Edles Volk, strenger Führer

Das Ende des britisch-amerikanischen Krieges 1815 hatte vor allem einen Verlierer: die Indianer. Doch während die reale Welt der „Rothäute“ unterging, begann der Mythos um den Wilden Westen zu wuchern. Über Winnetou, Karl May und die Tecumseh-Bände des Erhard Wittek alias Fritz Steuben.

Als im Juni 1815 die umfangreichen, monatelang bei Theater, Tanz und Champagner verhandelten Protokolle des Wiener Kongresses unterzeichnet wurden, brannten auf der anderen Seite des Atlantiks die letzten Feindseligkeiten des britisch-amerikanischen Krieges (1812 bis 1815) aus. Damit wurde nach mehrjährigen Kämpfen der Status quo ante entlang der östlichen US-kanadischen Grenze bestätigt.

Verlierer waren die nordamerikanischen Indianer, deren Hoffnung auf eine autonome Zone im Grenzgebiet, wie vom Shawnee-Häuptling Tecumseh ersehnt, zerstob. Jetzt erst kam so richtig die Frontier-Bewegung in Gang, der Marsch der europäischen Siedler nach Westen. Als die Pioniere bis Ende des 19.Jahrhunderts alle ihre Ziele erreicht hatten, gab es von den Native Americans mit ihrer Zivilisation nur noch verbrannte Erde. Nach heutigen Kriterien geschah Genozid.

Zurück zu unserer Geschichte: Zwischen England und den jungen, vorerst noch auf die ursprüngliche Ostregion beschränkten USA gab es Reibungen, die mit dem Kampf Londons gegenNapoleon zunahmen: Die Kontinentalsperre behinderte den Handel der neutralen US-Häfen; Zwangsrekrutierungen von amerikanischen Matrosen für die britischen Kriegsschiffe erbitterten; Londons militärische Kooperation mit den Indianern der Ohio-Region verärgerten die weißen Siedler. So erklärte US-Präsident Madison im Juni 1812 London den Krieg.

Ein sofortiger Versuch von US-Milizen, nach Norden vorzustoßen, scheiterte an der klugen Kriegsführung der (zahlenmäßig unterlegenen) Briten unter dem Kommando von General Isaac Brock, der auf Tecumsehs Shawnee-Indianer zählen konnte. Allerdings fielen beide, Brock und Tecumseh, im Jahr darauf in separaten Scharmützeln. Britische Soldaten stießen zwischendurch nach Süden vor und brandschatzten im August 1814 sogar Washington. (Um die Zündeleien am Präsidentensitz zu beheben, wurde das Gebäude in der Folge weiß getüncht – womit das „Weiße Haus“ Gestalt annahm.)

Langsam, aber stetig konnten die US-Amerikaner den Briten Paroli bieten, insbesondere bei Seekämpfen, wo neugebaute Schiffe die alten Kriegskähne Londons in Not brachten. Nach solchem Hin und Her kam es am 24. Dezember 1814, auch dank der Vermittlung des russischen Zaren, zur Unterzeichnung des Friedens von Gent. Aber erst in den Folgemonaten des Jahres 1815 hörten die letzten Gefechte auf.

Nun könnten wir diesen für Europa nebensächlichen Krieg getrost den Historikern überlassen, gäbe es nicht unsere romantische Fixierung auf die Indianer. Während die reale Welt der „Rothäute“ unterging, begann der Mythos um den Wilden Westen zu wuchern. Insbesondere Karl May ließ bei uns die jugendlichen Köpfe und Herzen brennen, ein Narrativ, das mit einigem Verschleiß bis heute anhält. Josef Winkler kann mit seinem Suhrkamp-Bändchen („Winnetou, Abel und ich“) quasi-religiös die Ereignisse nacherzählen. Winnetou existiert freilich nur virtuell. Tecumseh hingegen steht fest auf dem Boden der Tatsachen.

In meinen Bubenjahren habe ich alle acht Bände der Steuben-Serie, welche Tecumseh von dessen Jugend bis zum Tod auf dem Schlachtfeld begleitet, genau gelesen. Wer sonst noch? Gelegentlich treffe ich Gleichaltrige, die seinerzeit eher Tecumseh denn Winnetou huldigten. Freudig entnehme ich den Erinnerungen von Barbara Coudenhove-Kalergi, dass auch sie als Mädchen Tecumsehs Spuren verfolgt hat. Warum also Tecumseh, warum die Steuben-Bücher mit ihrer verblassenden Wirkung?

