen aber belagern zeitgleich die Wiener Innenstadt, wohin die SPÖ-nahe Aktion Kritischer Schüler (AKS) in einer Art Kooperation mit der Sozialistischen Jugend (SJ) und der linken Jugendorganisation „Revolution“ gerufen hat. Sie kommen aus allen Richtungen, aus der U-Bahn, aus der Straßenbahn, von links, von rechts. Um neun Uhr früh ist der Andrang schon so groß, dass viele vom Stephansplatz in die umliegenden Gassen ausweichen müssen, um nämlich nicht zertreten zu werden.

Recht auf Freizeit

Insgesamt sind fast 25.000 Schüler auf der Straße. Sie demonstrieren gegen die Beseitigung der schulautonomen Tage durch Unterrichtsministerin Claudia Schmied (SPÖ) und die Lehrergewerkschaft. Kompromiss, so nannten es die Verhandlungspartner am Beginn dieser Woche. „Eine bodenlose Frechheit“, so nennt es die 17-jährige Tamara, die eigens aus dem burgenländischen Neusiedl am See angereist ist, um für ihr Recht auf mehr Freizeit zu kämpfen.

Es ist ein buntes Bild aus jungen Menschen, die sich für ein gemeinsames Ziel vereinigt haben. Schwarze, grüne und blonde Haare; lange Hosen, kurze Hosen, Piercings, keine Piercings, viele Baseballkappen. Die Schüler schlecken Eis, beißen in Hotdogs, kraxeln auf Verkaufsstände oder Verkehrsschilder und rauchen Zigaretten. Die Jüngeren trinken Cola, und die Älteren trinken Bier.

Das Gros stammt eindeutig aus den Oberstufen, bisweilen aber fallen auch kleinere Menschen auf, die aussehen, als wären sie direkt von der Erstkommunion zum Streik in die Bundeshauptstadt gebracht worden.

Manche haben auch familiäre Unterstützung mitgebracht: Mütter schieben Kinderwägen vor sich her. Und stolze Väter bedienen am Straßenrand ihre Spiegelreflexkameras, weil sie für die Ewigkeit festhalten wollen, wann der Spross zum ersten Mal gegen das System aufbegehrt hat.

Die Stimmung gleicht einer Kreuzung aus Britney-Spears-Konzert und Fußballländermatch – nur ohne Britney Spears und ohne Ländermatch. Hupen, Kreischen, Pfeifen, so geht das. Dafür aber mit einem politischen Hintergrund, denn die Plakate sind eindeutig: „Schmied raus, schulautonome Tage rein“; „Demokratie – von wegen“; „Schüler zu sein ist mehr als ein 40-Stunden-Job“. Und: „Wenn sich zwei streiten, hat der Dritte länger Schule.“

Gegen zehn Uhr setzt sich der Tross in Bewegung, auf dem Stephansplatz bleibt das blanke Chaos zurück: zerrissene Zeitungsseiten, zerbrochene Flaschen, Bierdosen, Zigarettenstummel und ausgebrannte Mistkübel.

Das Unterrichtsministerium am Minoritenplatz wird später noch eine kaputte Glasscheibe vermelden, die einem fliegenden Apfel zum Opfer fiel. Kleinere Sachschäden, vermerkt ein Polizist in der City, im Großen und Ganzen seien die Schüler aber brav gewesen. „Die haben schon recht, dass sie sich auf die Beine stellen“, sagt er dann und hängt sich wieder an die Fersen der Demonstranten.

Kebab und Faulheit für alle

Der Menschenkonvoi biegt in die Wollzeile ein und dann hinaus auf den Parkring. An vorderster Front marschieren die Hardliner: „Wir sind hier und wir sind laut, weil man uns die Bildung klaut“, haucht eine Knabenstimme durchs Megafon. Andere, eher ältere Semester mit Rasterzöpfen und in roten T-Shirts, fordern „Widerstand“ und übersetzen die Strophe von „Wir sind hier und wir sind laut“ in die Rapversion. Sie endet dann mit dem Satz: „Weil die Schmied nur Scheiße baut.“ Das Fußvolk schreit zurück und streckt dabei die Faust in die Luft.

Am hinteren Demoende machen sich die Spaßvögel breit, sie kämpfen nicht nur für die Schülerrechte, sondern auch für allerlei alternative Anliegen. Zum Beispiel für das Recht auf freie Essensauswahl oder so ähnlich: „Kebab für alle“ steht auf einem Plakat. „Faulheit für alle“ auf einem anderen. Die Pauschalversion gibt es auch, nämlich: „Alles für alle.“

Wien steht still

Kracher explodieren im Minutentakt, sie lösen zwischenzeitlich die Alarmanlage eines parkenden Mopeds aus und eigentlich immer ein schrilles Kreischkonzert. Passanten bleiben stehen und staunen, Touristen in einschlägigen Bussen riskieren Bandscheibenvorfälle, weil sie sich nach den Massen verrenken. Und für einen Moment scheint es so, als würde die Zeit in Wien stillstehen.

Über den Kärntner Ring, vorbei am Heldenplatz, erreicht der Demozug schließlich sein Ziel. Vor dem Parlament vereinigen sich rote und schwarze Schüler und solche, die sich politisch nirgendwo zugehörig fühlen. „Wir wollen unsere fünf schulautonomen Tage zurück“, fordern sie, alle zusammen, 25.000 junge Menschen. Parteipolitik war frühmorgens, jetzt sind sie alle einfach nur Schüler.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.04.2009)

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