Tecumseh, präziser Tikamthi, „der sich duckende Berglöwe“, 1768 geboren, wuchs inmitten des Shawnee-Stammes in der Ohio-Region auf, wo damals erfolgreich Widerstand gegen die westwärts drängenden weißen Siedler stattfand. Er begriff schärfer als andere, dass die weißen Kolonisten nur militärisch zu stoppen waren. Dafür war jedoch die Einheit aller Stämme unabdingbar. Beim britischen General Isaac Brock fand er Verständnis. Eine vage mündliche Zusage für ein autonomes indianisches Territorium, als Puffer entlang der kanadisch-amerikanischen Grenze, lag vor. Als der Krieg losbrach, gelangen der indianisch-britischen Allianz bemerkenswerte Erfolge, darunter die Einnahme von Detroit. Doch wenig später fiel der britische Kriegsherr. Nachfolger verspielten die Gewinne und misstrauten den indianischen Verbündeten. Immer häufiger gingen Rückzugscharmützel verloren. Bei einem fiel Tecumseh. Damit zerbröselte die panindianische Allianz. Die führerlos gewordenen Krieger ritten einfach nach Hause. Aus für die Indianer!

Es tritt auf: der deutsche Schreiber Erhard Wittek, Jahrgang 1898, der für die Stuttgarter Franckhsche Verlagshandlung (heuteFranckh-Kosmos) zwischen 1929 und 1941 in acht Bänden Leben, Werk und Tod von Tecumseh porträtierte. Als Autorenpseudonym wählte er Fritz Steuben, als Hommage an den preußischen Offizier Friedrich Wilhelm von Steuben, der im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg gegen die Briten gekämpft hatte. Erhard Wittek verstand sich als Jugendschriftsteller und stattete seine Tecumseh-Serie mit zahlreichen farbigen Porträts von – historisch echten – Indianerführern, ethnologisch korrekten Darstellungen aus dem indianischen Alltag und mit aussagekräftigen Strichzeichnungen (von Anton Hoffmann) aus. Wer Steuben-Bücher las, bekam sozusagen ein ethnologisches Privatissimum mitgeliefert.

Wittek liebte Tecumseh und die Indianer. Aberer mochte auch die Nazis. Deswegen in den Originalausgaben die parteiaffinen Widmungen. Es galt zu zeigen, dass Uneinigkeit, historisches Übelder „Rothäute“ (merk's Weimar-Deutschland vor 1933!), zum Untergang verdammt. Und das schmerzt den Autor Wittek, denn er versteht die nordamerikanischen Natives, mit Tecumseh als strengem Führer, als „ein edles und kulturell hoch stehendes Volk“, dessen Untergang zu beklagen ist. „Aber Recht hat nur der, der den Sieg erringt. Und den Sieg erringt auf die Dauer nur der Stärkere, Lebenskräftigere, denn die Natur und das Leben sind nicht ,moralisch‘.“

Solche Einschübe (Karl May mag ähnlich gedacht haben) glitten von uns Buben, mit glühenden Ohren über die realistischen Erzählungen „nach alten Quellen“ gebeugt, gnädigerweise ab. Die Nazis, weder edel nochkulturell, scheiterten, und wir Junge bekamen die Gnade des Aufwachsens in geläuterten Umständen.

Die Steuben-Bücher schafften bis 1945 Bestsellerstatus. Auch nach dem Krieg bliebendie Bände, vom Franckh Verlag ideologisch sanft entschlackt, passable Jugendbücher, obschon im Wettbewerb mit den Karl-May-Produkten abgeschlagen. Indes, ein Leseverbot gab es in der DDR. Allerdings wurde in Berlin-Ost 1972 ein Tecumseh-Film gedreht, in dem der Shawnee-Kazike als Vorbote des antikolonialen Befreiungskampfes antritt. Erhard Wittek – er verfasste bis zu seinem Tod, 1981, zahlreiche weitere Jugendbücher – mag damit durchaus einverstanden gewesen sein. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.05.2015)

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